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Meine Nachkriegs-Kindheit im KZ

Katharina Szimayer besucht noch heute mehrmals im Monat die KZ-Gedenkstätte

Dachau - Das Konzentrationslager Dachau. Ein Ort der Demütigung. Ein Ort der Gewalt, des Naziterrors, des Todes. Für Katharina Szimayer (73) ist das ehemalige KZ vor allem eines: Ein Ort der Hoffnung.


Heute jährt sich der Tag der Befreiung des KZ Dachau durch amerikanische Soldaten zum 71. Mal. Nach dem Krieg wurde das Gelände als Flüchtlingsheim genutzt. Katharina Szimayer verbrachte dort neun Jahre ihrer Kindheit. „Dachau war immer mein Zuhause. Ich habe Sehnsucht nach diesem Ort", sagt sie heute, wenn man sie nach ihrer Zeit im Lager fragt.

Im Winter 1944/1945 wurde die Familie aus dem ungarischen Szomor unweit von Budapest vertrieben und musste den eigenen Bauernhof aufgeben. Für Katharina, ihre Mutter Klara, die älteren Geschwister Michael und Klara und die beiden Großmütter begann eine jahrelange Odysee. 

Mit dem Dampfer über die Donau ins zerbombte München. Leben bei Bauern im Dachauer Hinterland und später im Durchgangslager Rothschwaige bei Karlsfeld. Der Tod des Vaters als Soldat im Krieg, beim Kampf gegen die Rote Armee. Und immer diese Ungewissheit: Wie geht es weiter?

1948 kam Katharina schließlich mit ihrer Familie ins ehemalige KZ nach Dachau. Gemeinsam mit ihrer Mutter und den Geschwistern bezog die damals 5-Jährige eine 32 Quadratmeter große Wohnung in Baracke 10. Zwei Zimmer, einfache Möblierung für 10 Mark Miete im Monat. 

Pro Baracke teilten sich 60 Menschen je zwei Gemeinschaftstoiletten und zwei Räume zum Wäschewaschen. Im Winter war es eisig kalt. Im Sommer krabbelten Wanzen und anderes Ungeziefer aus den Wänden. Ein Überbleibsel aus der Lagerzeit, als zehntausende Menschen unter katastrophalen hygienischen Bedingungen in den Baracken eingesperrt waren.

Die Mutter arbeitete als Putzfrau im nahen Karlsfeld. Katharina und ihre Geschwister gingen in die Lagerschule. Im ehemaligen KZ kehrte endlich so etwas wie Alltag ein. Jeden Tag besuchten die Kinder die Frühmesse bei Pater Roth in der Barackenkirche. Von außen kaum als Gotteshaus zu erkennen. „Pater Roth war für mich eine wichtige Bezugsperson. Ich hatte ja keinen Vati mehr", erklärt Katharina Szimayer. Für den täglichen Bedarf gab es Metzgereien, Lebensmittelgeschäfte, eine Schreinerei und sogar einen Fahrradladen. Abends traf man sich beim Brunner-Wirt in Baracke 1 auf ein Bier, ging ins Kino oder in den Tanzsaal.

Trotzdem vergaß niemand was hier im sogenannten „Wohnlager Dachau Ost" nur wenige Jahre zuvor passiert war. „Die Erwachsenen waren sehr demütig. Sie wussten ja was das für ein Ort war. Das war nicht leicht", erinnert sich Katharina. Auch den Kindern erklärte man früh die Gräueltaten der Nazis. Gemeinsam mit Pater Roth und ihren Lehrern besuchte sie schon als Schulkind das Krematorium: „Aber wir waren halt Kinder. Wir waren zu jung und unbekümmert, um die dunkle Vergangenheit zu begreifen."

Am liebsten jagte sie mit ihrem älteren Bruder Michael durch das Lager, krabbelte durch verwaiste Geheimgänge der SS oder spielte mit Murmeln - nur unweit der Außenmauer des ehemaligen Konzentrationslagers. „Für uns war das alles spannend. Das Gelände ein großer Abenteuerspielplatz", so die Rentnerin.

1957 verließen die Szimayers schließlich als eine der ersten Familien das Wohnlager und zogen in eine Neubauwohnung in der Dachauer Roßwachtstraße. Katharina machte eine Ausbildung zur Fotolaborantin, arbeitete später als Kindermädchen für wohlhabende Familien in Nizza und Paris und lebte vorübergehend sogar in den USA.


Doch immer wieder zog es sie zurück nach Dachau. Zurück zu ihrer Mutter. Zurück an diesen schicksalhaften Ort: „Das Lager steckt für mich voller Emotionen. Sowohl positiver als auch negativer. Es ist der Mittelpunkt meines Lebens." Noch heute sieht sich Katharina Szimayer als Botschafterin Dachaus. Dafür, dass die Geschichte dieses Ortes niemals vergessen wird.  Zum Original