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Digitalisierung: Schrei dein Modem an

Veröffentlicht in: DIE ZEIT Nr. 15/2016, 31. März 2016

Wie ein Hamburger Reisebüro auf die Digitalisierung reagiert


Wenn man Maryam Komeyli fragt, ob Reisebüros bald überflüssig werden, antwortet sie mit einer Geschichte. Von jener Frau, die neulich hier, vor dem grellpinken Schalter, stand und über den online gebuchten Urlaub schimpfte. Auf der Website seien weißer Sandstrand und blaues Wasser versprochen worden, klagte die Frau, aber nicht die Regenzeit, in die sie geraten sei.

Maryam Komeyli hörte sich die Tirade bis zum Ende an. Dann sagte sie: "Gehen Sie nach Hause, und erzählen Sie all das, was Sie mir gerade gesagt haben, noch mal Ihrem Modem. Schreien Sie es an, machen Sie es zur Sau! Aber nicht mich." Die Frau verstummte. Die Botschaft war angekommen.

Im Internet könne man alles kaufen, sagt Komeyli. "Sogar Reisen nach Syrien." Eine vernünftige Beratung aber, die gebe es nur bei ihr, in diesem pinken Reisebüro auf der Hamburger Reeperbahn. Und damit auch jeder den Unterschied zum Internet begreift, hat schon die Buchung selbst Event-Charakter.

Zunächst geht es für die Kunden zu Vespucci, dem Reeperbahn-Italiener gegenüber dem Pornokino, dann kommen sie ins Reisebüro zur persönlichen Beratung. Zum Abschluss trinkt man einen Prosecco an der büroeigenen Bar, bei Duftkerzenaroma, Zimmerpalmen und angenehm wummernder Loungemusik.

Durch Konzepte wie dieses erleben Reisebüros gerade eine ungeahnte Renaissance: "Dieses Jahr ist die Zahl um 65 auf nunmehr fast 9.900 Büros gestiegen", sagt der Präsident des Deutschen Reiseverbands, Norbert Fiebig. Von den rund 28 Millionen Pauschalreisen, die die Deutschen im Jahr unternehmen, wurden im Jahr 2015 etwa 85 Prozent im Reisebüro gebucht.

Maryam Komeyli plant schon die nächste Filiale. Im noblen Hamburger Stadtteil Eppendorf. Von der Reeperbahn aus betrachtet, ist das fast eine Weltreise.

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