Kirsten Schwieger

Journalistin, freie Autorin, Texterin, Hamburg

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Keine Angst vor Paarsymbiose | beziehungsweise

Je länger ein Paar zusammen ist, desto ähnlicher wird es sich auch optisch. Sogar Mimik, Gestik, Sprachmelodie, Stimme, Schlafrhythmus und Bakterienflora gleichen sich an. Bis auf letzteres, allesamt Anzeichen für eine harmonische Partnerschaft

Wenn Paare nach zehn Jahren hören, dass sie glatt als Geschwister durchgehen könnten, mag das die Liebenden irritieren. Dabei ist es eigentlich ein Kompliment - es sei denn, die Aussage begründet sich auf einen präpensionären Partnerlook á la Jack Wolfskin. So hat ein Wissenschaftler der Universität Michigan bewiesen, dass insbesondere glückliche Paare mit der Zeit immer ähnlichere Gesichtszüge aufweisen. Nach einer Beziehungsdauer von 25 Jahren ähneln sich viele Paare derart, dass selbst Unbekannte eine Zusammengehörigkeit identifizieren.

Spuren gemeinsamer Erfahrungen

Zwar werden bereits bei der Partnerwahl unbewusst Kandidaten bevorzugt, deren Gesichtszüge den eigenen ähneln. Und auch eine jahrelang ähnliche Ernährungsweise und Lebensführung spielt gewiss eine Rolle bei der Annäherung des physischen Erscheinungsbildes. Doch das Forscherteam um den US-Psychologen Robert Zajonc hatte noch eine weitere Erklärung für diesen ansehnlichen physischen Partnerlook: Jahrzehntelanges gemeinsames Lachen aber auch Weinen lässt ähnliche Lach- und Sorgenfalten in den Gesichtern der Partner entstehen. Gemeinsam gemachte Erfahrungen hinterlassen also dieselben Merkmale in den Gesichtern eines innig verbundenen Paares.

Prägungen unbewusster Nachahmung

Doch nicht nur gemeinsame Erfahrungen schlagen sich äußerlich nieder. Auch das unbewusste Nachahmen der Mimik des geliebten Gegenübers führt dazu, dass sich Paare mit der Zeit immer ähnlicher sehen. Die gewohnheitsmäßige Betätigung der immer gleichen Gesichtsmuskeln führt auch hierbei zu langfristigen Veränderungen von Gesichtsmerkmalen. Tauschen sich Paare über die Jahre also kontinuierlich viel aus, gleicht sich auch deren Mimik an. Und nicht nur diese. Auch Körperhaltung, Satzmelodie und Stimmungslagen werden unbewusst imitiert und adaptiert. Emotionales Spiegeln oder Mimikry heißt dieses Phänomen in der Fachwelt. Vielen wird der Begriff Chamäleon Effekt geläufiger sein.

„Spiegelst du mich noch?"

So ist der Chamäleon Effekt beim Flirten besonders ausgeprägt. Körperbewegungen synchronisieren sich, der „Nachahmer" wird automatisch als anziehend empfunden. Denn die imitierte Mimik und Gestik signalisiert, auf derselben Wellenlänge zu sein. Doch auch im weiteren Beziehungsverlauf bleiben die Spiegelneuronen aktiv. Zumindest in harmonischen Partnerschaften. Paare, die mehr oder weniger aneinander vorbeileben, spiegeln sich nicht mehr emotional. Gegenseitiger Blickkontakt wird dann eher vermieden und die Bereitschaft, sich auf die Stimmungen und die Gefühlswelt des anderen einzulassen, verschwindet.

Schlafrhythmus als Beziehungsbarometer

Teilen glückliche Paare ein Bett, passt sich sogar ihr Schlafrhythmus aneinander an. So konnten Forscher der University of Pittsburgh beweisen, dass solche Paare ihren Schlaf-Wach-Rhythmus durch alle Schlafphasen hindurch synchronisieren. Insbesondere die Beziehungszufriedenheit der Frau soll angeblich deutlich am Grad der nächtlichen Schlafsynchronisation abgelesen werden können.

Gemeinsame Flora

Neben dem Bett teilen die meisten Paare auch noch ihre Bakterien (von Haut und Mundschleimhaut). Das fanden Forscher der University of Waterloo heraus. Bereits neun Küsse pro Tag führten schon dazu, dass sich die Mundflora von Paaren dauerhaft angleicht. Was ziemlich unromantisch klingt, kann leider auch gesundheitliche Nachteile mit sich bringen. So konnte das Forscherteam belegen, dass die Übertragungsrate von Parodontose-Bakterien mit über 36 Prozent bei Paaren besonders hoch lag. Diese Bakterien bewirken nicht nur einen Rückgang des Zahnfleisches, sondern erhöhen auch das Risiko für Herzinfarkt und Schlaganfall.

Geteiltes Leid ist halbes Leid?

Grundsätzlich birgt die Paarsymbiose in Punkto Gesundheit einen kleinen Wermutstropfen. So brachte  eine Studie der University of Nottingham zu Tage, dass Bluthochdruck, erhöhter Cholesterinspiegel und Herz-Kreislauf-Erkrankungen eines Partners, das Erkrankungsrisiko des anderen verdoppeln. Bei Magengeschwüren, Asthma und Depressionen erhöht sich die Erkrankungs-Wahrscheinlichkeit sogar um 70 Prozent. Doch jetzt nur keine Panik. Diverse Studien attestieren Verheirateten eine höhere Lebenserwartung als Alleinstehenden. Dennoch, zu viel Verbundenheit kann mitunter auch weh tun: So zeigte ein anderes Experiment, dass bei innig miteinander verbundenen Paaren nicht nur das Schmerzzentrum des Gehirns angeregt wird, wenn der Person selber im Versuch physischer Schmerz zugefügt wurde, sondern auch, wenn sie den Schmerz beim Partner miterlebt hat.

Wann die Reißleine ziehen?

Bis auf diese Wermutstropfen ist es also nur positiv zu bewerten, wenn Paare mit der Zeit optisch zu einem gemeinschaftlichen Prototyp morphen. Der physische Partnerlook ist also unbedenklich. Was gut ist, ist er doch sowieso nicht beeinflussbar. Erst wenn Mimik, Gestik und Stimme eines Paares irgendwann derart konform gehen, dass Psychologen wie Cameron Anderson von der kalifornischen Berkeley University dabei von „derselben emotionalen Person“ sprechen, fängt die emotionale Konvergenz womöglich an, bedenklich zu werden. Kommt es darüber hinaus zu einer vollkommenen Angleichung persönlicher Interessen und Verhaltensweisen, sollten die Alarmglocken langsam anfangen zu bimmeln. Spätestens wenn ein Paar anfängt, die Sätze des jeweils anderen zu beenden und nur noch von „wir“ spricht , sollte die Reißleine gezogen werden. Oder zumindest ein wenig gekappt. Vielleicht, indem die gemeinsame E-Mailadresse zugunsten zweier eigener aufgegeben wird. Oder der Jack Wolfskin Partnerlook eingemottet wird.


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