Katharina Wasmeier

Freie Journalistin, Autorin, Lektorin, Nürnberg

1 Abo und 4 Abonnenten
Glosse

Die Partykolumne: Kasperltheater

Obgleich es viel zu sagen gäbe zu dem Umstand, dass der modisch versierte Zeitgenosse sich auch von arktischen Verhältnissen nicht davon abhalten lässt, den Fußknöchel im Zuge eines Balzrituals, das sich dem Uneingeweihten nicht recht erschließen mag, als neues Dekolleté zu deklarieren und sich zwar allen Stoff der Welt um den Hals zu winden, dafür aber mit so mageren wie blanken Fesseln durch den Schnee zu stolpern, gibt es eine andere modische Erscheinung, die mich weniger achselzucken, dafür aber ins Grübeln stürzen lässt. Nämlich: Möchte nicht bitte endlich jemand Mitleid und ein Einsehen haben und den ganzen verwirrten fancy Kids da draußen sagen, dass es sich mitnichten so verhält, dass sie als ehrvolle Reminiszenz an die von ihnen scheints romantisch verklärte „Erinnerung“ einer goldenen Ära der 80er und 90er durch die Straßen wandeln, sondern schlichtweg aussehen wie die Vollidioten dieser Zeit, weswegen ungefähr zehn Generationen permanent damit konfrontiert sind, sich entweder vor Schreck und Ekel oder wiehernd vor Lachen abwenden zu müssen? Beispiel: Bomberjacke, Klorixhose, Springerstiefel. Während hier der Herztakt aller Ü30 kurz ins Stocken gerät, jauchzt ein kleiner Teil der Leserschaft heiser auf (oder halt nicht, ich weiß schon, weil die kommen gar nicht auf Seite 39, sondern wischen immer noch auf Seite 1 umeinander) und ist schon auf dem Weg zu einem dieser besagten Läden, die „Store“ heißen und in denen die Sachen aus der Altkleidersammlung als „Neuware“ teuer an den Modedepp verscherbelt werden. Mit einem gewissen Neid nehme ich zur Kenntnis, dass Teile, die selbst uns damals zu scheußlich war, von findigen Trendsettern heut neu aufgelegt, als heißer Scheiß angepriesen und den armen Trotteln untergejubelt werden. Ich mein, allein Schuhe! Da gibt’s was vom Nike, das sieht aus wie eine Mischung aus einem über eine Gummisohle gespannten Ballon, dem man die Luft ausgelassen hat, und Reptil. Hamse uns damals nicht andrehen können, geht jetzt weg wie warme Semmeln. Oder die Weibsen, wo unterm bis zum Busen hochgezogenen Pannesamt schwarze Gummiklötze rausschauen, wo sich irgendein Baumarktartikelhersteller gedacht hat „Du Gerd, wir haben noch so viel Verschnitt von den Waschmaschinenunterlegmatten, da machen wir jetzt was draus!“ Ich weiß, ich weiß, ich bin einfach nur alt und versteh das alles nicht. Und beschwer‘ mich auch nicht eigentlich. Weil schließlich fühle ich für meinen Teil mich bestens unterhalten von den unschuldigen Parodien. Und außerdem ist bald Fasching, und selten war es leichter, sich die tollsten Kostüme zu besorgen, ohne einen Karnevalistenladen betreten zu müssen. Inspirationen find ich sicher hier: „10 Jahre MUZ“ (Fr&Sa, Fürther Straße), „Die große Schlagernacht“ (T90, Flughafen), „Mike Väth“ (Waschsalon, Klingenhof), „Lust der Nacht“ (Haus 33, Engelhardsgasse), „Star FM Club“ (Stereo, Klaragasse), „Tonkonzum“ (KK, Königstraße) und am Samstag „Regionaleeigenart: We!Are!Different!“ (Desi, Brückenstraße), „Franconian Metal Party“ (Hirsch, Vogelweiherstraße), „Why so serious“ (Rakete, ebd.), „Ritus Rhythmus“ (Bdwnn, Adlerstraße), „Soulnight“ (Zentralcafé, Königstraße), „Ü30“ (T90), „Tag der offenen Schule & des Kindergartens“ (Rudolf-Steiner-Schule, Steinplattenweg). Ach und: Ja, ich weiß. Unsere Eltern haben das gleiche gesagt, als wir mit unserer ersten gebatikten Schlaghose heimgekommen sind.