Wir treffen uns um fünf Uhr nachmittags im Café Westend, ein Lokal wo Herr Knappik, wie er uns später noch erzählen wird, auch schon gezeigt hat, wie man Kondome richtig mit dem Mund abrollt - ein wichtiger Skill für professionelle Sexarbeiterinnen. Christian Knappik ist seit elf Jahren Senior-Admin der Homepage sexworker.at - eine Art Beratungs- und Austauschstelle für alle, die in dieser Branche tätig sind. Er ist groß und stark - der ideale Beschützer - obwohl er seine sanfte Art im Gespräch kaum verbergen kann. Er versucht dort zu helfen, wo Politiker und Sozialarbeiter scheinbar versagen.
Mit Registrierkasse am Strich
Er fragt oft, wie es uns geht und ist generell, trotz seines scheinbar unendlichen Redeflusses, sehr an seinem Gegenüber interessiert. So kommt er beispielsweise in der fünfstündigen Odyssee, die uns bevorsteht, immer wieder auf einen Kernpunkt zurück: Die Branche steckt in einer Krise. „Momentan ist es zum Haare raufen, bei dem was sich da abspielt. Es ist eine Katastrophe. Wir steuern auf einen Supergau zu und das realisiert niemand", lauten seine ersten Worte.
Was im ersten Moment vielleicht noch scherzhaft klingen mag, zeigt sich bei genauerer Betrachtung als große Hürde: Es ist der 1. Mai, den Christian Knappik fürchtet, und somit die zwingende Einführung einer Registrierkasse. „Es wird zwar momentan lustig aufgenommen, aber ich kann mich doch nicht mit einer Registrierkassa auf den Straßenstrich stellen", erklärt er und zieht an seiner Zigarette. Laut Finanzministerium muss ab ersten Mai jede Person mit einem Barumsatz von mehr als 7.500 Euro pro Jahr alle Einnahmen per elektronischer Registrierkasse, Kassensystem oder sonstigem elektronischen Aufzeichnungssystem einzeln erfassen. Bei Nachfrage im Finanzministerium heißt es, dass es hier für keine Branche eine Ausnahme gebe. Die Sexarbeiterinnen müssten also eine Rechnung schreiben. Es gelte hier aber zu unterscheiden, da es sich in diesem Fall laut Knappik nicht um eine Berufsgruppe wie jede andere handelt. Es sei ein höchst spezialisierter und gefährdeter Beruf - vor allem den Umgang mit Kunden betreffend. Besonders das Thema Stalking stellt eine der größten Bedrohungen für Sexarbeiterinnen dar und ist somit auch eines der Haupteinsatzfelder von sexworker.at, die bei Notfällen rund um die Uhr erreichbar sind.
Shame, Shame, Shame
Die Reise zu den markantesten Orten der Wiener Sexarbeit-Szene beginnt im Auto von Christian Knappik - ein grüner, älterer Citroën mit eingebautem, viel benutztem Aschenbecher. Bei unserem ersten Stopp in einem selbst betitelten Erotikstudio im fünften Bezirk fragt Christian Knappik lachend: „Und? Ist es so, wie ihr euch ein Puff vorgestellt habt?" Es herrscht eine freundliche Atmosphäre. Eine der Frauen bügelt ein Leintuch am Gang und auch die Dildos, die am Nachtkästchen stehen, stören die gelassene Stimmung nicht. Stark gemusterte Tapeten und ein schwerer Spiegel über dem Bett zieren die Wände in einem der Zimmer. Hier treffen wir auch die Sexarbeiterin Steffi ( Name von der Redaktion geändert, Anm.), die uns von ihren negativen Erfahrungen mit einem Stalker erzählt. Laut einer Homepage zum Thema hätten 24 Prozent aller Frauen in ihrem Leben schon einmal Erfahrung mit Verfolgung und Belästigung gemacht. Genaue Zahlen für Sexarbeiterinnen gibt es nicht. In Steffis Fall wurde sie von einem ehemaligen Kunden sogar zuhause aufgesucht: „Als ich ihn kennengelernt habe, war ich in einem Massagestudio beschäftigt. Später hat es aber zugesperrt und ich bin auf Hausbesuche umgestiegen. Weil er aber die Website des Studios kannte, wusste er, wie ich zu erreichen bin und hat mich in ein Hotel bestellt." In diesem Fall ging die Geschichte noch gut aus, denn der Stalker war unvorsichtig und gab seinen richtigen Namen im Stundenhotel an. So wurde sexworker.at auf ihn aufmerksam. Auf der internationalen Aids-Konferenz sei er schließlich auch aufgetaucht und wurde von allen Größen der Sexarbeiter-Szene vereint mit den Worten „Shame, Shame, Shame" hinausgejagt.
Ein Künstlername auf der Rechnung?
Durch das verpflichtende Ausstellen von Rechnungen kommen einige Bedenken auf: einerseits wegen der ohnehin schon weniger werdenden Kunden, die laut Steffi allein schon Hemmungen hätten, mit Bankomatkarte zu zahlen. „Wie wäre das dann erst, wenn sie eine Rechnung bekommen würden? Die haben immer Angst, dass jemand ihnen d'raufkommt", sagt sie und grinst. Größere Sorgen macht sich Knappik jedoch eher um die Sexarbeiterinnen selbst und das Risiko, es Stalkern dadurch einfacher zu machen. Für die Erstellung von Kassenbelegen gibt es genaue Regelungen.
Hauptaugenmerk liegt laut Finanzministerium darauf, die Dienstleistung nachvollziehbar zu machen. Eine Unternehmensbezeichnung reiche hierbei. Das Frauenministerium sieht hier ebenfalls einen Künstlernamen als ausreichend, wobei durchgängig derselbe verwendet werden sollte. Knappik jedoch meint, er warte seit vier Monaten darauf, einen Brief des Finanzministeriums zu sehen, in dem stehe, dass ein echter Name nicht zwingend notwendig ist und stattdessen auch Künstlernamen in Ordnung seien. Denn seiner Meinung nach sei dies eine Rechnungsfälschung. Die österreichische Wirtschaftskammer ist hier jedoch anderer Meinung: Rechnungen sind nur mit echtem Namen gültig. Gefährlich werde es spätestens, wenn ein Kunde damit beginnt, die Person unter Druck zu setzen. „Wenn der dann auf einmal fragt, was mit der Rechnung los ist und droht, sie oder ihn anzuzeigen, dann haben wir ein Problem", erläutert Knappik.
Die private Adresse als Verhängnis
Nicht nur der Name sondern insbesondere auch die Adresse wird bei Rechnungsstellung zum Verhängnis. Zwar heißt es von Vertretern im Finanzministerium, dass in diesem Fall die mobile Gruppenregelung gelte. Sie erfasst Tätigkeiten, die ortsflexibel sind, sowie die von Masseuren oder ähnlichen Berufsgruppen. Diese Ausnahme erlaubt es den Betroffenen, Dienstleistungen erst zum ehest möglichen Zeitpunkt, also bei der Rückkehr in die Betriebsstätte, nachzutragen. Wenn man sich die rechtliche Erklärung zur Registrierkassenpflicht genauer ansieht, bemerkt man, dass dies ein mögliches Schlupfloch darstellt: die sogenannte „Kalte Hände“-Regelung. Diese besagt, dass für Betreiber, die Umsätze bis zu 30.000 Euro pro Jahr auf öffentlichen Straßen oder Plätzen und ohne Verbindung mit fest umschlossenen Räumlichkeiten machen, keine Registrierkasse von Nöten ist. Als Beispiele werden seitens des Ministeriums Maronibrater sowie Christbaumverkäufer genannt. Ob hier jedoch Sexarbeiterinnen, die in keinem Betrieb arbeiten, sondern selbstständig auf der Straße, ebenso eingenommen sind, bleibt unklar. Seitens des Frauenministeriums ist es egal, wie viel Umsatz jährlich gemacht wird, denn Sexarbeiterinnen müssen für jede Dienstleistung einen Beleg ausstellen, wenn die Bezahlung in bar erfolgt. Erklärungen, wie dies in der Realität aussehen soll, bleiben leider aus.
„Ich kann doch am Straßenstrich keinem Kunden meine Adresse geben“, meint Knappik und man erkennt an seinem Tonfall die vielen Jahre der Diskussionen mit Behörden, die er bereits auf dem Buckel trägt. Laut WKO müsse jedenfalls eine Wohnadresse auf der Rechnung stehen, falls die Person nicht in einem entsprechenden Betrieb arbeitet. Auch stellt sich die Frage, welche Art von Dienstleistung aufgelistet werden soll. „Was sollen wir denn da draufschreiben? Küssen im Walde? Das ist unmöglich!“, unterstreicht er mit emotionsvoller Gestik und Mimik. Vom Finanzministeriums heißt es wiederum, dass ein simples „sexuelle Dienstleistung“ ohne weitere Details genüge.
Zur Illegalität gezwungen
Vom fünften Bezirk geht es weiter zu einer Ausfahrtsstraße im 23. Bezirk. Hier, bei einem der „legalen“ Straßenstriche in Wien, zeigt sich eine trostlose Gegend, die vom Industriegebiet dominiert ist. Hier gibt es keine Sanitäranlagen, geschweige denn Betten. Lediglich eine Tankstelle hat noch offen, auf der die Sexarbeiterinnen, wenn sie Glück haben, die Toiletten benützen dürfen, wie Steffi und Knappik erzählen. Nur hier ist es Sexarbeiterinnen seit Erlassung des Prostitutionsgesetzes erlaubt mit Freiern „anzubahnen“. Der sexuelle Akt darf jedoch nicht in der Öffentlichkeit vollzogen werden. Theoretisch müssten sie ein Stundenhotel aufsuchen. Es gibt dort jedoch weit und breit keine Hotels. „Das heißt, ich kann mir dann aussuchen, welches Gesetz ich heute breche“, schildert uns Herr Knappik die Situation. Die Sexarbeiterinnen werden oft nicht mehr an ihre Arbeitsstelle zurückgebracht und einfach an der Autobahn rausgelassen. Hier entsteht ein enormer Risikofaktor.
Im Streit um die Registrierkassenpflicht äußerst sich schlussendlich auch das generelle Problem, welches die Sexarbeiterinnen mit der offiziellen Seite und der öffentlichen Wahrnehmung haben: Die negative Besetzung des Wortes Prostitution habe schon in vielen Debatten immer zu Missverständnissen geführt. Glaubt man dem Experten von sexworker.at ist die neue Registrierkassenpflicht nur ein weiterer Motivationsgrund in die Illegalität überzugehen. „Das Wiener Prostitutionsgesetz drängt die Frauen zu Betreibern. Selbstständig auf der Straße zu arbeiten ist quasi verboten. Aber wenn man jetzt weiß, dass es zurzeit 3.700 registrierte Prostituierte in Wien gibt, aber nur 390 gemeldete Lokale – da geht sich was nicht ganz aus!“ Jenes Verbot gegen die im besiedelten Bereich angebotene Sexarbeit hat zu deutlichen Verschiebungen der Arbeitsplätze für Sexarbeiterinnen geführt. Laut Knappik sind beinahe 400 Frauen, die ihre Dienste in der U-Bahn oder in Kaufhäusern anbieten, ein Ergebnis eben dessen. „Wenn ich 400 Frauen vom Straßenstrich vertreibe, dann werde ich die halt woanders finden!“ sagt er und verweist erneut auf die prekäre Sicherheitslage für die SexarbeiterInnen, die in diesen Fällen herrscht.
Prostitution – das ewige Zerrbild
Über die Autobahn geht es zurück in die Stadt. Die besuchten Orte haben ein sehr reelles Bild von der Situation gezeichnet, das kaum übereinstimmt mit den Bildern, die die Öffentlichkeit beherrschen. Ein möglicher Lösungsansatz laut Knappik? „Selbstbestimmtes, selbstständiges Arbeiten und eine Entledigung vieler Vorurteile, die gegenüber dieser Berufsgruppe herrschen.“ Als Beispiel nennt der Experte von sexworker.at, dass in der Öffentlichkeit die Meinung vorherrsche, nur Migrantinnen arbeiten in der sichtbaren Prostitution. Diese Wahrnehmung entstehe jedoch nur, weil Sexarbeiterinnen mit Migrationshintergrund oft Angst haben, abgeschoben zu werden, wenn sie nicht als solche registriert sind. Nur zwei bis drei Prozent der sichtbaren Prostituierten seien Österreicherinnen, erklärt er uns. Steffi zählt als eine der wenigen zu dieser Gruppe. Dieses Zerrbild werde immer heftiger, kritisiert Christian Knappik. Ebenso denkt ein Großteil der Bevölkerung, dass man für Geld für alles zu haben sei und das stimme so nicht, meint Sexarbeiterin Steffi. Sie selbst mache ihren Job sehr gerne: „Ich wäre verzweifelt, wenn ich irgendwas anderes arbeiten müsste. An einer Billa-Kasse zu sitzen beispielsweise, das würde mich in den Wahnsinn treiben“, sagt sie und lacht dabei.
Die Politiker könnten dieses Zerrbild verringern, in dem sie mit Sexarbeiterinnen sprechen und diese auch in die Diskussion miteinbeziehen. Knappik zitiert an diesem Punkt die Soziologin Helga Amesberger: „Jeder hat eine Vorstellung oder eine Meinung zu Prostitution, aber die Wenigsten eine Ahnung.“ Ebenso berichtet er uns von der Arbeitsgruppe „Prostitution“, die vom Frauenministerium eingesetzt wurde. Diese bestehe laut seinen Angaben aus Mitgliedern der Polizei, des Gesundheitsamtes, sowie verschiedenen NGOs. Darunter befinde sich jedoch keine einzige SexarbeiterIn.
Prostitution – ein Thema über das niemand sprechen will, schon gar nicht in der Politik. So auch Knappik: „Diese politischen Hebel, die wir ansetzen, sind viel zu langsam. Und das mit der Registrierkassen-Einführung, das brauch ich mir gar nicht vorstellen, weil das bringt uns um!“
*Anmerkung: Mit Sexarbeiterinnen sind sowohl weibliche als auch männliche Personen gemeint
In: mokant.at, 2016