Welche Folgen der Einsatz von Agrargiften auf die Bevölkerung hat, zeigt die Ausstellung „Landwirtschaft der Gifte. Ihr Preis für den Menschen" mit Fotografien von Pablo E. Piovano und W. Eugene Smith
Schmale Stromleitungen durchziehen den Himmel, von dem normalerweise Flugzeuge tonnenweise Herbizide auf die Felder von Santo Ana in Argentinien herabschütten. In nüchternem Schwarz-weiß suggerieren die Bilder des argentinischen Fotografen Pablo E. Piovano in „Landwirtschaft der Gifte. Ihr Preis für den Menschen" einen Hauch von Hoffnung in einer Realität, die das kaum mehr zuzulassen scheint. Denn innerhalb von nur einem Jahrzehnt stieg vielerorts in Argentiniens die Krebsrate bei Kindern auf das Dreifache des Landesdurchschnitts. Fehlgeburten, Missbildungen sowie Lungenerkrankungen waren weitere Folgen. Argentinien zählt zu den weltweit größten Produzenten genveränderter Nutzpflanzen. Zur Bekämpfung von Unkraut werden gefährliche Herbizide wie Glyphosat eingesetzt. Bilder erzählen von Eltern, die ihre Kinder ins Haus holen, um sie vor herabregnenden Giften zu schützen. Eine symbolische Geste - ihre Häuser sind umgeben von toxischen Feldern.
Pablo E. Piovano dokumentiert in seinen Bildern, die noch bis zum 21. Januar 2018 im Willy-Brandt-Haus zu sehen sind, die dramatischen Folgen und das Leid der Bewohner. Es sind alltägliche Situationen in ihren Wohnzimmern, in ihren Gärten. Nichtsahnende spielende Kinder neben Feldern, daneben leere Augen eines schwerkranken Jungen. Hinter der trüben Ernsthaftigkeit der Bilder ist die intime Verbundenheit des Fotografens zu spüren. Fabián Tomasi ist eines der Opfer, sein magerer Körper ist gezeichnet von dem Gift. Seine Geschichte war der Ausgangspunkt für Piovanos Arbeit. Von 2014 bis 2017 bereiste der Fotograf betroffene Gebiete, um das aufzuzeigen, was auf offizieller Seite kein Gehör findet.
Parallel zu Piovanos Bilderstrecke, die den Großteil der Ausstellung einnimmt, schließt „Der Skandal von Minimata 1971 - 73" ergänzend an. Diesen deckten damals der US-amerikanische Fotograf W. Eugene Smith und seine Frau Aileen in der japanischen Stadt Minimata auf. Durch die Veröffentlichung in der New York Times erlangte die Geschichte internationales Aufsehen. Bereits in den 1950er-Jahren leitete ein Chemiekonzern, Chisso Company, quecksilberhaltige Abfälle in die Gewässer, das Gift gelangte in die Nahrungskette. Folglich erlitten unzählige Bewohner, vor allem Kinder, starke Missbildungen. Bei seinen Recherchen wurde Smith vom Wachschutz des betroffenen Chemiekonzerns so schwer verletzt, dass er danach nie wieder fotografisch arbeiten konnte.
Genauso wie Pablo E. Piovano kämpfte Smith für die Wahrheit, für Gerechtigkeit in einer Welt, in der Profit offensichtlich mehr zählt als Menschenleben. Beinahe 50 Jahre später scheint die Aktualität des Themas ungebrochen.
Willy-Brandt-Haus Wilhelmstraße 140, Kreuzberg, Di - So 12 -18 Uhr, 20.10 - 21.1.2018, Eintritt frei
In: tip 23/2017, 7.11.2017