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Wenn der Stress krank macht

Studium

Viele Studierende leiden unter Leistungsdruck - so mancher kämpft mit psychischen Problemen. Betroffene sollten nicht zu lange zögern, sich helfen zu lassen.

Es waren die kleinen, aber grundlegenden Dinge, die Linda (Name geändert) kaum noch gelingen wollten: Essen, Duschen, der Weg zur Uni. Eine junge Frau von 22 Jahren, die sich sozial engagiert, die das Reisen liebt und für ihre Leistungen an der Universität mit einem Stipendium belohnt wird.

Die besten Voraussetzungen also, um schnell noch den Master dranzuhängen und mit einem aalglatten Lebenslauf ins Berufsleben zu starten. Doch dann wird Linda krank - psychisch krank. „Im Mai 2014 war das, da hatte ich so eine Zeit, bestimmt eine Woche, wo ich nicht aufstehen konnte aus dem Bett. Ich musste auf Klo, aber ich wusste nicht, wie ich das jetzt schaffen sollte, aufzustehen und dorthin zu gehen", erzählt die heute 25-Jährige. Trotzdem dauert es Wochen, bis sie sich professionelle Hilfe sucht.

Viele Studierende kämpfen mit Depressionen

Und noch länger dauert es, bis sie sich Kommilitonen und Dozierenden an der Uni öffnet: „Ich hatte einfach Angst, offen damit umzugehen, weil ich Schiss davor hatte, dass mich Leute als schwach abstempeln." So einsam sie sich mit ihren Sorgen und der psychischen Erkrankung zu dieser Zeit auch fühlte, allein war Linda damit nicht.

Depressionen seien neben Fragen der eigenen Identität, Prüfungsängsten und Problemen wie Prokrastination (beim extremen Aufschieben von Aufgaben handelt es sich um eine Arbeitsstörung) das häufigste Anliegen, mit dem Studierende kämpfen, berichtet Psychotherapeutin Andrea Wirth. Sie ist Leiterin der psychotherapeutischen Beratungsstelle der Goethe-Universität Frankfurt. 400 bis 500 Studierende melden sich dort jährlich für Einzelsprechstunden und Gruppenangebote an. Die Tendenz ist steigend.

Doch auch wenn die Angebote immer besser angenommen werden, stellt der Gang zum Therapeuten eine Herausforderung dar. „Der erste Schritt ist trotzdem oft schwierig. Das Beschäftigen mit Problemen ist ja immer anstrengend. Viele haben die Tendenz, das erst mal zu vermeiden und zur Seite zu schieben", betont Wirth.

So ging es auch Linda. Erst als sie das Gefühl hatte, allein keine Chance gegen die Depression zu haben, suchte sie sich professionelle Hilfe bei einer niedergelassenen Therapeutin. „Das war nicht einfach, das vor mir selbst erst mal zuzugeben", erinnert sie sich.

Mit Beginn ihrer Therapie ändert Linda auch ihren Umgang mit der eigenen Erkrankung langsam: „Ich habe ziemlich schnell gemerkt, dass es da noch mehr Leute gibt, denen es so geht wie mir. Das war gut zu wissen, dass es da andere gibt, für die das auch gerade schwierig ist."

Ihren Dozierenden gegenüber hält sie sich hingegen so lange bedeckt, bis die Flucht nach vorn der einzig verbleibende Ausweg ist. Entgegen Lindas Befürchtungen reagieren diese verständnisvoll. Beispielsweise als Linda in einem Seminar zu häufig fehlt und dem Dozenten in einer E-Mail ihre psychische Erkrankung offenbart: „Der hat gemeint, dass das vollkommen in Ordnung ist, wenn ich ihm ein Attest bringe, und hat noch auf die psychologische Beratung an der Uni verwiesen."

Mehr Druck im Studium

Die Psychologin Wirth rät zu einem offenen Umgang mit psychischen Problemen im Studium: „Es gibt viel Sorge vor Stigmatisierungen, aber von tatsächlich erlebter Stigmatisierung oder davon, dass Kommilitonen auf Abstand gehen, erfahre ich relativ selten." In Frankfurt spiele die Beratung von Lehrenden außerdem eine zunehmend wichtige Rolle: „Wir beraten auch Dozenten, die im Seminar Studierende haben, die prokrastinieren, ihnen von Problemen berichten oder bei denen sie Veränderungen bemerken und nicht wissen, wie sie damit richtig umgehen sollen."

Mit der steigenden sozialen Akzeptanz erklärt Wirth einen Teil der beständig wachsenden Anmeldezahlen in der Frankfurter Beratungsstelle. Darüber hinaus verweist sie auf tiefer liegende strukturelle Probleme: „Der Druck hat durch das stärker terminierte und geplante Bachelor-Master-Studium zugenommen."

Eine Ansicht, der Stefan Grob vehement widerspricht. Er ist Pressereferent des Verbandes der Studentenwerke in Deutschland. Ihm zufolge sei die Bologna- Reform sogar von Vorteil: „Bachelor und Master sei Dank werden Studierende heute sehr früh mit den Leistungsanforderungen im Studium konfrontiert."

So würden Beratungsangebote früher in Anspruch genommen und Studierende lernten, mit dem Druck umzugehen. Druck, den sie sich vor allem selbst machten. „Die Studierenden wollen heute fünf Sprachen lernen, Bestnoten haben und möglichst schnell sein, um einen Fuß auf den Arbeitsmarkt zu bekommen", sagt Grob. Er räumt zwar ein, dass Bologna „Ausdruck eines ökonomistisch strukturierten Studiums sei", doch krank mache das nicht.

Zahlen des Deutschen Studentenwerks zufolge nutzten im Jahr 2016 insgesamt 109 000 Studierende Beratungsangebote der Studierendenwerke. Im Vergleich zu 2013 ist das ein Anstieg um knapp 6000 Hilfesuchende. Grob führt diese Entwicklung auf ein wachsendes Angebot jenseits der Krisenintervention zurück, beispielsweise auf Workshops zu Zeitmanagement oder gegen Prokrastination. Da könnten Studierende lernen, dem hohen Leistungsdruck gerecht zu werden.

Trotz ihrer psychotherapeutischen Hilfe konnte auch Linda den verinnerlichten Leistungsdruck nicht überwinden. Von der Möglichkeit, ein Semester auszusetzen und sich voll und ganz auf die eigene Gesundheit zu konzentrieren, sah sie ab: „Ich wollte das nicht, weil ich dachte, dass das eher kontraproduktiv wäre. Ich hätte mich dann gefühlt, als hätte ich versagt."

Dabei findet sie im Grunde, dass eine gewisse Sonderbehandlung bei psychischen Erkrankungen nur fair wäre. „Es ist einfach schwer zu studieren, wenn man unter Depressionen leidet. Wenn ich es mal geschafft habe, eine Viertelstunde am Stück einen Text zu lesen, dann war das schon krass."

Um den strukturellen Ursachen des hohen Leistungsdrucks zumindest auf individueller Ebene zu begegnen, rät Wirth Studierenden zu einem sorgsamen Umgang mit sich selbst: „Oft ist gegen die Stressoren selbst nicht viel zu machen. Also für Ausgleich sorgen und da bestenfalls die Balance halten zwischen Pflichten auf der einen Seite und Dingen, die mir gut tun und mir Kraft geben, auf der anderen Seite." Bei einer psychischen Erkrankung sei das natürlich keine endgültige Lösung - aber ein Schritt auf dem Weg zu einem gesunden Umgang mit Stress.

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