Beim Weltwirtschaftsforum in Davos hat er den Mächtigsten dieser Welt die Leviten gelesen, sein erstes Buch „Utopien für Realisten" ist ein internationaler Bestseller. Jetzt ist Rutger Bregman zu Gast im Literarischen Salon gewesen - und hat ein bemerkenswertes Plädoyer für den guten Menschen gehalten.
Das Szenario ist schnell erzählt: Ein Flugzeug muss notlanden, und die Kabinen füllen sich mit Rauch. „Wie würden die Menschen in diesem Flugzeug reagieren?“, fragt NDR-Moderatorin Andrea Schwyzer. Der Historiker und Journalist Rutger Bregman, der neben ihr auf dem Podium des Literarischen Salon sitzt und simultanübersetzt wird, ist sich sicher: Sie würden sich gegenseitig helfen und nicht – wie oft vermutet – in Panik verfallen.
Intellektueller Shootingstar
Rutger Bregman ist so etwas wie ein intellektueller Shootingstar. 2014 veröffentlichte er sein erstes Buch „Utopien für Realisten“, in dem er für ein bedingungsloses Grundeinkommen und die 15-Stunden-Woche plädiert. Der Bestseller wurde bis heute in 30 Sprachen übersetzt. Im vergangenen Jahr warf er beim Weltwirtschaftsforum in Davos den dort versammelten Millionären vor, zu wenig Steuern zu bezahlen. Das Video von der Aktion ging viral und hatte innerhalb weniger Tage Klicks in Millionenhöhe.
Nun hat er ein neues Buch geschrieben. Titel: „Im Grunde gut – eine neue Geschichte der Menschheit“. Darin stellt der 31-jährige Niederländer die These auf, dass der Mensch im Grunde doch irgendwie besser sei als angenommen – die Antithese zur Diagnose von Thomas Hobbes, dass Zivilisation nur die dünne Firnis ist, die das barbarische Tier in uns schützt.
Survival of the friendliest
Beispiele für das Gute und insbesondere grundlegend Solidarische im Menschen hat Bregman viele: Wer sich etwa in Nomadenzeiten egoistisch verhielt, sei einfach von der Gruppe ausgeschlossen oder getötet worden. „Zu Jäger-und-Sammler-Zeiten überlebte der am besten, der am freundlichsten war“, sagt Bregmann. „Trump hätte es nicht lange gemacht“.
Auch Experimente, die die Gehorsamkeit des Menschen selbst bei Grausamkeiten beweisen sollen, seien oft falsch interpretiert worden. Etwa das Milgram-Experiment, bei dem Probanden einem anderen Menschen auf Anweisung des Versuchsleiters Stromstöße versetzten.
„Die Probanden dachten, dass sie dem Versuchsleiter helfen, etwas Gutes zu tun“, sagt Bregman. „Das ist zwar nur ein kleiner Unterschied– er hat aber eine große Wirkung bei der Frage, ob der Mensch grundsätzlich gut ist.“
Töten ist nichts Natürliches
Wie kann es dann aber sein, dass Menschen sich trotzdem gegenseitig töten? „Wir sind natürlich keine Engel“, sagt Bregman. Töten sei aber etwas, dass uns Menschen schwerer falle, als man denke. „Wenn man ,Game of Thrones’ oder ,Star Wars’ schaut, denkt man, es sei einfach, jemandem ein Schwert in den Bauch zu rammen.“
Die Realität sehe aber anders aus: Studien zufolge feuerten nur 15 bis 20 Prozent der Soldaten der Allierten im Zweiten Weltkrieg ihre Gewehre überhaupt ab. Der meiste Schaden entstand durch Artillerie-Geschosse, bei denen die Opfer abstrakt werden. „Töten ist nichts Natürliches für Menschen“, sagt Bregman.
Eine Utopie, die funktioniert?
Hinter dem neuen Menschenbild, das Bregman zeichnet, steht natürlich auch eine Utopie. Denn wenn der Mensch im Grunde gut sei, müsste die Gesellschaft nach ganz anderen Regeln aufgebaut werden. „Was Sie annehmen, ist das, was Sie aus ihnen herausholen“, betont Bregman mehrmals auf dem Podium – und seine Beispiele geben ihm Recht.
Etwa das von dem Gefängnis Halden in der Nähe von Oslo, Norwegen: Die Insassen werden deutlich humaner behandelt als in anderen Gefängnissen, dürfen sich frei bewegen und haben viele Freizeitmöglichkeiten. Eine Philosophie, die funktioniert: Die Wahrscheinlichkeit, dass die Insassen nach der Haft wieder kriminell werden, ist Studien zufolge verschwindend gering.
Im Zweifel ein Witz
Er selbst sieht sich erfrischend entspannt nur als Sprachrohr, als Teil einer Bewegung. „Wenn ich dieses Buch nicht geschrieben hätte, hätte es jemand anderes gemacht.“ Aber er hat verstanden, wie er die Aufmerksamkeit um sich erfolgreich nutzen kann. „Was mich am meisten interessiert, ist, dass diese Geschichten erzählt werden.“
So präsentiert er sich auch im Literarischen Salon. Die knapp 100 Zuschauer lachen oft an diesem Abend. Seine Thesen trägt Bregmann im Plauderton vor, ist charismatisch und witzig. Das ist zwar unterhaltsam, nimmt den Theorien aber seine Dringlichkeit und Ernsthaftigkeit. Die Theorien sind spannend, und Bregmann zitiert zahlreiche Studien, um seine Thesen zu belegen. Aber er begegnet Gegenargumenten zumindest auf der Bühne im Zweifel lieber mit einer lustigen Pointe als mit einer klaren Haltung.
Dabei ist es eigentlich, wie Bregman auch selbst auf der Bühne sagt: Eine Revolution erreicht man nicht mit einem Im-Grunde-gut-Gefühl, sondern mit Dringlichkeit.Lesen Sie auch
Von Kira von der Brelie
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