Katharina Wasmeier

Freie Journalistin, Autorin, Lektorin, Nürnberg

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From Zero to Hero: Heroldsberg macht Musical!

Es war, so darf man wohl mit Fug und Recht behaupten, eine rechte Schnapsidee, die José „Pepe“ Andreu vor viele Jahren hatte: Höchst begeistert zurück von einem Ausflug nach Bochum und dem Besuch des Musicals „Starlight Express“ befand der heute 65-jährige Elektroniker aus Heroldsberg, das können man doch vielleicht einfach auch mal machen. Dass diese Idee, für die er anfangs schwer belächelt wurde, heute, fast 25 Jahre später, derartige Ausmaße annehmen könnte – das hätte sich „Pepe“ bei aller Verträumtheit nicht träumen lassen.

Die Markt Heroldsberg hat knapp 8000 Einwohner. 120 von ihnen haben sich an einem Sonntagvormittag im März in der Gründlachhalle eingefunden. Die Jüngste ist 10, der älteste 74 Jahre alt. Zwei, manchmal gar drei Generationen sind hier. Sie nennen sich „Hero City Rollers“, und sie haben ein Ziel: Dass am 15. April jede Bewegung sitzt, jede Rolle läuft. Dann nämlich führen sie alle gemeinsam „Starlight – The Next Generation“ auf, die Fortsetzung des Berühmten Musicals von Andrew Lloyd Webber, das seit 1984 die Menschen weltweit begeistert. Und das José Andreu selbst geschrieben hat. „Du kannst nur verlieren!“, haben sie gesagt. Und Pepe hat gekämpft.

 „Starlight – The Next Generation“ ist seit Wochen ausverkauft: sechs Termine, je 400 Plätze, „es tut uns leid“, sagt die Homepage des Vereins, man dürfe sich aber gerne für Ostern 2018 vormerken lassen. 31 Jahre lang war José Andreu Elektroniker im Verlagshaus Nürnberger Presse. Maschinen warten, zusehen, dass alles reibungslos funktioniert. Wenn er heute erzählt von seinen Rollschuhkünstlern, muss er dauernd schmunzeln, vor Freude, vor Stolz, vor Ungläubigkeit, dass das wirklich funktioniert, was er, den sie einen Spinner nannten, geschafft hat.

Drei Jahre hatte es gebraucht, bis die Heroldsberger Kopie von „Starlight Express“ uraufgeführt wurde. Drei Jahre, in denen Pepe geredet hat und überredet, in denen Choreographien und Abläufe erfunden worden sind, Kostüme und Musik nachgebastelt, in denen es Krisen gab und er selbst beinahe den Glauben verloren hat, in denen die Riesenproduktionsmaschine des Originals an Heroldsberger Verhältnisse angepasst wurde, alle zusammenhalfen, die Nerven blank lagen, Pepe „als Spinner abgetan wurde. „Wir haben uns dann ein Ziel gesetzt“, erzählt er, „am 13. April 1996 findet die Premiere statt.“ Dann muss er wieder lachen. Sofort ausverkauft wären sie gewesen, die Leute, meint er, wollten sehen, wie die Truppe scheitert, die Laien, die meinen, sie wären Musicalstars auf Rollschuhen. Pustekuchen. „Das hat eingeschlagen wie eine Bombe – wir waren die Helden von Heroldsberg.“ Seitdem ging es weiter, und immer aufwärts. Jedes Jahr eine Aufführung. Die Darsteller wachsen mit der Truppe, die ganz Kleinen von damals sind die Hauptdarsteller von heute, die Protagonisten von früher jetzt die guten Seelen im Hintergrund.

„Die Moral der Truppe ist enorm“, sagt José Andreu, der wie alle nichts verdient am Musical, der im Gegenteil schon 50 00 Euro an Einnahmen spenden konnte an soziale Einrichtungen. „Es war immer mein Bestreben, eine solche Gruppe zu bekommen. Ich bin der Meinung, dass die Jugend viel besser ist als ihr Ruf – sie braucht nur eine gute Führung.“ Die gibt er ihnen, der Elektroniker, der „einen Ausgleich zum einseitigen Job“ brauchte und sagt: „Nach 50 Aufführungen bin ich größenwahnsinnig geworden.“ Lacht er. Hat 1999 „Tabaluga & Lilli“ nachgebaut und vier Jahre erfolgreich auf die Bühne gebracht, hat dann mal was eigenes geschrieben, 20 Aufführungen des sozialkritischen Stücks „Atlantis“ (2008), lacht über sich selbst und seine blühende Fantasie und darüber, dass die Gesangslehrerin immer sagt, seine Lieder seien nicht singbar. Und sie für ihn umarrangiert. Es ist eine Geschichte von viel Freude und Begeisterung, mit der José Andreu die Menschen ansteckt. Und mit der er sie dazu bringt, spontan zu helfen. Komponisten, Tontechniker, Sänger, Bands – sie alle sind es, die den „Hero City Rollers“ unter die Arme greifen.

Und die auch daran schuld sind, dass „Starlight – The Next Generation“ doch auch wieder funktioniert. Eine neue Geschichte, die an die alte anknüpft wollte er machen, der kreative Kopf des Ganzen. „Du kannst nur verlieren, haben alle gesagt!“, erzählt er. Und es scheint, als verstehe José Andreu immer noch nicht recht, was die Unken damit gemeint haben könnten. Denn dann gibt es Zahntechniker, die zufällig eine Band haben, die sich zufällig bereit erklären, die 52 Titel einzuspielen, die zufällig zwei Komponisten, die man zufällig kennt, erschaffen. Und so geht das weiter, erzählt Pepe verschmitzt: Dass er einen ungefähren Ablauf entwirft, und dann gibt es eine Choreographin und eine Tanzlehrerin und eine Gesangslehrerin und eine Rollschuhtrainerin, und die arbeiten das dann aus. „Mein Mann ist der Künstler“, sagt Gaby Andreu, die von anfangs 20, heute 41 Darstellern berichtet und davon, dass „sich das mittlerweile zu einer richtigen kleinen Firma entwickelt hat. „Das alles zu organisieren, das ist dann mein Part.“

Wer das Programmheft von „Starlight – The Next Generation“ aufmerksam studiert, der entdeckt, das immer wieder die selben Familiennamen auftauchen. Daniel (27) und Manuel  (33) Andreu beispielsweise. Tessa (10), deren Schwester Signe (7) es kaum erwarten kann, auch endlich mitzumachen. Deren Mutter sagt, dass die ganze Familie „totale Fans“ sind, „das Stück großartig“ und alle „froh und stolz, dabei sein zu dürfen“. Philip Loos (25), der seit „Atlantis“ dabei ist – obwohl er im Rollstuhl sitzt, aber, sagt er lapidar, der hätte ja auch Rollen, und so hat José Andreu ihm eine Rolle gebaut. Daniel Engelhard (27), der den „Rusty“ 2007 von seinem Vater übernommen hat und sagt: „Das hier, das ist meine Lebenserfüllung.“

Die Lebenserfüllung, die hat José „Pepe“ Andreu in seinem Werken und Wirken mit den „Hero City Rollers“ längst gefunden hat. Und die Anerkennung weit über die Grenzen der Markt Heroldsberg findet: 2008 lud beispielweise Renate Schmidt nach Berlin, 2014 Joachim Herrmann nach München. Doch es liegt nahe, anzunehmen, dass es eine ganz andere Anerkennung ist, die José Andreu glücklich macht: Die vielen Briefe, die er sammelt, die ihm Besucher der Musicals schreiben, Mails wie von der „Elterninitiative krebskranker Kinder“, die sagen „Danke!“

„Da ist eine Macht: der Glaube an dich selbst!“ ist im Kern die Botschaft von „Starlight – The Next Generation“. Ob das noch jemanden wundert?


http://www.hero-city-rollers.de/