Katharina Wasmeier

Freie Journalistin, Autorin, Lektorin, Nürnberg

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Subkultur statt teure Lofts

Ein junger Mann flitzt auf einem Tretroller durch die riesige Halle. Aus einem geöffneten Fenster sind Gitarrenklänge zu hören. Und in einer Ecke steht eine alte Tischtennisplatte, an der sich gerade zwei Frauen ein wildes Match lieferten. Jetzt sind sie verschwunden - in den Aberhunderten von Quadratmetern, die einst eines der größten Versandhäuser Deutschlands beherbergten. Fast fünf Jahre nachdem das geschichts- und prestigeträchtige Unternehmen "Arcandor Quelle" in Insolvenz gehen musste, ist der Komplex mit 6,8 Hektar die nach dem Berliner Tempelhof zweitgrößte leerstehende Immobilie der Republik. Inzwischen hat sich hier eine illustre Subkultur gebildet, die einen möglichen Weg aufzeigt, der mit "der Quelle" beschritten werden könnte. "Wir kaufen die Quelle" lautet der Name eines Vereins, der sich im vergangenen Jahr gegründet hat. Sein Ziel: Das riesige Areal zur "Stadt in der Stadt" machen - zu einem gigantischen multikulturellen und multifunktionalen Gemeindehaus für alle. Und nicht - wie derzeit geplant - zu einem Einkaufszentrum oder Luxus-Lofts. Für solche Konzepte sucht seit 2014 der portugiesische Investor Sonae Sierra Interessenten. Bislang anscheinend vergeblich. "Mitte 2015" sei die Deadline, sagt Projektleiter Martin Philippen. Wie es dann weitergeht, steht in den Sternen.

"Wir sind keine Traumtänzer und Spinner"

Nach den Wünschen des Vereins soll dagegen "ein Crowdfunding astronomischen Ausmaßes" ins Leben gerufen werden, um 25 Millionen Euro für den Rückkauf zu sammeln. "Eine durchaus schöne Idee", findet Philippen. Aber damit sei noch nichts instand gesetzt, nichts unterhalten. Ob das den Leuten eigentlich klar sei? Ist es. "Wir sind keine Traumtänzer und Spinner", sagt Christian Weiß, Künstler und Sprecher des Vereins. Er spricht von Denkfabriken, Gemeinnützigkeit und einem gigantischen Forschungsprojekt. Deswegen werde mit Universitäten und der freien Wirtschaft zusammengearbeitet. Man spreche mit Statikern, Architekten und Handwerkern und bittet jeden Mittwoch in die Quelle-Galerie "heute" zum Infotreff und Ideenfinden. Es sind viele Menschen, die sich mit der Quelle beschäftigen - nicht zuletzt die, die sich in den vergangenen Jahren hier eingerichtet haben, ihren Lebens- und vor allem Arbeitsmittelpunkt an die Fürther Straße verlegt haben, über der die denkmalgeschützte beige-braune Klinker-Fassade thront. Besonders deutlich wird der Stellenwert, den das Gebäude für Selbstständige, Firmen und verschiedenste Einrichtungen hat, im östlichen vierten Stock und der angrenzenden Dachterrasse. Wo einst Gartenmöbel ausgestellt wurden, gedeiht ein kleiner Garten. Große Schachfiguren warten auf die nächste Partie und überall finden sich Spuren der Kunst, deren Blüten sich mindestens einmal jährlich der Öffentlichkeit zeigen, wenn das "Quellkollektiv" zur "Sommerkollektion" lädt. Weil der Insolvenzverwalter Teile des Gebäudes für etwa vier Euro pro Quadratmeter vermietet, wächst und gedeiht hier, was immer ein kreativer Geist hervorzubringen vermag. Fotografen, Designer, bildende Künstler, Musiker - sie alle haben ihr Fleckchen gefunden. So auch Sebastian Watzinger. Der 35-jährige Komponist hat seit April 2012 hier sein Tonstudio, "weil die Umgebung so einen coolen Charme hat und der Preis unschlagbar ist". Einen anderen Vorteil sehen die Grafikerinnen Lea Hörl und Lena Bock (beide 27). Weil hier so viele unterschiedliche Professionen vertreten seien, ergebe sich "ein Ping-Pong an Ideen". Es gibt Tanzschulen und Oldtimer-Restauratoren, Glaskünstler und Modedesigner. Etwa 15 Prozent der Fläche seien derzeit langfristig vermietet, sagt Marco Junker, Geschäftsführer der Sicherheitsfirma. Das entspreche 36000 Quadratmetern. Weitere 8000 Quadratmeter sind derzeit temporär vermietet, als Lager beispielsweise. Was mit dem ganzen, gigantischen Rest ist, sagt er nicht. Es ist ein schier unübersichtliches Geflecht aus fußballfeldgroßen Hallen und dunklen Fluren, aus Treppenhäusern und Aufzügen, aus verborgenen Winkeln und Terrassen mit prächtiger Aussicht - kein Wunder, dass nur angemeldete Besucher durch die Pforte am Fuße des Quelle-Turmes dürfen. ( Katharina Wasmeier, dpa)


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