Katharina Wasmeier

Freie Journalistin, Autorin, Lektorin, Nürnberg

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Natürlich geheilt: Waldbaden

Das Moos ist kühl und feucht an meinen Armen, etwas kitzelt mich am Bein. Was genau es ist, weiß ich nicht, habe ich doch die Augen geschlossen und konzentriere mich auf die sonore Stimme, die mir Geschichten von Bäumen einflößt, meine Gedanken lenkt und fokussiert, mein zappelndes Gehirn einfängt und zur Ruhe legt. Wenn ich die Augen wieder öffne, werden 15 Minuten vergangen sein, die sich wie Sekunden angefühlt haben. Wenn ich die Augen wieder öffne, werde ich mich mitten im Wald wiederfinden, umgeben von Natur und Bäumen und Farnen und Lebewesen. Darunter zehn Menschen. Eine davon ist Elfi Dressler. Mit ihr versuche ich heute herauszufinden, was das eigentlich ist, dieses Waldbaden, von dem man neuerdings überall hört. „Waldbaden bedeutet eigentlich nur: Man muss nichts und darf alles“, sagt Elfi Dressler. Seit über 20 Jahren arbeitet die 55-Jährige im Gesundheitssportbereich, gibt Sportkurse, berät Unternehmen in Bereichen wie Kommunikation und Teamarbeit, unterrichtet als Coach Stressmanagement und Entspannung. Bis eine Krebserkrankung die gebürtige Wiesbadenerin „aufs Wesentliche zurückwirft“. Über Krankheit und Heilung kommt Elfi Dressler nicht nur zu der Erkenntnis, „Grün bedeutet draußen, Urlaub und Wohltat“, sondern über Achtsamkeitskurse auch mit dem „Waldbaden“ in Berührung und entscheidet: „Ich muss mir die Zeit nehmen, mich aufs Gesundwerden konzentrieren.“ Waldbaden oder „Shinrin Yoku“, wie die Stressmanagement-Methode im japanischen Herkunftsland heißt, kam erstmals Anfang der 1982 Jahre auf, die „Waldmedizin“ gilt mittlerweile als „neue interdisziplinäre Wissenschaft“, die unter die Rubriken Alternativ-, Umwelt- und Präventivmedizin fällt und bei der es letztlich nur um eins geht: Stressreduktion – und in Folge dessen um alle positiven Effekte auf den menschlichen Organismus. Der „Teil des Kommunikationssystem Wald ist“, sagt Efi Dressler. Längst ist anerkannt, dass ein Wald nicht nur eine Anhäufung lauter eigenständiger biochemischer Prozesse ist, sondern es sich vielmehr um einen wahren, riesigen Organismus handelt, bei dem Bäume miteinander und über komplexe Pilzfadenstrukturen miteinander kommunizieren, vor Feinden warnen, Nährstoffe verteilen. Die ätherischen Öle und sogenannten „Terpene“, die als Botenstoffe fungieren, wirken nachgewiesenermaßen positiv, ja heilsam gar auf den Menschen. Und der muss nichts anderes tun als „langsam gehen und verweilen“, so die ausdrückliche Empfehlung des Präsidenten der 2007 gegründeten „Japanischen Gesellschaft für Wald-Medizin“ Dr. Qing Li. Eine Sache also, die Menschen doch eigentlich seit Urzeiten ganz selbstverständlich von alleine tun? „Getan haben“, sagt Elfi Dressler und berichtet von der wachsenden Anzahl älterer aber vor allem auch junger Menschen, denen „die Verbindung zur Natur immer mehr verloren geht“. Arbeit und Freizeit passiere zunehmend an Geräten, man entfremde sich von der realen Welt, verlerne sie zu er-tasten und be-greifen, permanente Überlastung  und Dauerstress führen vermehrt zu Erschöpfung, Burnout und in Folge einer massiven Zunahme psychischer Erkrankungen. Wenn der heutige Mensch also ein Thema, einen Namen, einen Anlass bräuchte, um zurück in den Wald zu finden – warum nicht? Zumal grad der Metropolregionsbewohner gesegnet ist mit leicht erreichbaren Waldstücken. Hier geht es darum, in die Atmosphäre einzutauchen, zu entschleunigen, ausnahmsweise mal kein Ziel, keine Aufgabe zu haben. Wer das alleine kann, ohne Gesprächspartner, ohne Musik im Ohr – nur zu. Doch die wenigsten können das. Deswegen gibt Elfi Dressler Hilfestellung aus der Achtsamkeitslehre, „spricht Einladungen aus, zu staunen und zu forschen und im Moment zu sein.“ Nacheinander sollen wir uns je einen Gegenstand, ein Geräusch, einen Blick suchen, probieren, darauf zu fokussieren, uns fallen lassen in die sinnliche Erfahrung. Das funktioniert erstaunlich gut: Beim Befühlen von Blatt und Moos, dem Lauschen eines bestimmten Vogels ist plötzlich kein Platz mehr im Kopf für die Aufgaben von später, die Sorgen von morgen, die ständige Durchtaktung des Tages hat Pause. Auch die esoterisch anmutende „Ich bin ein Baum“-Übung ist eigentlich gar nicht so schlimm – zumal im Schutz der Gruppe, „in dem man sich Sachen trauen kann, die einem alleine vermutlich ziemlich peinlich wären.“ Das gilt wohl auch für die „Fuchsgang-Übung“. Wie die für Unbeteiligte aussehen muss, mag ich mir gar nicht vorstellen. Habe aber auch gar keine Zeit dazu, denn ich muss mich konzentrieren: So leise wie es nur geht und deswegen ausgesprochen langsam gilt es, sich durch den Wald zu pirschen. Der will freilich knacken und rascheln, und um so mehr fokussiert man sich auf seine eigenen Bewegungsabläufe. Aber muss das eigentlich im Wald sein? „Nadelbäume haben mehr Terpene als Laubbäume“, sagt Elfi Dressler. Mischwälder wären das Beste, aber auch „ein Park ist besser als nichts.“ Es gehe allein um die Art und Weise des Aufenthaltes, des bewussten Nichtstuns. Das Gehirn betrachten wie einen Muskel, der manchmal auch einfach ausruhen dürfen muss, den Augen, die permanent nur fokussieren, die Möglichkeit geben, sich zu entspannen, den Blick zu öffnen, „durchs Da-Sein in Einklang mit mir kommen“, sagt Elfi Dressler, „vom Denken ins Fühlen kommen, ohne zu bewerten.“ Deswegen ist beim Waldbaden auch alles erlaubt. Wer sich um einen Baum wickeln will, soll das tun. Wer das Gesicht im Moos vergraben – bitte! „Man muss sich die Zeit nehmen, weil die Gesellschaft immer schneller und effektiver wird.“ Der Wald ist nicht zuletzt deswegen eine gute Wahl, weil er optimal niederschwellig ist: Ein Besuch kostet nichts, ich brauche kein Equipment, muss bei einer empfohlenen zu durchschlendernden Strecke beim besten Willen kein Sportstier sein. „Ich mache ein Angebot und gebe Impulse – kein Heilversprechen“, sagt Elfi Dressler, „aber man hat nachgewiesen, dass die Stärkung des Immunsystems unter Umständen ähnlich hoch ist wie bei bestimmten Medikamenten.“ Nur dass die im Gegensatz zum „Biophilia-Effekt“ was kosten. „Man geht in den Wald und kommt bei sich selbst an“, sagt eine andere Teilnehmerin. „Der Wald ist der Therapeut“.



Nächste Gelegenheiten zum Ausprobieren:
Dt. Waldtage 14.-17.9. à Schnupperangebot am 15.9.2018, 14-17 Uhr, Bushaltestelle beim Haupteingang, Martha Maria KH, Anmeldung und Kontakt über: www.waldbaden-nürnberg.de oder elfi.dressler@interaktiv-coaching.de
Post SV : Kurs: Waldbaden – Achtsamkeit in der Natur – die naturnahe Entspannungsmethode Kursbeginn 5x3 Stunden samstags 14-17 Uhr ab 22.9.2018 www.post-sv.de

 

 http://www.nordbayern.de/tief-eintauchen-in-die-heilkraft-des-waldes-1.8042155