Katharina Wasmeier

Freie Journalistin, Autorin, Lektorin, Nürnberg

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Von Square Dance bis Renaissance - das Volk tanzt

Der „Volkstanz“ hat ein dröges Image. Wer jung, urban und flippig ist, macht Hiphop, Breakdance oder wickelt sich um Stangen – und vergisst dabei zu leicht, dass es sich auch hierbei eigentlich nur um die Fortentwicklung dessen handelt, was so spöttisch belächelt wird. „Volkstänze“ sind diejenigen Bewegungen, die zu in beinahe allen Kulturen zu traditionellen Festen oder in traditionellen Gesellschaften getanzt werden, bilden eine Einheit mit der jeweiligen Volksmusik und verbinden in lockeren Bewegungsabläufen die Völker über Generationen und Äonen hinweg – bis jetzt, denn was nicht den schmissigen Ruf eines Flamenco oder Samba innehat, der muss zusehen, wie seine Anhängerschaft sanft auf dem Fluss des Älterwerdens dem des Vergessens entgegenschaukelt. Doch es gibt gallische Dörfer (übrigens eine Landschaft, die man heute irgendwo zwischen Norditalien, Westdeutschland und Frankreich verortet und welche sich unzähliger folkloristischer Eigenheiten erfreut), die Röcke, Fahnen und Schürzen hochhalten ganz genau wissen, was sie an ihrem Volkstanz schätzen. Wie Manfred Lichius, der vor 20 Jahren dem Square Dance verfallen ist, heute dem HONEYCAKE Squares Nürnberg e. V. vorsitzt und sagt: „Ich war selbst skeptisch zu Beginn. Man muss das einmal ausprobieren: Entweder wird man vom Bazillus erwischt – oder man schmeißt eben wieder hin.“ Der heute 65-Jährige ist dabeigeblieben, tanzt jeden Mittwoch beim „Clubabend“ im Gemeinschaftshaus Gostenhof (Adam-Klein-Straße), weiß viel über die Geschichte des Volkstanzes, der zwar im kulturellen Vergleich ziemlich jung, aber – wie so vieles Amerikanische eben – eine Melange der Welt ist: „Entstanden ist der Square Dance in der Siedlerzeit“, so Lichius, als Menschen von überall her, aber in ausreichend großen Gruppen zusammenfanden, um sich ihrer eigenen Kultur zu hinzugeben. „Man hat sich Schritte aus verschiedenen Volkstänzen zusammengesucht, die mit einem Namen versehen“, erklärt Lichius die Besonderheit des „Callers“, der diese Namen ruft – und jeder Tänzer weiß, was das Kommando bedeutet. Das mag erstmal komisch klingen, ist aber in jeder herkömmlichen Aerobic-Stunde gar nicht anders. Der Vorteil: „Square Dance funktioniert überall auf der Welt.“ Aus der amerikanischen kam er nach dem zweiten Weltkrieg zurück nach Deutschland, wo 1974 Armeeangehörige ihre Lebkuchen-Reminiszenz gründeten: Die Honeycakes. Seitdem baut man hier aus den circa 70 gängigen Figuren, die endlos kombiniert werden können, unablässig muntere Tanzabende, bei denen man „extrem aufmerksam sein“ muss, denn nur wer den Caller hört und versteht, der weiß auch, was er zu tun hat. „Echtes Gehirnjoggin“, sagt Manfred Lichius, bei dem es keinen Wettbewerb gibt, keine Klassenunterschiede, das als Einzel- oder Paartanz funktioniert für mindestens neun Personen auf einen flotten 4/4-Takt – und völlig anders als der ausgesprochen traditionell Nürnberger, doch noch weitaus ungewöhnlichere Tanz, dem die hiesige Schembart-Gesellschaft sich verschrieben hat: Bis ins 14. Jahrhundert geht deren Geschichte zurück, als aus einem Handwerker-Aufstand entstand, was bis heute mit Würsten bewaffnet den Faschingsumzug anführt oder mit listiger Schrittfolge den Winter auszutreiben alljährlich sich anschickt. Die Schembarts haben Sackpfeifer und andere historische Instrumente, vor allem aber auch die überlieferten Schrittfolgen rekonstruiert und wieder zum Leben erweckt und üben diese „Gesellschafts- und Bühnentänze einer hochentwickelten und exquisiten Kultur“ mit viel Schweiß „aber noch mehr Spaß an der Sache“ immer dienstagabends in der Villa Leon (Philipp-Körber-Weg) ein. Ein nur viermaliges, dafür aber sehr breit gefächertes Erlebnis dürfte der Renaissance-Tanzkurs der Tänzerin und Tanzpädagogin Marie-Claire Bär Le Corre sein, der am 21.&29.9. und 5.&12.10. im Fembohaus (Burgstraße) wieder zu einer tänzerischen Zeitreise durch französische und englische Modetänze von der Renaissance bis zur Frühklassik einlädt. „Getanzt wurde überall: an Höfen, in Städten und Dörfern, auf Festen, Hochzeiten und politischen Empfängen, aber auch bei kleineren Versammlungen oder im Privatbereich. Tanzen zu können war wichtig, um in der Gesellschaft angemessen aufzutreten“, heißt es. „Nach der französischen Blütezeit kamen englische Tänze in Mode zunächst in Versailles und an anderen französischen Höfen, dann europaweit. Anglaisen, Contredanses und Cotillons sind die Vorgänger der Quadrille, die bis heute noch auf großen Bällen die Eröffnungszeremonie bestimmt. Tanz war aber auch Mittel, sich zu amüsieren, einander näherzukommen, soziale Kontakte zu pflegen und sich zu zeigen.“ Also überhaupt nicht anders als heutzutage auch. (Kursgebühr 40 Euro p. P., 70 Euro für Paare, 25 Euro für Jugendliche & Studenten; verbindliche Anmeldung 09 11 / 2 31-1 04 50 oder stadtmuseum-fembohaus@stadt.nuernberg.de, Teilnehmerzahl begrenzt.) Ob Hiphop & Co. wirklich moderner sind? Wer weiß. Es wäre im Tanz ja nicht der erste Trend zu Althergebrachtem.