Katharina Wasmeier

Freie Journalistin, Autorin, Lektorin, Nürnberg

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Selleriegarde - Stars in der Fastnacht

In der Schulturnhalle sirrt die Luft. Von Flicflacs und Spagat, vor Pirouetten, Handstand, Salto, von unterschiedlicher Musik aus verschieden lauten Boxen. 30 Kinder und junge Frauen fliegen durch die Luft und über dicke Matten, lernen Schritte, strecken Füße, es wird getanzt und gedehnt, probiert und Anlauf genommen und geübt und geübt und geübt. Jeder Zentimeter Akrobatik, jede Haltung Disziplin, jeder Körper in Bewegung – na klar, Bodenturnen? Ganz und gar nicht. Wer hier so fleißig trainiert, das sind die Solisten der Garde-Truppe der Knoblauchsländer Karnevalsgesellschaft Buchnesia, also „die besten der Garde“, sagt Trainerin Ruth Angermeyer und erklärt damit auch gleich, was ein „Tanzmariechen“ ist: Die, denen die Sprünge am höchsten gelingen und die Beinstreckung am besten, die die längeren Tänze durchhalten und sich auf der Bühne wohlfühlen und „diese gewisse Ausstrahlung mitbringen, die das Publikum mitreißt“, sagt Lorena Ruthard, und sie muss es wissen. Seit ihrem fünften Lebensjahr tanzt sie Garde, seitdem sie sieben ist als Tanzmariechen – und gehört nicht nur damit zu den dienstältesten, sondern mit ihren 23 Jahren überhaupt ältesten Mariechen und Majoren, wie die männlichen Solisten heißen. Davon gibt es nicht mehr viele.

„Wir haben 150 Tänzer, aber leider keine gemischte Garde mehr“, erzählt Ruth Angermeyer. Seit fast 40 Jahren trainiert die 66-Jährige den Gardetanz – seit bald 30 Jahren so erfolgreich, dass die Buchnesia fast ununterbrochen den Titel „Fränkischer Meister“ trägt und damit traditionell den Gardetanz der Veitshöchheimer Fastnacht in Franken zeigt. Bis jetzt, denn erstmalig waren „die Besenbinder“ des KCR Röttenbach, der ewige Lieblingsfeind, besser. Klar, dass da der Ehrgeiz geweckt ist. Die Gelegenheit, zurückzukehren aufs Siegertreppchen, bietet sich schon bald: am 16.2. wird in Bayreuth die 54. Fränkische Meisterschaft ausgetragen. Bis dahin heißt es: üben! Sieben bis zehn Stunden pro Woche investiert Lorena Ruthard in ihren Sport, ihr liebstes Hobby. Dazu kommen deutschlandweit Turniere, Meisterschaftswettbewerbe, die im Oktober beginnen, mit dem Karneval ihren Höhepunkt erreichen und „erst ab März ein bisschen Ruhe einkehrt“. Schränkt das nicht ein im Leben einer jungen Frau, die als Industriekauffrau arbeitet und einen Partner hat? „Nein gar nicht“, versichert Lorena Ruthard. Der Freund sei selbst ein Sportler und verstehe, was dazugehört, die Freundinnen sind selbst fast alle in der Gardetänzerinnen, und die wenigen anderen „wissen Bescheid und akzeptieren das.“ Kein Gläschen Sekt beim Freitagsbrunch, weil am Sonntag Turnier ist? Okay.

Auf Essen und Gewicht wird aber nicht geachtet. „Ich esse, was ich will“, sagt das Mariechen, und auch Ruth Angermeyer weiß, dass beim Gardetanz oft Mädchen oder Jungen sind, die die überstrengenen Kunstturnerkriterien nicht erfüllen können oder mögen. Aber so lange sie sich bewegen, mithalten können, spiele das keine Rolle. „Ich sage nicht: Du bist zu dick für mein Team. Warum soll ich jemanden wegen eines Hobbys verletzen? Und ich will auch nicht fördern, dass jemand hungert.“ Was aber eine Rolle spielt, sind die jeweiligen Lebenssituationen, in denen die Gardisten sich befinden. „Ganztagsschulen sind ein Problem“, meint Ruth Angermeyer, denn damit lassen sich die nachmittäglichen Trainingszeiten für die kleinen nicht gut vereinen. Auch wer bis 20 Uhr arbeitet, der kann nicht tanzen. Und „die Studienzeiten der Mädels sind mittlerweile furchtbar, das hatten wir so früher nicht.“ Das mache die Vereine kaputt, daran habe auch der große Erfolg nichts geändert. Doch die Turniere, die großen Auftritte vor 5000 Zuschauern, die bleiben. Und auch die Aufregung.

Und der Ehrgeiz. „Dilettantismus passiert uns hier nicht“, sagt Ruth Angermeyer, die verstehen kann, dass Gardetanz bei manch einem kein großes Ansehen genießt – wenn eben das Niveau entsprechend niedrig ist. Bei der Buchnesia, dem „Sellerieorden“, wird Garde mit Disziplin, Anspruch und als Sport betrieben – und trotzdem nicht anerkannt, bedauert Ruth Angermeyer: „Weil wir mal in fünf Disziplinen Deutscher Meister waren, wurden wir zu Frau Merkel ins Bundeskanzleramt eingeladen. Das war der Wahnsinn! Aber die Presse? Interessiert das nicht.“ Dabei ist tanzende Buchnesia eine Besonderheit. Knapp 18 Karnevalsgesellschaften gibt es hier, „zu viele“, meint Ruth Angermeyer, „es wäre vielleicht besser, wenn man sich zusammentun würde.“ Die meisten haben eine Garde, aber „keine ernstzunehmende Konkurrenz.“ Und feiert man denn dann eigentlich selbst auch noch Fasching, wenn man schon so viel damit zu tun hat? „An den Karneval hab ich mich gewöhnt“, sagt Ruth Angermeyer. Und Lorena Ruthard: „Ich bin gar nicht so der Faschingstyp und feiere das nicht. Zu den Auftritten gehe ich, weil es dazugehört.“ Aber mindestens eine Sache ist dann doch ganz schön toll am Fasching: „Ich ess ziemlich gerne Krapfen.“