Katharina Wasmeier

Freie Journalistin, Autorin, Lektorin, Nürnberg

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Literweise Farbe - Betonliebe für LNGWSSR

Mit knapp 30 000 Einwohnern eine kleine Stadt in der großen war Langwasser bislang nicht direkt dasjenige Quartier, mit dem sich Nürnberg um Preise in Kategorien wie Urbanität, Attraktivität oder Bürgermagnetismus beworben hätte – zu weit weg, zu ungeliebt, zu Ghetto, zu Vorurteil, und wer nicht dort draußen lebt oder arbeitet, findet kaum Grund, sich auf den 500 Hektar einmal umzuschauen. Ein so ehrgeiziges wie bislang stadtweit einzigartiges Projekt wirft ab sofort literweise Farbe in den Ring, um das zu ändern – und aus dem Viertel mit den Hochhäusern sprichwörtlich einen Leuchtturm zu machen. Oder im besten Fall „einen Stein ins Rollen zu bringen“, wie sich Jürgen Markwirth vom Amt für Kultur und Freizeit wünscht. Eigentlich sind es gleich sechs ganze Wände, die „Betonliebe“ in Bewegung versetzt; ein Projekt, das im Rahmen der Stadtteilentwicklung #LNGWSSR ab sofort das hehre Ziel verfolgt, „die Lebensqualität der Menschen im Stadtteil zu erhöhen und Menschen von außerhalb für dieses besondere Stadtviertel zu begeistern.“

Wie das gelingen soll? Mit nichts außer Farbe, eine in der Noris bislang weitestgehend unbekannte Substanz, die im Laufe der kommenden Monate großflächig im Stadtsüden verteilt werden soll. Das geschieht freilich nicht einfach so, sondern mithilfe eines „Powerteams, dessen Rückendeckung einem Ritterschlag gleichkommt“, so Carlos Lorente, der, selbst Graffiti-Künstler und emsiger Prophet der Urban Art, mit der Projektleitung betreut ist. Ein Projekt, das „als back to the roots of Kulturladen im Glaser’schen Urtypus“ vor allem soziokulturell funktionieren und sich darob partizipativer Methoden zur Aktivierung aller Bevölkerungsmethoden bedienen soll, so Walter Müller-Kalthöner, Leiter des derzeit aus Renovierungsgründen außer Gefecht gesetzten Gemeinschaftshauses Langwasser.

Hierfür ist ein umfangreiches Programm ersonnen, das sich weit bis ins kommende Jahr hineinzieht, bestenfalls für ewig währt und abholen soll, wer immer abgeholt werden möchte: Staatstheater und Zwo Sieben, Vortrag und Film – alles räkelt und rankt sich um das große Thema „Urban Street Art“, von dem Nürnberg bislang im Gegensatz zum Rest der Welt „wenig zu bieten hat“, wie auch Sparkassen-Vorstand Dr. Michael Kläver längst erkennt und sich mit Verve („Wir sprühen vor Begeisterung!“) und einem Förderfonds fortan auch offiziell der Wandgestaltung verschreibt. Und hofft, „Skepsis bei Wandeigentümern abbauen“ zu können – eine Skepsis, die mindestens bei einer Akteurin längst verputzt ist: Die wbg bekennt sich im Stadtbild deutlich sichtbar zur Farbe und spendet darum freilich auch im „Herzensstadtteil“, so Sonderbeauftragter Harald Behmer, nicht nur große Flächen, sondern mit einem leerstehenden Laden in der Ratiborstraße 29 auch die Interimsheimat und offene Zentrale der „Betonliebe“, von der aus multiplikative Dominoeffekte angestoßen werden soll.

Wie ernst es den Akteuren um Kurator Carlos Lorente ist, zeigt das starbesetzte Line-Up der aus Nürnbergs Partnerstädten geladenen Künstler. So ist die Polin Aleksandra Toborowicz Dozentin an der AdBK Krakau für Grafikdesign mit Promotion im Fachbereich. Doch bitte keine Sorge vor akademischem Dünkel und Musealisierung der Straßenkunst, denn es dürfen, nein: sollen alle kommen und schauen und machen, mit und sich die Hände bunt, sollen nicht nur Flächen, sondern Geist und Seele entwickeln und „die Dimensionen des Herzens“ erweitern, so Anke Hacker, Lehrerin an der Georg-Ledebour-Schule und Mitglied des AK Streetart. Neben der herzlichen Einladung zur Zuschau geht auch eine an die lokale Künstlerriege. Ganz bewusst, so Carlos Lorente, solle die miteinbezogen werden, eingeladen zum runden Tisch am Jahresende, um gemeinsam am Bestreben, „Betonliebe für einen längeren Zeitraum als Marke zu etablieren und in andere Stadtteile zu transferieren“ zu tüfteln. Ob Langwasser binnen eines Jahres zur buntesten Kleinstadt Deutschlands avancieren kann, bleibt abzuwarten. Das in jeder Hinsicht bunteste Quartier Nürnbergs wird es allemal.

„Betonliebe – Streetart für Langwasser 2019/2020“, alle Programmpunkte und Open-Air-Termine mit Live-Wandgestaltung unter betonliebe.nuernberg.de und facebook.com/Gemeinschaftshaus; der Eintritt zu allen Veranstaltungen ist frei