1 Abo und 3 Abonnenten
Artikel

Letzter Ausweg: Kirchenverkauf

Die katholischen Bistümer besitzen Milliarden. Die Unterhaltskosten für die Gotteshäuser müssen Pfarreien dennoch in der Regel allein aufbringen. Der Verkauf von Kirchen ist deshalb kein Tabu mehr. So auch in Aachen.

DüsseldorfDie Kirche im Aachener Norden erschien den beiden Pilgern wie ein Zeichen Gottes. Sie waren auf dem Jakobsweg unterwegs und schon ziemlich erschöpft. Da entdeckten sie an einer Straßenecke eine Kirche. Erfreut gingen sie darauf zu, in der Hoffnung auf eine kurze Rast, ein stilles Gebet, bevor sie ihre Reise fortsetzten. Sie öffneten die große, schwere Holztür. Doch noch während sie eintraten, wandelte sich ihr Blick von Zuversicht in Entsetzen. Sie fanden sich nicht in einer Kirche mit Bänken, Altar und Kruzifix wieder, sondern in einem modernen Großraumbüro.

„Die waren kreideweiß im Gesicht", erinnert sich Stefanie Pick. Sie muss erneut lachen, wenn sie an den Tag denkt. Pick arbeitet in der umgebauten St.-Elisabeth-Kirche. Als Marketing-Expertin gehört sie zum „digitalHub", dem Verein, der die Kirche jetzt als Co-Working-Space, also als Bürofläche, angemietet hat. Die hundert Jahre alte, denkmalgeschützte Kirche wurde 2016 entweiht. Nun entwickeln hier Mitarbeiter verschiedener Start-ups aus dem Digitalbereich neue Ideen für die Zukunft.

Überraschungen wie diese wird es künftig wohl häufiger geben. Denn die katholischen Pfarreien in Deutschland haben ein Problem. Immer mehr Menschen treten aus ihrer Glaubensgemeinschaft aus, und auch der Priesternachwuchs stockt. Die Folge: Gotteshäuser verwaisen und müssen dennoch teuer instandgehalten werden. Zwar verfügen die Bistümer über ein Milliardenvermögen, wie Recherchen des Handelsblatts zeigen. Den Pfarreien aber nutzt das nichts. Denn für die Verwaltung und Pflege der Kirchengebäude sind sie allein zuständig. Und viele stoßen dabei an ihre finanziellen Grenzen. Was bleibt, ist oftmals nur der Kirchenverkauf.

So wie in Aachen. Die dortige Pfarrgemeinde „Christus unser Bruder" hatte sich bereits 2012 schweren Herzens dazu entschlossen, die St.-Elisabeth-Kirche zu verkaufen. Die Pfarrei konnte die Unterhaltskosten nicht mehr stemmen. „Die grundlegende Idee, etwas zu verkaufen, entstammte aus einem bistumsweiten Sparplan", erinnert sich Johannes Bartholomäus, Kirchenvorstand der Gemeinde, die die Kirche veräußerte. Er war maßgeblich am Verkaufsprozess beteiligt. Bevor der Verkauf beschlossen wurde, waren vier Gemeinden zu einer zusammengelegt worden. „Das passiert momentan häufig", sagt Bartholomäus.

Statt Altar: Kaffeeküche und Sofaecke

Gründe seien der Priestermangel und sinkende Mitgliedszahlen. Einfach machten sie es sich in der Pfarrei aber nicht. Sie sprachen mit über 20 Investoren, bevor sie sich entschieden. Am Ende habe es mit der Landmarken AG, einem Immobilienentwicklungsunternehmen, am besten gepasst. Der Vorstandsvorsitzende der Landmarken AG habe einen „höheren sechsstelligen Betrag" gezahlt, erzählt Sylvia Friederich, Geschäftsführerin der Landmarken AG. Dafür bekam er nicht nur das insgesamt 2.210 Quadratmeter umfassende Gebäude inklusive Kaplanhaus, sondern auch die Wohngebäude nebenan. Ein vergleichsweise günstiger Preis für eine Immobilie dieser Größe mitten in der Stadt.

Ein Betrag in ähnlicher Größenordnung sei dann in den Umbau geflossen. Denn eine Kirche anderweitig zu nutzen ist gar nicht so einfach. „Die Raumakustik und das Raumklima waren dabei die größten Herausforderungen", sagt Friederich. Über den kalten Steinboden wurde ein mit Teppich bezogener Doppelboden verlegt. Darin befindet sich die Heizungsanlage: Aus Lüftungen im Boden strömt die Wärme. An den Wänden hängen Schallschutzelemente, auch einige Fenster wurden ausgetauscht. Insgesamt soll sich das Investment in die kalte Kirche aber lohnen. „Wir rechnen damit, dass wir die Kosten in zwei, drei Jahren wieder drin haben", sagt Friederich.

Wo man früher an Hochzeiten zum Altar schritt, zieht sich nun ein langer Schreibtisch mit integrierten Steckdosen bis zur Kanzel. Der Altar ist einer offenen Kaffeeküche und einer Sofaecke gewichen. Dennoch senken Besucher, die die sogenannte „Digital Church" betreten, automatisch die Stimme und schauen ehrfürchtig zur hohen Decke. Die bogenförmigen Säulen in gotischem Stil, die bunten Fenster über dem Altarbereich, die große Marienstatue aus Holz - alles erinnert noch an die ursprüngliche Verwendung des Gebäudes.

Der Anstoß zum Verkauf stammt aus einem bistumsweiten Programm, in dessen Rahmen alle Gebäude der Pfarreien erfasst und bewertet wurden. Ziel nach der Evaluierung war es, sich von unwirtschaftlichen Gebäuden zu trennen. Solche Programme gibt es auch in anderen Bistümern. In Limburg etwa ist der Erfassungsprozess gerade in vollem Gange. Auch dort wurden viele ehemals kleine Gemeinden zusammenlegt. Bis Verkaufsentscheidungen getroffen werden, könnte es aber noch einige Zeit dauern, meint der Limburger Finanzdezernent Gordon Sobbeck. Und ein Kirchenverkauf könne sowieso nur die allerletzte Lösung sein.

Das mag auch daran liegen, dass für viele Gläubige so ein Verkauf eben ein emotionales Thema ist. „Wir hatten immer sehr geringe Besucherzahlen, es waren sehr oft nicht einmal zehn Besucher in der Messe", erinnert sich Kirchenvorstand Bartholomäus. „Aber als die Kirche entweiht wurde, war sie auf einmal wieder voll."

In Aachen sieht man digitalHub, einen Verein, der Start-ups und potenzielle Investoren aus dem Mittelstand zusammenbringen will, als zukunftsträchtige Lösung dieses Problems. „Die Kirche ist zwar privat genutzt, aber immer noch ein offener Ort", sagt Sylvia Friederich. „Wir freuen uns über Besucher." „Dieser Raum bietet noch immer viel Kraft und Spiritualität", betont auch Oliver Grün. Er ist Vorstandsvorsitzender des digitalHub und Präsident des Bundesverbands IT-Mittelstand. Der Verein setzt sich dafür ein, dass Start-ups, Mittelstand und Industrie gemeinsam an digitalen Geschäftsmodellen arbeiten.

Eingezogen in die St.-Elisabeth-Kirche ist digitalHub im Juli 2017. Zuvor hatten Vertreter der katholischen Kirche über drei Jahre lang fast 30 Gespräche mit der Landmarken AG geführt. Dabei habe man auch gemeinsam überlegt, wofür das Gotteshaus genutzt werden dürfe und wofür nicht. Zuletzt habe die Kirche klare Bedingungen im Kaufvertrag festgeschrieben, sagt Friederich. Einige davon verstanden sich fast von selbst: „Keine Moschee, kein Bordell oder Kasino."

Zum Original