Maleeha Zamarai wird sich gleich mit einem Mädchen treffen, das gerade die schlimmste Reise seines Lebens erlebt hat. Eine 13-Jährige, aus Somalia geflohen, allein, ohne Familie. Irgendwie ist es nach Deutschland gekommen, mit einer der Schlepperbanden, die aus der Flüchtlingsnot Kapital schlagen. Wahrscheinlich losgeschickt von den eigenen Eltern, die sich für ihr Kind ein besseres Leben in der Fremde versprochen haben.
Maleeha Zamarai studiert Jura und wird sich um das Mädchen kümmern. Sie wird ihr bei der Anhörung vor dem Beamten des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge helfen, wo am Ende über ihren Asylantrag entschieden wird. Maleeha Zamarei arbeitet in der Refugee Law Clinic (RLC) der Uni Gießen, so wie ein gutes Dutzend anderer Studenten.
Sie kümmern sich um Asylbewerber und Flüchtlinge, die in Gießen auf ihr Verfahren warten. Dort steht die zentrale "Erstaufnahmeeinrichtung" von Hessen, tausend Menschen sind hier untergebracht. Dazu kommen die minderjährigen Flüchtlinge, die Sozialarbeiter in Wohnungen betreuen, wie das Mädchen aus Somalia.
Maleeha Zamarai wird dem Mädchen ihre Hilfe anbieten. Vielleicht hört sie einfach zu und lässt sich die Geschichte der Flucht erzählen: Armut, Krieg, Verfolgung. Auch Maleeha Zamarai ist als Kind aus Afghanistan geflohen. Allerdings war ihr Vater schon in Deutschland und hatte nach seiner Asylanerkennung die Aufenthaltserlaubnis für seine Familie erhalten.
"In Vorlesungen haben sie nie mit richtigen Schicksalen zu tun"
Viele Studenten, die sich in der Law Clinic engagieren, hätten selbst einen Migrationshintergrund, sagt Paul Tiedemann, Richter am Frankfurter Verwaltungsgericht und dort mit strittigen Asylfällen befasst. Er hatte die Idee zur Law Clinic in Gießen, der ersten in Deutschland. Mittlerweile gibt es ähnliche Einrichtungen auch in Köln.
Tiedemann war die Juristenausbildung zu theoretisch: "In den Vorlesungen haben die Studenten immer nur mit Fällen zu tun, bei denen es um anonyme Personen A oder B geht, nie mit richtigen Schicksalen", sagt er. In Osteuropa hatte er Refugee Law Clinics an Hochschulen kennengelernt, da war das anders. Doch in Deutschland waren solche Uni-Initiativen bis vor wenigen Jahren gar nicht erlaubt. Erst nach einer Gesetzesänderung dürfen auch Studenten als Rechtsberater arbeiten.
Die sind begeistert: Die Vorlesung, die Tiedemann als Vorbereitung auf die Arbeit in der Law Clinic hält, ist inzwischen übervoll. Begonnen hat er mit zehn Hörern, jetzt sind es 60, einige auch von anderen Hochschulen. "Jura-Studenten kann man, grob gesagt, in drei Gruppen aufteilen: diejenigen, die Geld machen wollen, solche, die nicht wussten, was sie sonst studieren sollten. Und die Idealisten: Denen liegen Recht und Gerechtigkeit am Herzen." Bei der RLC-Clinic, sagt er, sind die aus der dritten Gruppe.
Engagement ist tatsächlich gefragt: Es dauert Monate, bis RLC-Nachwuchskräfte fit genug für die Beratung sind. Asylrecht sei kompliziert, sagt Tiedemann, und "in vielen Aspekten absolut unlogisch". Deswegen werden die Studenten erst fest ins Team eingebunden, wenn sie Tiedemanns Vorlesung besucht und ein Praktikum gemacht haben, zum Beispiel bei einem Fachanwalt oder einer Flüchtlingsberatung. Danach begleiten sie erst mal andere Law-Clinic-Studenten, bevor sie eigenständig helfen.
Wer seine Anhörung verpatzt, dem droht die Abschiebung
Laura Hilb hat das bereits hinter sich. Sie bereitet Asylbewerber auf die Anhörung beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge vor. "Die Flüchtlinge kennen natürlich das ganze Verfahren nicht und können selten Deutsch", sagt sie. "Sie sind schon x-mal befragt worden, von allen möglichen Leuten: an der Grenze, in der Aufnahmeeinrichtung. Wir müssen ihnen verdeutlichen, dass die Anhörung beim Bundesamt die absolut wichtigste Schilderung ist."
Bekommen die Flüchtlinge kein Asyl in Deutschland, werden sie abgeschoben - das hängt von der mehrstündigen Befragung ab, und dem Bild, das sich der Bundesamtmitarbeiter von den Antragstellern und ihrer Geschichte macht. Doch nicht immer läuft das fair ab: Häufig stellen Laura Hilb und ihre Kommilitonen fest, dass die Übersetzer nicht gewissenhaft genug arbeiten.
So wie bei Maruf Rahmani, der seinen richtigen Namen nicht nennen will. Er kommt aus Afghanistan, hat dort Germanistik studiert und kann recht gut Deutsch. "Bei meiner Anhörung kam es sehr oft vor, dass ich den Übersetzer verbessern musste", sagt er.
Zum Beispiel, als es dort über Einzelheiten seiner Flucht ging. Auf welchem Weg er nach Deutschland gekommen ist, wie lange es gedauert hat, welche Umwege, welche Transportmittel. Damit soll geprüft werden, ob Asylbewerber tatsächlich ihre wahre Geschichte erzählen oder sich nur etwas ausgedacht haben. Plausibel und nachvollziehbar soll es sein.
Trotz der Übersetzungsprobleme ist sich Maruf Rahmani sicher, dass er seine Flucht überzeugend schildern konnte. Und dass er seine Anerkennung als Asylberechtiger erhält. Wenn nicht, werden die Gießener Studenten ihn beraten, wie er Widerspruch einlegt und sich auf ein mögliches Verfahren beim Verwaltungsgericht vorbereitet. Und dass er an diesem Punkt einen Anwalt engagieren sollte. Um zu wissen, wann sie einen Fall abgeben müssen, treffen sich die ehrenamtlichen Mitarbeiter alle paar Wochen mit Professor Tiedemann, um ihre Fälle zu besprechen.
Für akute Hilfe gibt es außerdem eine Hotline von Jura-Professoren und Anwälten, um Fragen zu klären. Und eine andere Telefonnummer von Psychologen und Psychiatern der Uni Gießen, die mit den Helfern sprechen, falls die von den Schilderungen der Flüchtlinge überfordert sind. "Beide Telefonnummern", sagt Tiedemann, "sind noch nie in Anspruch genommen worden."
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