Knapp zweieinhalb Jahre nach dem Verbrechen an den 43 Studenten von Ayotzinapa erheben die Vereinten Nationen schwere Vorwürfe gegen die mexikanische Justiz. Das UN-Hochkommissariat für Menschenrechte (UNHCHR) kritisierte eine interne Untersuchung der Generalstaatsanwaltschaft zu den Anschuldigungen; Polizei und Justiz hätten in dem Fall Geständnisse von angeblichen Tätern mit Folter erpresst. Das von der Untersuchungskommission vorgelegte Ergebnis sei eine „verlorene Chance", die Täter zu benennen, sagte der UNHCHR-Vertreter in Mexiko, Jan Jarab, am Mittwoch.
Der Bericht der Kommission benannte lediglich „leichte administrative Vergehen" von neun Justizvertretern, fand aber keine Anhaltspunkte für Menschenrechtsverbrechen. Dabei lägen dem UNHCR-Büro in Mexiko „überzeugende" Beweise vor, die Folter in mehreren Fällen, unrechtmäßige Festnahmen sowie Verletzungen der Rechte Beschuldigter belegten.
Auf Basis der so erzwungenen Beweise hat die mexikanische Justiz ihre „historische Wahrheit" konstruiert, wonach die Opfer in der Nacht auf den 27. September 2014 von einem kleinen lokalen Drogenkartell in der Stadt Iguala im Bundesstaat Guerrero in Komplizenschaft mit der örtlichen Polizei und dem korrupten Bürgermeister verschleppt und getötet wurden. Anschließend seien die Leichen auf einer Müllkippe in der Nähe verbrannt worden. Diese Version ist von mehreren Experten als frei erfunden widerlegt worden.
Immer noch offene FragenAber mit dem neuen internen Untersuchungsbericht der Staatsanwaltschaft, der vom 9. Februar datiert, hält die Justiz mit Deckung der Regierung an ihrer Linie fest, das Verbrechen abschließen und nicht wieder aufrollen zu wollen. Das sei umso bedauerlicher, betonte UN-Vertreter Jarab, als der Fall der 43 Studenten „emblematisch" für Mexikos Umgang mit Menschenrechtsverbrechen sei.
Gut 29 Monate ist es jetzt her, dass die 43 Studenten der mexikanischen Landuniversität Ayotzinapa auf mysteriöse Weise verschwanden. Das Verbrechen an den jungen Männern empörte damals die ganze Welt, aufgeklärt ist es aber trotz internationalen Drucks und massiver Proteste der Angehörigen noch immer nicht. Eltern, Geschwister und Freunde glauben die offizielle Version nicht und erheben schwere Vorwürfe gegen Staatschef Enrique Peña Nieto: „Señor presidente, Sie schulden uns und dem Land das Leben unserer Kinder und die Wahrheit, was damals passiert ist". Die Angehörigen haben Peña Nieto ein Ultimatum bis zum 9. März gestellt, um neue Ermittlungsergebnisse zu präsentieren. Andernfalls wollen sie ihre Proteste intensivieren.
Es fehlt der politische Wille, das Verbrechen wirklich zu ahnden. Carlos BeristainAuch Carlos Beristain, Ex-Mitglied der Kommission der Sonderermittler (GIEI), die von der Interamerikanischen Menschenrechtskommission seinerzeit bestellt wurde, wirft dem mexikanischen Staat Verschleppungstaktik vor.
„Es fehlt der politische Wille, das Verbrechen wirklich zu ahnden", sagt er. Der Staat zeige keinerlei Einfühlungsvermögen für das Leid der Familien. „Es gibt in Mexiko keinen Ausweg aus dem fatalen Kreislauf von Verbrechen, Straflosigkeit und Korruption", betont Beristain und erinnert daran, dass in ganz Mexiko 26 000 Menschen als vermisst gelten. Die 43 Studenten von Ayotzinapa sind nur die bekanntesten unter ihnen.
An diesem Vergessen und der Gleichgültigkeit versucht die Investigativjournalistin Anabel Hernández zu rütteln. Sie hat eine Untersuchung vorgelegt und beschuldigt darin das in Iguala stationierte 27. Infanteriebataillon der entscheidenden Mittäterschaft. Demnach überwachten in der tödlichen Nacht die Soldaten nicht nur die Geschehnisse, sondern beteiligten sich auch an den Angriffen auf die Studenten. Aber der Tod der jungen Männer sei zumindest vom örtlichen Drogenboss nicht gewollt gewesen, schreibt Hernández in ihrem Buch „Die wahre Nacht von Iguala" (La verdadera noche de Iguala).
„Nach meinen Recherchen waren es die Streitkräfte, die organisierten und orchestrierten, dass lokale Polizeikräfte, Bundespolizei und Soldaten die Busse angriffen, die von den Studenten gekapert worden waren", sagt die Autorin. Die jungen Lehramtsanwärter wollten mit den gekaperten Bussen nach Mexiko-Stadt zu einer Demonstration fahren und hatten keine Ahnung, dass sich in den Bussen Heroin im Wert von zwei Millionen Dollar befand, wie Hernández schreibt.
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