(Rvng Intl./Cargo, seit 12. Juni)
Kate Shilonosova schwebt zwischen den Welten. In ihrer Heimat ist die gebürtige Moskowiterin als Sängerin der Post-Punkband Glintshake bekannt. Als Kate NV erforscht sie die elektronische Avantgarde des 20. Jahrhunderts, ohne einer eurozentristischen Lesart zu verfallen. Mit ihrem Debüt "Binasu" schuf sie 2016 eine eigenwillige Interpretation des japanischen City-Pop der Achtziger. Auf "ДЛЯ FOR" bewies sie 2018 mit impressionistischen Skizzen aus Xylophonen und Bläsern, dass ihr der Minimalismus Steve Reichs ebenso vertraut ist wie Pierre Schäfers Musique Concrète und der Kunstbegriff John Cages.
Wie also anknüpfen? Eigentlich wollte Kate NV ihr drittes Album den analogen Buchla-Synthesizern widmen. Nachdem sie allerdings eineinhalb Jahre über ihrem Produktionstisch gekauert hatte, rebellierte ihr Körper. Statt sich in ein konzeptuelles Korsett zu zwängen, nahm sie die Warnsignale ernst und ließ sich von der Muse leiten. Und die sagte: Sing! Herausgekommen ist ein heiteres Outsider-Pop-Album mit japanischem Bubblegum-Sound, düsterer Italo Disco und futuristischem Elektro, das zwischen eingängigen Hooks und charmanter Weirdness eine Balance findet.
"Room For The Moon" vertont das träumerische Schlafwandeln, wenn der grelle Tag fern scheint und nächtliche Gestalten eher als freundlich-absurde Wegbegleiter daherkommen, denn als zwielichtige Gefahr. Kate NVs oft mit viel Hall entrückte Vocals wirken kindlich-naiv, mühelos wechselt sie zwischen Englisch, Russisch, Japanisch und Französisch - und kreiert so eine eigene Poesie, die Raum für freies Assoziieren lässt und Kindheitserinnerungen wachrüttelt. Zum Achtzigerjahre-Synthpop von "Plans" möchte man mit dem Maikäfer Herr Sumsemann aus "Peterchens Mondfahrt" im fliegenden Bett vorbei an der Sternenwiese zur Schlittenfahrt durch die Milchstraße aufbrechen.
Die Zuckerwatte-Wolken-Synthies, zirkusartigen Xylophonläufe und Flötentriller in "Ça Commence Par" erinnern an die schräge Traumsequenz aus "Dumbo", die plötzlich in japanische Gaming-Musik à la Yellow Magic Orchestra kippt. Im nächsten Moment fällt man mit Alice in den Kaninchenbau und landet sanft am Tisch des verrückten Hutmachers: Beim psychedelisch kreiselnden "Tea - Full Cup Version" scheint ein LSD-Trip inklusive. "Room For The Moon" ist also die perfekte Vertonung eines luziden Traums, wenn man ungestört durch die Winkel der eigenen Seele spaziert - hauntologisch, aber ohne Gruselfaktor. (8.5) Laura Aha