Weit über 20 Alben hat Jóhann Jóhannsson in seiner Karriere veröffentlicht. Wer weiß schon, wie viele Tondokumente noch in der Schublade liegen, die postum veröffentlicht werden könnten. Einmal pro Monat lassen Kristoffer Cornils und Thaddeus Herrmann das Werk des Komponisten Revue passieren - chronologisch, Album für Album. Im Mai geht es um das Album, das der Namensstifter des Reihe war: 2006 erschien „IBM 1401 - A User's Manual".
Ein Inselstaat (Island), der technologische Fortschritt (Computer), ein Hersteller (IBM) und der Vater eines viel zu früh gestorbenen Komponisten (Jóhann Jóhannsson). Das sind die groben Koordinaten von Jóhanns viertem Solo-Album. Vorbei die Zeit bei Touch, vorbei die Zeit der kleinen, oft improvisierten Besetzung. Stattdessen spielte das philharmonische Orchester aus Prag das, was die spärlichen Fragmente aus Ringmodulator, Verzerrer, Filter und die Klängen des IBM 1401 ergänzten und vervollständigten.
Thaddi: Wir haben es hier mit Jóhanns vielleicht persönlichster Platte zu tun, weil es seine Familiengeschichte betrifft. Und die natürlich auch den Titel unserer gemeinsamen Reihe gestiftet hat. Sein Vater - Jóhann Senior - arbeitet von den 1950er- bis zu den 1980er-Jahren für IBM und war verantwortlich für die Installation, Betreuung und Programmierung des ersten Computers auf dem Inselstaat - einem IBM 1401. Ich finde das zunächst einmal kultur- und technologiehistorisch interessant. Denn natürlich gab es in Island auch Computer. Ich habe darüber aber nie nachgedacht. Gut, über die Großrechner bei der Deutschen Post oder Siemens in Deutschland, oder bei AT&T in den USA auch nicht, aber wer denkt schon über den technologischen Fortschritt in Island nach!?
Wie dem auch sei. Papa Jóhannsson schob nicht nur Lochkarten in das Ungetüm, sondern beschäftigte sich auch intensiv mit dem Innenleben der Maschine. Und hackte den Rechner, bzw. nutze die Schwachstellen der noch neuen Technik, um andere Dinge damit zu machen: Musik. Jóhann Junior beschrieb mir das 2015 so: „Er stellte ein Kurzwellenradio neben den Teil des Rechners, wo der interne Speicher untergebracht war. Dann programmierte er den Speicher und das Radio fing die elektromagnetische Strahlung des Speichers auf. Als Ton, mehr oder weniger eine klassische Sägezahnwelle. Mein Vater entwickelte einen Algorithmus, mit dem es möglich war, diesen Ton zu modulieren und den IBM so kleine Melodien spielen zu lassen. Popsongs, Mozart, da war alles dabei." Die Geschichte aus der Perspektive seines Vater lässt sich in einem Interview von 2019 nachlesen - ich habe da schon ein paar Tränen weggedrückt.
Die Basis des Album bilden Samples/Sprachaufnahmen von IBM. Eine Art Handbuch-Hörspiel, in dem Probleme der Maschine und Wartungs-Anweisungen gesprochen werden, die wahrscheinlich zu Dias passen. So konnten die Techniker*innen damals Fehler beheben und die Maschine in Schuss halten. Vor allem also: Öl nachfüllen. Sollten wir ab und zu nochmal dran denken, wenn wir heute unsere MacBooks oder iPads aufklappen. Diese Samples also verschmelzen in einer fünfteiligen Komposition, die den Faden von „Engalbörn" wieder aufnimmt, also vergleichsweise ausformulierten Orchester-Figuren, die um die Sprach-Samples herumtanzen und sich dabei bestens behaupten. Dazu kommt eine vocoderisierte Stimme, bereit für das Afterlife. Natürlich hat der Sohn nicht damit gerechnet, dass sein Vater ihn überlebt. Ich muss schon wieder weinen.
Es gibt hier natürlich zwei Ebenen: Einerseits das Intergenerationale - der Vater, der dem Filius diese Technik näher gebracht hat und nun ihre kreative Ausformulierungen gewidmet bekommt. Andererseits aber das Miteinander von Mensch und Maschine überhaupt.
Kristoffer: Während du nach deinen Taschentüchern suchst, kann ich vielleicht mal versuchen, dieses Werk in Jóhannssons Entwicklungsgeschichte einzuordnen. „Englabörn" zeigte uns den kompositorischen, „Virdulega Forsetar" den konzeptionell-emotionalen und „Dís" den Community-orientierten Jóhannsson. Mit „IBM 1401, A User's Manual" sind wir, denke ich, beim thematischen Jóhannsson angekommen. Es gibt hier natürlich zwei Ebenen: Einerseits das Intergenerationale - der Vater, der dem Filius diese Technik näher gebracht hat und nun ihre kreative Ausformulierungen gewidmet bekommt. Andererseits aber das Miteinander von Mensch und Maschine überhaupt. Ich finde es spannend, wie diese angebliche Polarität verhandelt wird. Springen wir am Anfang schon an den Schluss: „The Sun's Gone Dim and the Sky's Turned Black" basiert auf einem Gedicht Dorothy Parkers, die in nur vier Zeilen alles über unerwiderte Liebe sagt, was es dazu nur anzumerken gibt.
The sun's gone dim And the sky's turned black 'Cause I loved her And she didn't love back
Jóhannsson genderflippt den Text und gibt ihm so eine dezidiert persönliche Note. Auch, weil er die Passage selbst eingesungen oder besser gesagt eingesprechsungen hat. Doch wird die Stimme natürlich manipuliert. So wie schon die Computer-Stimme auf „Odi et Amo" - rückwirkende Korrektur: Um einen Vocoder handelte es sich wohl dabei doch nicht, wie ich im Februar noch behauptet habe - mit einer Grenzüberschreitung zwischen dem Humanen und der Technologie spielte, widmet sich dieses Stück dem nun noch intensiver. Interessant sind in dem Kontext auch die komplett funktionalen Wartungsanweisungen, die du bereits erwähnt hast. Die stammen vom selben Tape, das Jóhann Senior dereinst verwendete, um seine Sound-Experimente mit dem IBM 1401 aufzunehmen. Überreste also, die damals noch nicht vom Menschen aus dem Technischen entfernt wurden und nun also wieder für ein zutiefst menschliches Projekt urbar gemacht wurden. Das hat auch deshalb etwas sehr Bewegendes, weil die Technologie, deren Pflege hier detailliert beschrieben wird, bei der Entstehung des Albums bereits längst schon wieder obsolet ist - wir befinden uns im Laptop-Zeitalter, das Web 2.0 ist im Aufblühen. Da schwingt also eine Form von Trauer mit, die auch spätere Arbeiten Jóhannssons prägt. „...And in the Endless Pause There Came the Sound of Bees" natürlich, genauso aber „Fordlandia" und „The Miners' Hymns" sowie schließlich „Orphée", das sehr ähnliche Motive aufnimmt. Ich denke, Jóhannsson etabliert hier endgültige die prägenden Themen seiner Arbeiten als freier Komponist: Fortschritt und die Verluste, die damit unweigerlich einhergehen. Soweit dazu. Wie gefällt dir dieses Album eigentlich, so als Hörer?