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Venezuela - 12 Tote bei Unruhen

Einige Demonstranten bauen sich Molotow-Cocktails und greifen damit die Polizei an

Besonders im Stadtviertel El Valle kam es zu nächtlichen Auseinandersetzungen mit Sicherheitskräften, Demonstranten legten Feuer, es bot sich ein Bild der Verwüstung.

Die meisten Opfer sollen durch Stromschläge getötet worden sein, als sie in einer Bäckerei einen Kühlschrank stehlen wollten, andere starben durch Schüsse. Ein Kinderkrankenhaus musste wegen des massiven Einsatzes von Tränengas evakuiert werden.

Damit sei die Zahl der Todesopfer seit Beginn der Protestwelle gegen Präsident Nicolás Maduro vor drei Wochen auf insgesamt 21 gestiegen, teilte die Staatsanwaltschaft am Freitag mit.

► Als Reaktionen auf die Massendemonstrationen gegen sein autoritäres Regime will Präsident Nicolás Maduro jetzt 500 000 seiner Anhänger mit Gewehren bewaffnen - als zusätzliche Miliz!

Seine sozialistische Regierung will die Protestbewegung offenbar mit allen Mitteln einschüchtern und behindern. Um die Anreise zu den Demonstrationen zu erschweren, waren am Donnerstag in der Hauptstadt Caracas viele Zufahrtsstraßen durch das Militär gesperrt, 20 Metro-Stationen wurden geschlossen.

Die Polizei setzte Tränengas und Gummigeschosse gegen die Demonstranten ein.

Die seit Wochen andauernden Auseinandersetzungen sind so gewaltsam geworden, dass es mittlerweile 21 Tote gibt. ► In einem Video-Clip ist zu sehen, mit welcher Härte die Polizei gegen Demonstranten vorgeht. Das Filmmaterial wurde BILD am Donnerstag von einem Anwohner aus der Millionenstadt Barquisimeto zugespielt, es zeigt die gewaltvollen Machtkämpfe vom Mittwoch.

Während sich manche Menschen nicht mehr auf die Straße trauen und am Donnerstag nicht an den Demonstrationen teilnahmen, schlägt bei anderen der Frust in Gewalt um.

So nahmen am Donnerstag deutlich weniger Menschen an den Demonstrationen teil als an den Massenprotesten am Mittwoch.

Dennoch kam es in der Hauptstadt Caracas erneut zu gewalttätigen Auseinandersetzungen zwischen Tausenden Demonstranten und Sicherheitskräften.

► Oppositionspolitiker und Demonstranten fordern sofortige Neuwahlen. „Wir wollen keinen Umsturz, im Gegenteil, wir wollen die Wiederherstellung der verfassungsrechtlichen Ordnung", sagte Parlamentspräsident Julio Borges.

Für die ausufernde Gewalt machte Borges die Regierung verantwortlich. Maduro hingegen wirft der Opposition vor, mit Gewalt auf den Straßen Chaos im Land zu provozieren. Kampf um die Macht

Seit Anfang April demonstriert die Opposition vehement gegen die sozialistische Regierung von Maduro.

Hintergrund: Das aufgrund seiner Ölvorkommen eigentlich reiche Venezuela wird seit mehr als drei Jahren von einer schweren Versorgungskrise und politischen Spannungen erschüttert. Die Opposition macht die Regierung von Präsident Maduro für die katastrophale Versorgungslage verantwortlich und kritisiert, dass demokratische Grundrechte nicht mehr gewährleistet sind.

Erst Ende März hatte die Regierung versucht, das Parlament zu entmachten. Das von Maduro-Anhängern dominierte Oberste Gericht Venezuelas schränkte mit einem Urteil die Rechte des Parlaments stark ein, erklärte es sogar für aufgelöst. Seit den Parlamentswahlen 2015 hat das oppositionelle Bündnis „Tisch der Demokratischen Einheit" (MUD) die Zweidrittelmehrheit im Parlament. Durch die Entmachtung des Parlaments wollte Präsident Maduro vor allem erreichen, dass er Anteile des staatlichen Erdölkonzerns PDVSA an Russland verkaufen kann. Im Parlament gab es großen Widerstand gegen dieses Vorhaben. Zudem wurde mit dem Urteil des Obersten Gerichts die politische Immunität aller Parlamentarier aufgehoben.

Nachdem es nicht nur nationale, sondern auch internationale Kritik hagelte, ruderte Maduro zurück. Er berief eine Krisensitzung ein, nach nur drei Tagen wurden Teile des Urteils zurückgenommen.

* Das Parlament wurde wieder eingesetzt, und die Parlamentarier erhielten ihre Immunität zurück.

* In wichtigen Haushaltfragen wie der Aufnahme neuer Schulden oder dem Verkauf von staatlichen Unternehmensanteilen kann die Exekutive nach dem Urteil aber weiterhin ohne das Parlament entscheiden.

Für die Opposition bedeutete dies: Sie kann sich erfolgreich gegen die autokratischen Zügel der sozialistischen Regierung wehren. Durch das teilweise aufgehobene Gerichtsurteil hat die Opposition jetzt einen Impuls bekommen, gemeinsam gegen den Präsidenten zu agieren. Dabei gehören dem Oppositionsbündnis MUD sowohl linke als auch rechte Parteien an, in vielen Fragen ist es gespalten.

Maduros Gegenkandidat wurde kaltgestellt

Das Regime lieferte der Opposition einen weiteren Anlass für Proteste: die Ausschaltung des wichtigsten Oppositionsführers Henrique Capriles. Er ist Gouverneur des Bundesstaats Miranda und der Anführer der konservativen Opposition. Bei der Präsidentschaftswahl 2013 unterlag er Maduro äußerst knapp.

Er wurde als aussichtsreichster Oppositionskandidat für die nächsten Präsidentschaftswahlen gehandelt, die regulär 2018 stattfinden müssten. Am 7. April gab der Rechnungshof jedoch bekannt, dass Henrique Capriles für 15 Jahre nicht für politische Ämter kandidieren dürfe, weil ihm Korruption vorgeworfen werde.

Capriles bezeichnet Maduro als „Diktator" und ruft immer wieder zu Protesten auf. Am Mittwoch sagte Capriles: „Wenn wir heute schon Millionen auf den Straßen waren, werden es morgen noch mehr werden", und mobilisierte erneut viele Anhänger, die am Donnerstag landesweit durch die Straßen zogen.

Droht gar ein Bürgerkrieg? Internationale Beobachter warnen vor der Gefahr eines Bürgerkriegs in Venezuela. Das Regierungslager will offenbar mit Gewalt gegen die Proteste vorgehen. Am Donnerstag setzte die Polizei so viel Tränengas ein, dass die Demonstranten unter Tränengaswolken verschwanden. Diosdado Cabello, Anhänger der sozialistischen Regierungspartei, ehemaliger Parlamentspräsident und Ex-Militär, drohte im Januar: „Es wird keine Wahlen mehr in Venezuela geben. Hier wird es nur noch Revolution geben." ► Dabei gibt es kaum noch Rückhalt für Maduro und Co. Die staatlichen Medien präsentieren stolz Bilder von demonstrierenden, sozialistischen Regierungsanhängern auf der zentralen Hauptstraße Caracas „Urdaneta".

Die Aufnahmen sind tatsächlich echt. Aber: „Die Leute werden da mit Bussen hingekarrt und es wird massiver Druck auf öffentliche Bedienstete ausgeübt, Maduro Loyalität zu zeigen", sagt eine junge Venezolanerin, die anonym bleiben möchte.

► Nach Umfragen von unabhängigen venezolanischen Organisationen unterstützen nur noch zehn bis zu 15 Prozent den Chavismus.

► Der fehlende Rückhalt macht sich selbst in der Regierung bemerkbar. Viele Minister haben die Sozialistische Partei (PSUV) mittlerweile verlassen und üben selbst laute Kritik gegen das zunehmend autokratische Vorgehen von Präsident Maduro.

► Der Chavismus wird vom Militär gestützt und kann sich bis dato auf die Loyalität des Militärs verlassen. Eine Machtübernahme durch die Opposition ist daher aussichtslos. In Venezuela gibt es keine bewaffnete Gruppe, die der Militärstärke der sozialistischen Regierung annähernd das Wasser reichen könnte.


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