»Ein Land bleibt immer eine Problemstellung, eine nie endende
Baustelle«, denkt Esha, die Protagonistin in »Staatenlos« von Shumona
Sinha. Esha steht stellvertretend für viele junge Frauen und Männer, die
aus sogenannten Entwicklungsländern nach Europa kommen, auf der Suche
nach einem besseren Leben. Was sie finden, ist alltäglicher Rassismus
auf öffentlichen Plätzen und Diskriminierung bei der Suche nach einer
Wohnung oder Arbeit.
Shumona Sinha: Staatenlos. Roman.
A. d. Franz. v. Lena Müller. Edition Nautilus, 160 S., geb., 19,90 €
Esha, die aus Indien kommt, ist nicht nur Ausländerin, sie ist auch eine Frau. Damit ist sie doppelt gestraft. »Sie würde der Gefahrenzone nie entkommen, weil sie sie in sich trug, auf ihrer Haut, in ihrem Gesicht, über ihren ganzen Körper verteilt«, denkt sie nach einem Gewaltübergriff. Ihrer Hautfarbe wegen ist sie immer wieder damit konfrontiert, »anders« zu sein.
In einer Szene beschreibt Esha, wie gerne sie ihre Hautfarbe ablegen würde und ihre schwarzen Augen, um zur Mehrheitsgesellschaft gehören zu können. Der Wunsch nach einer anderen Hautfarbe erinnert an »Die Farbe meines Gesichts« von Miriam Kwalanda, das bereits 1999 erschien und die Geschichte einer Kenianerin erzählt, die als Prostituierte nach Deutschland kam. Achtzehn Jahre ist es her, dass Kwalanda ihre Autobiografie veröffentlichte, und nichts scheint sich geändert zu haben: In Deutschland wie in Frankreich grassiert der Rassismus.
Auch bei der dritten Figur handelt es sich um eine Frau. Mina ist Bäuerin in Kalkutta und wird von ihrem Cousin schwanger. Ihre Familie verstößt sie, statt sie zu unterstützen. Schutzlos zieht sie alleine los, doch sie kommt nicht weit auf ihrem Weg.
Es ist ein trübes Bild, das Sinha von Migrantinnen in Frankreich und von der indischen Stadt Kalkutta zeichnet. Doch das Buch kann den LeserInnen die Augen öffnen: für die Kälte, die wir EuropäerInnen ausstrahlen und für die fortschreitende Individualisierung unserer Gesellschaft. »Staatenlos« spricht ein brandaktuelles Thema an. Es gibt keine Antworten auf die Herausforderungen, die Migration mit sich bringt, sensibilisiert aber für die Probleme. Es stellt die Sichtweise der von Rassismus und Diskriminierung Betroffenen in den Vordergrund und gibt ihnen somit eine Stimme.
Während die weibliche Sicht oftmals zu kurz kommt, ist sie bei Sinha zentral. Die Autorin stellt in »Staatenlos« drei Frauenschicksale in den Mittelpunkt und zeigt so auf eindrückliche Art und Weise, wie diese Frauen unter mehrdimensionaler Diskriminierung leiden. Das Buch sollte daher besonders Menschen mit männlichem Geschlecht ansprechen.
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