Der Cirque du Soleil gastiert mit seiner 25. Produktion „Ovo“ im März 2018 in der Tui-Arena. Mit den alternativen Kleinkünstlern von den Straßen Baie-Saint-Pauls hat der Zirkus-Gigant allerdings nur noch wenig gemein.
Gerard „Gerry" Regitschnig wusste schon früh, was er will. „Ich möchte ein Clown sein", sagte er zu seiner Mutter - da war er gerade zwölf Jahre alt. 1991 wurde sein Wunsch wahr: Durch ein Schulprojekt bekam der gebürtige Österreicher eine Stelle beim Schweizer Zirkus Knie, ein Jahr darauf engagierte ihn der Cirque du Soleil zum ersten Mal. Heute hat er als grellbunter Käfer-Clown Master Flipo einen festen Platz im Ensemble der Cirque-du-Soleil-Show „Ovo" (Portugiesisch für „Ei"), die im März fünf Tage lang in der Tui-Arena gastiert.
Der 1984 von Guy Laliberté gegründete Cirque du Soleil ist einer der populärsten Zirkusse der Welt. Über 160 Millionen Zuschauern weltweit haben seit seiner Gründung schon eine Vorstellung des Sonnenzirkus gesehen. Aus den 20 Straßenkünstlern der kanadischen Stadt Baie-Saint-Paul, die zum Gründungsensemble gehörten, ist heute ein internationales Unternehmen mit rund 4000 Mitarbeitern geworden. Erst in diesem Jahr hat der Cirque du Soleil seinen Einfluss in der Unterhaltungsindustrie mit dem Kauf der populären „Blue Man Group" weiter ausgebaut.
Dabei ist der anhaltende Erfolg des Cirque eher branchenuntypisch: Immer wieder kämpfen die Traditionsunternehmen um ihre Existenz, erst in diesem Jahr musste der US-Zirkus Ringling Brothers aufgeben. Umstrittene Tierdressuren sind einer der Gründe für sinkende Besucherzahlen. Aber der Cirque du Soleil ist auch kein gewöhnlicher Zirkus: Jede Show erzählt eine Geschichte und Tiere gibt es nur in Form von verkleideten Künstlern. Charakteristisch ist die Kombination aus Artistik, Live-Musik, Clownerie und Geschichtenerzählen - das funktioniert in Rio de Janeiro genauso wie in Mannheim. Dafür muss der Cirque sich immer wieder neue Geschichten ausdenken: Mal geht es um griechische Mythenfiguren im Wald („Varekai"), mal um shakespeareske Fabelwesen auf einer Insel („Amaluna").
Surren, Brummen, Bossa Nova
Der Plot ist meist nicht sonderlich tiefsinnig, sondern gibt dem Bühnengeschehen einen Kontext. Schillernde Kostüme, beeindruckende Artistik und eine nette Geschichte - das ist die Erfolgsformel des Cirque. Alle paar Tage werden die Bühnen wieder abgebaut und die Crew zieht mit 23 vollgepackten Lkws weiter zur nächsten Stadt. Jetzt ist der Cirque du Soleil mit dem familientauglichen Insektenspektakel „Ovo" auf Europa-Tour.
Darin geht es um das Leben in einem surrenden Ökosystem aus Grillen, Ameisen, Käfern und Spinnen: Die üppige Marienkäferdame (Neiva Nascimento) verliebt sich in den schlaksigen Fliegenkäfermann (Jan Dutler). Dieser bringt mit einem fremden Ei auf dem Rücken Aufregung ins Insektenlager. Das kann man nicht nur sehen, sondern auch hören: Es surrt und brummt kontinuierlich auf der Bühne, eine Band hinter der Bühne spielt brasilianische Musik im Bossa-nova-Stil, während sich die Künstler auf der Bühne grazil verbiegen.
So bekannt der Cirque du Soleil ist, so umkämpft sind auch die Plätze im multinationalen Ensemble: 7200 Künstler bewerben sich jedes Jahr um einen Platz - davon kommen gerade einmal 6 Prozent auf eine Liste potenzieller Artisten. Clown Gerry Regitschnig ist einer der wenigen, die schon lange regelmäßig dabei sind. Und seine Routine merkt man ihm an: Lässig schlendert der glatzköpfige Wahlspanier durch die Katakomben der Hamburger Barclaycard Arena, in denen Artisten in Trainingsklamotten essen oder an ihm vorbei durch die grauen Gänge joggen.
Das geschäftige Treiben hinter der Bühne gleicht dem flirrenden Ökosystem der Show. Inmitten des Trubels wirkt Regitschnig mit seinen breiten Schultern, der untersetzten Statur und der gelassenen Gestik wie ein Ruhepol. Mit 51 Jahren ist er der Älteste, die meisten Akrobaten sind zwischen 23 und 27 Jahren, der jüngste ist 20 Jahre alt. „Ich bin der Papa hier", sagt er und grinst.
Von den 100 Mitarbeitern der „Ovo"-Kolonie sind lediglich die Hälfte Artisten. Der Rest kümmert sich um Technik, Sound, Kostüme, Management, Physiotherapie oder Catering - die schillernde Unterhaltungsshow ist eben auch ein logistisch durchorganisiertes Unternehmen. „Wir sind eine wandernde Stadt", sagt Cirque-Sprecher Nicolas Chabot - mit den alternativen Kleinkünstlern von den Straßen Baie-Saint-Pauls hat der Zirkus-Gigant nur noch wenig gemein.