Katharina Wasmeier

Freie Journalistin, Autorin, Lektorin, Nürnberg

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Artikel

Die Blaue Nacht 2018 - Anything Goes

Das diesjährige Thema „Horizonte“ warf er über Bord, die vorgegebene Schablone gleich mit und reichert stattdessen mit der Illumination der Kaiserburg das alljährliche Highlight der Nürnberger Kulturgroßveranstaltung „Blaue Nacht“ um eine exklusive Dreingabe auf, die es so noch nie gab: Dan Reeder, Künstler, Musiker, Kulturpreisträger und Gegenwindler stellt in diesem Jahr nicht nur die Bebilderung des städtischen Wahrzeichens, sondern die auch gleich ein bisschen auf den Kopf – und seine Musik für alle gratis zur Verfügung.


Es dauert ein bisschen, bis Dan Reeder gefunden hat, was er sucht. In seinem Atelier in Maxfeld herrscht das sprichwörtliche kreative Chaos, in dessen kunterbunter Mitte der gebürtige Amerikaner zwischen Aufnahmegeräten und Malfarben, Instrumenten und Leinwänden den USB-Stick im Heuhaufen sucht. Darauf nämlich befindet sich Beeindruckendes: ein Abbild der Projekte, die die Firma „Rezac – High Power Projection“ in den letzten Jahren realisiert hat. „Unsere Projektionsfläche ist grundsätzlich alles was Licht leuchten lässt – Mauer, Gebäude, Felswände, Berge, Wasser, Eis, Schnee, Kulissen, indoor und outdoor“, heißt es auf der Internetseite des österreichischen Unternehmens, und der Beweis erfolgt sofort. Mal leuchten die Skipisten des St. Antoner Skistadions in den Farben aller Nationen, mal verwandelt sich das „Damaskustor“ in Jerusalem in ein weitverzweigt blühendes Baumgemälde. Mal dient die Kathedrale St. Jean in Lyon als Projektionsfläche der schönsten Mandalas, mal flitzen übers „Herodes Atticus Odeon“ zu Fuße der Athener Akropolis die buntesten Farbwirbel. Sogar die Pyramiden von Gizeh scheinen ihr Innerstes nach außen zu kehren und uralte Geschichten von Pharaonen und Gottheiten zu erzählen. Dazwischen, immer wieder: die Nürnberger Kaiserburg. 2014 beispielsweise illustriert von Anna Bittersol, 2013 von Julian Vogel, 2010 von Axel Voss. 2017 war Harry Schemm dran, Künstlerkumpel von Dan Reeder und von diesem sogleich befragt zur Rezac-Zusammenarbeit. „Die machen das schon“, sagt Harry Schemm. „Die sind fantastisch.“ Einen ganzen Tag, erzählt Dan Reeder, der im Januar von seiner Nominierung erfahren hat, war er zu Besuch in Wien, lernt vielleicht nicht alles, aber ziemlich viel über die „Projektoren, die einzigartig sind auf der Welt“, über die 7000-Watt-Xion-Glühbirnen, die aufgrund größter Explosionsgefahr höchste Vorsicht erforderten, über die das seltsame Format, das irgendwie einem Dia ähnelt, die Dimensionen aber völlig anders sind, und man sich das Ganze ein bisschen vorstellen könne wie herkömmliche Filmprojektoren, aber eben doch ganz, ganz anders. Entsprechend blind, gesteht Dan Reeder, gehe man da ans Werk. „Das machst du einmal im Leben und nie wieder“, so der Künstler. „Du kannst nur hoffen, dass das gut wird.“ Eine Schablone der Burg-Silhouette gibt die Richtung vor. Auf den ersten Blick kann man erkennen: Da stimmt doch was nicht. „Burg und Mauer sind ja keine plane Fläche“, erklärt Dan Reeder, „sondern machen ungefähr in der Mitte einen Knick.“ Das gilt es zu berücksichtigen. Wie so vieles andere: Weiß, sagt der 63-Jährige, geht gar nicht. Weil Weiß keine Farbe ist, bringt man die nicht richtig auf die Dias und von denen auf den Sandstein. Höchstens ein bisschen mogeln kann man und hoffen, dass eine Art Hellgrau dabei rauskommt. Wie’s am Ende ausschaut – who knows? Aber das entspricht ja nur Dan Reeders „Anything goes“, das er kurzerhand zu seinem Motto erklärt hat. Weil „Horizonte“, das offizielle Thema der Blauen Nacht 2018, das fand er doof. „Ein Horizont ist für einen Künstler einfach ein Strich, so what?“ sagt Dan Reeder und kann sein „Anything goes“ gut leiden, denn „da kann ich machen, was ich will. Wenn ich spielerisch mit der Technik umgehen soll, dann muss ich Freiheiten haben.“ Hat er. Nutzt er. Baut sich erstmal eine eigene Schablone. Malt in die entgegen seiner sonstigen Gepflogenheiten nicht mit Pinsel und Farbe, sondern hochmodern am PC hinein. „Das hat Vorteile“, findet Dan Reeder und rühmt die sogleich: Man habe alle Farben und Pinsel zur Verfügung, müsse die aber nicht reinigen, stinke abends nicht so und habe nicht die Klamotten voller Klekse. Dafür rote Augen und „eine Datei statt eines Bildes zum Anfassen.“ Dafür irre viele Möglichkeiten. Die werden genutzt. Circa 120 Motive hat Dan Reeder in den vergangenen Monaten begonnen, ausprobiert, verworfen. Mit Farben gespielt und Fotos verhunzt und Regenbögen gebastelt und Kritik geübt und Überraschungen ersonnen und Streichhölzer abgebrannt und die Burg gleich mit dazu. Die Verantwortlichen, sagt er, haben „nie versucht, mich zu beeinflussen“, doch er, der Querdenker, der Sturkopf und Süffisant, wisse durchaus, dass nicht alles, was er denke, auf die Burg projiziert werden sollte. „Ich habe mich viel zensiert. Manche werden sagen: nicht genug.“ Dafür beschenkt Dan Reeder die Blaue Nacht mit einer Exklusivpremiere im mehrfahren Sinne: Der Americano-Nürnberger nämlich ist ja nicht nur Künstler im malenden, sondern auch im musikalischen Sinne. Da habe HPP-Altmeister Gerhard Rezac befunden, sei es doch bedauerlich, nicht des Œuvres ganze Breite zu nutzen. Um die Nerven von Anwohnern und sonstigen Beteiligten zu schonen, erklingen Reeders Stücke jedoch nicht aus großen Lautsprechern für jedermann – sondern für jeden, der möchte, aus dem eigenen Handy. „Es gibt einen QR-Code, der zu einer Seite führt, von der man unveröffentlichte Exklusivsstücke von mir streamen kann“, verrät Dan Reeder und ratschlagt gleich dazu, dass es wahrscheinlich besser sei, sich die Musik vorher schon mal runterzuladen, da andernfalls die Gefahr eines Netzzusammenbruchs bestünde. Das geht ganz einfach: Den nebenstehenden QR-Code mit dem Smartphone scannen und dem Link folgen oder händisch auf https://blauenacht2018.bandcamp.com/track/burgprojektion-2018 gehen, in den Einstellungen die „Desktopansicht“ wählen, um eine Email-Registrierung zu umgehen, „Download“ drücken, fertig. „Eine tolle Idee, die mir selbst gut gefällt“, befindet Dan Reeder. Und so soll’s sein. Anything goes!


danreeder.com/
(Foto: Dan Reeder)