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Warum fasst man sich so oft ins Gesicht?

(Foto: picture alliance / Michael Kappe)

Sich kurz an der Nase kratzen, die Augen reiben und beim Überlegen an die Stirn fassen. All diese Bewegungen sind besonders während der Corona-Pandemie gefährlich. Doch warum greift man sich überhaupt so oft ins Gesicht?

Etwa 3,6 Mal pro Stunde berührt sich der Mensch durchschnittlich im Gesicht. Dass es so häufig ist, nehmen die Meisten im Alltag nicht wahr. Dennoch können die Berührungen zu einem großen hygienischem Problem werden. Der Grund: Die Hände kommen mit den Schleimhäuten im Mund-, Nasen- und Augenbereich in Berührung. Dieser Kontakt sorgt dafür, dass Viren und Bakterien von den Händen direkt in den Körper gelangen und krank machen können.

Unbewusstes Handeln

Obwohl aufgrund der Corona-Pandemie mehr denn je geraten wird, die Finger aus dem Gesicht zu lassen, klappt dies oft nicht. Viele erwischen sich bereits nach kürzester Zeit dabei, mit der Hand durchs Gesicht zu fahren. Doch warum ist es so schwer, den Ratschlägen nachzugehen und das Gesicht in Ruhe zu lassen? Die Antwort auf diese Frage findet sich in der menschlichen Psyche.

"Bei den Berührungen im Gesicht handelt es sich um ein automatisiertes Verhalten, das unbewusst gesteuert wird", erklärt Prof. Bernhard Baune, Klinikdirektor der Klinik für Psychische Gesundheit des Universitätsklinikums Münster.Dies lässt sich gut daran erkennen, dass jeder Mensch seine eigenen Muster beim Anfassen entwickelt. Wahrgenommen werden diese Berührungen meistens erst dann, wenn sich bereits erneut durch den Bart gestrichen wurde oder die Hand wieder durch die Haare fährt. Dann ist es jedoch schon zu spät um zu verhindern, dass sich die Keime im Gesicht weiter ausbreiten.

Stress beeinflusst Verhalten

Das Verlangen danach, sich im Gesicht zu berühren, ist groß. Noch bevor der Mensch auf die Welt kommt, saugt er im Mutterleib am Daumen und nimmt dadurch angenehme Reize wahr. Eine ähnlich entspannende Wirkung hat die Berührung im Gesicht ein Leben lang. "Untersuchungen haben bewiesen, dass es bei einem Kontakt im Gesicht zu Hirnfunktionsveränderungen kommt, die auf einen Entspannungszustand hinweisen", erklärt Baune. Das liegt daran, dass die Selbstberührung beruhigend auf den Menschen wirkt und die Hirnströme dadurch verlangsamt werden.

Kaum verwunderlich ist es daher, dass Stress einen wesentlichen Einfluss auf die Häufigkeit der Berührungen nimmt. "Menschen, die entspannt sind, fassen sich deutlich weniger ins Gesicht." Doch was kann man tun, wenn die aktuellen Geschehnisse die Psyche so beeinflussen, dass man vermehrt unter Stress leidet? Es ist vor allem wichtig, sich das unbewusste Verhalten bewusst zu machen. "Dies gelingt besonders dann, wenn deutlich gemacht wird, dass mit dem Verhalten ein Risiko verbunden ist. Ein solcher Bewusstseinsprozess ist notwendig, damit man sein Verhalten ändern kann."

Alte Gewohnheiten abtrainieren

Konsequentes Umdenken ermöglicht es, sich selbst jahrelang automatisierte Prozesse wieder abzugewöhnen. Auch wenn dies nicht vollständig von heute auf morgen geschieht, kann man durch das "habit reversal training" eine sofortige Veränderung erzielen. Bei diesem Training geht es darum, durch Selbstwahrnehmung bereits verinnerlichte Handlungen zu unterbrechen und zu steuern. Dies kann nicht nur in einer Verhaltenstherapie geschehen, sondern ist auch alleine von zu Hause aus möglich.

"Hierfür muss man anfangen, sich selbst zu kontrollieren", so Baune. Dies gelingt vor allem durch das bewusste Beobachten im Spiegel. Zudem sollte der Fokus gezielt auf die Position der Hände gelegt werden. "Es kann helfen, sie auf den Tisch zu legen, vor dem Körper zu falten oder in die Hosentasche zu stecken." Auch Gegenstände in die Hand zu nehmen, kann als Ersatzhandlung eingesetzt werden. Oft genügt schon der schnelle Griff zum Kugelschreiber als Reizausgleich.

Je motivierter das veränderte Verhalten trainiert wird, desto schneller reduziert sich die Anzahl der Griffe ins Gesicht. Eine solche Reduktion zu erreichen ist wichtig, damit Infektionen und Ansteckungen vermieden werden können. Rückschläge sollten daher nicht entmutigen. Jeder verhinderte Gesichtskontakt ist ein Schutz für die Gesundheit.

Übrigens: Wie bei fast jedem Problem kann auch hier das Internet Hilfe bieten. Die Website "Do not touch your face" erinnert mithilfe eines Signals daran, dass man gerade dabei ist, sich ins Gesicht zu fassen. Damit dies funktioniert, muss die Webkamera eingeschaltet und die Seite in einem Tab geöffnet sein.

Quelle: ntv.de

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