Henriette Ekwe ist kamerunische Menschen- und Frauenrechtsaktivistin und die erste Afrikanerin, die den Preis "International Women of Courage Award" erhalten hat. lm Interview mit Katharina Lipowsky spricht sie über die Anfänge ihres politischen Engagements in Paris und über internationale und nationale feministische Kampfe.
an.schläge: Nach Ihrem Abitur 1969 in Douala, Kamerun, haben Sie für die Zeit Ihres Studiums einige Jahre in Paris gelebt. Was hat Sie zu Ihrem politischen und feministischen Engagement in Frankreich motiviert weit entfernt von den Problemen und Realitäten Kameruns?
Henriette Ekwe: Zum Zeitpunkt meiner Ausreise nach Paris war der damalige Präsident Ahmadou Babatoura Ahidjo bereits neun Jahre an der Macht, und er war dabei, ein autoritäres Regime, eine Diktatur zu etablieren. 1976 hat er dies mit dem Verbot aller Oppositionsparteien und der Einführung eines Einparteiensystems vollendet. Mit dem Antritt meines Studiums in Frankreich traf ich auf eine Generation junger Menschen, die sich politisch engagierte und gegen das bestehende System revoltierte. Ich trat einer kamerunischen Studierendenorganisation bei, die sich von Paris aus für das Ende der Diktatur in Kamerun einsetzte.
Für uns war der Kampf für die Abschaffung des autoritären Systems zu Hause zunächst vorrangig. Aber wir waren natürlich auch sehr stark von der europäischen linken Szene und deren politischen Zielen und Ideen beeinflusst. Die Siebzigerjahre waren durch eine Fusion unterschiedlicher politischer Kampfe gekennzeichnet, und mein politisches Interesse galt auch internationalen linken Zielen: Der Anerkennung Palästinas oder der Unterstützung linker Organisation in Lateinamerika, wie in Chile oder Argentinien. Wir sind für die Befreiung Angela Davids marschiert und haben die Ziele und Forderungen der Schwarzen Frauenbewegung in den USA unterstützt. Wie so viele StudentInnen dieser Zeit war ich beeinflusst von verschiedenen linken bzw. kommunistischen politischen Debatten, und alle diese Bewegungen haben mein politisches Engagement beeinflusst und mich intellektuell und politisch sehr stark geprägt und bereichert.
an.schläge: Sie sprachen von Angela Davis und der Schwarzen Frauenbewegung in den USA. Gab es zu dieser frühen Zeit Ihres politischen Engagements ein internationales Netzwerk Schwarzer Frauenrechtlerinnen bzw. Feministinnen?
Henriette Ekwe: Ja, das gab es. Angela Davis war eine lkone der kommunistischen Bewegung und sie hat nicht nur der Schwarzen Frauenbewegung, sondern einer ganzen Generation Schwarzer Jugendlicher eine Stimme gegeben. Sie war international bekannt und für viele Schwarze engagierte Frauen dieser Zeit ein Vorbild. ln Frankreich gab es beispielsweise ein Netzwerk Schwarzer Feministinnen, das mit den französischen Feministinnen und mit anderen Schwarzen Frauengruppen in den USA oder Großbritannien interagierte. Wir Schwarzen Frauen, Schwarzen Feministinnen, haben denselben Kampf geführt wie die französischen und andere internationale Feministinnen, aber für uns war die Erlangung der Freiheit unserer Länder zunächst vorrangig. Nach unserer Logik konnte der Kampf für die Freiheit der Frau erst mit der Einführung eines demokratischen Systems erfolgreich sein. Die Geschichte hat uns dann auch Recht gegeben. Mit dem Ende der Diktatur haben sich in Kamerun zahlreiche Frauenorganisationen etabliert. Der Kampf gegen das Patriarchat konnte erst mit dem Ende der Diktatur beginnen.
an.schläge: Frauen sind allerdings heute in Kameruns Regierung, wie auch in der Opposition, extrem marginalisiert. Was sind die Gründe für diesen Ausschluss?
Henriette Ekwe: Vor der Unabhängigkeit Kameruns waren Frauen in die politischen Unabhängigkeitsbewegungen integriert. Doch mit der Machtübernahme Ahmadou Babatoura Ahidjos und der Einführung des Einparteiensystems war es den Frauen untersagt, sich politisch zu engagieren. Anfang der Neunzigerjahre mit der politischen Öffnung Kameruns und der Einführung eines Mehrparteiensystems traten Frauen dann zunächst in großen Zahlen den neuen Parteien der Opposition bei. Doch es wurde schnell klar, dass sich an der Vorherrschaft der Männer so schnell nichts ändern würde, und dass sich die Frauen ihre Position en auch hier würden hart erkämpfen müssen. Bei den ersten freien Wahlen hatte keine einzige Frau einen Platz auf den Wahllisten der Oppositionsparteien! Was haben die Frauen also gemacht? Sie sind wieder ausgetreten und sind dorthin abgewandert, wo sie gefragt waren: in die neuen Organisationen der Zivilgesellschaft. Hier wurden sie zu Engagement ermutigt, und es war für sie einfacher, einflussreiche Posten zu bekommen. Ein weiterer Faktor war die steigende Popularität des Themas ,Gender" in den internationalen entwicklungspolitischen Organisationen, kompetente Frauen wurden dringend gesucht.
Man muss jedoch auch sagen, dass die politische Ausbildung von Frauen in Kamerun ein großes Problem darstellt. Da Frauen dreißig Jahre lang vom politischen Geschehen vollständig ausgeschlossen waren und zu Zeiten des Einparteiensystems zu Parteisitzungen lediglich zum Applaudieren eingeladen wurden, fehlt es den Frauen an politischer Bildung und Erfahrung. Selbst im Bereich ,Gender" sind viele Frauen meiner Ansicht nach nicht ausreichend ausgebildet, um dieses Thema wirklich zu bearbeiten und die Rechte von Frauen in Kamerun zu verteidigen. Die politische Lobby der Frauen ist insgesamt sehr schwach. Kameruns Frauen müssen ihren täglichen Kampf darum, ihre Familien zu ernähren, zu einem politischen Kampf machen. Kameruns Frauen übersehen häufig, dass ein politisches Engagement die bestehenden Gesetze tatsachlich andern könnte und somit auch ihre Situation.
an.schläge: Gibt es abseits dieser gravierenden Probleme auch positive Errungenschaften und Entwicklungen für die Frauen in Kamerun?
Henriette Ekwe: Es gibt keine positiven Veränderungen für die Frauen in Kamerun- im Gegenteil: Die Wirtschaftskrise hat die Lage der Frauen noch verschlimmert. Dadurch, dass es keine sozialen Sicherungssysteme gibt und viele Frauen ökonomisch nicht unabhängig sind, treffen wirtschaftliche Krisen die Frauen immer am stärksten. ln Zeiten der Krise sind es die Frauen, die ihre Familien durchbringen müssen, und es sind die Frauen, die am härtesten arbeiten. Trotzdem ist die kamerunische Familie nach wie vor sehr hierarchisch und patriarchal strukturiert.
an.schläge: Der Internationale Frauentag, der 8. März, wird in Kamerun allerdings groß gefeiert. Werden hier die Probleme thematisiert?
Henriette Ekwe: Das ist ein Tag, an dem die Frauen die Pagne (Stoff, aus dem die Frauen ihre Kleider fertigen, Anm.) schneidern und sich schick machen, um auszugehen. Der Großteil der Frauen weiß nicht, dass dieser Tag hart erkämpft wurde und Clara Zetkin sich für die Rechte der Frau eingesetzt hat. Für meine Schwestern ist der 8. März heute zu einem großes Fest der Pagne geworden: Wer hat das schönste und teuerste Kleid, und wo werden wir trinken gehen? Dabei gibt es genügend Dinge, die verändert werden müssen. Gerade auch auf gesetzlicher Ebene: Es gibt beispielsweise einen Code, der die gesetzlichen Ungerechtigkeiten ändern will, die Witwen vor brutalen Ritualen schützt und die Rechte der Frau stärkt. Dieser Code umfasst 600 Artikel und wurde durch die Frauenorganisation ACFAJ, eine Vereinigung von Juristinnen, ausgearbeitet. Dieser Code existiert seit 1995, aber er ist nie zur Abstimmung ins Parlament gelangt, aus einem einfachen Grund: Er gesteht der Frau echte Gerechtigkeit und Gleichheit vor dem Gesetz zu. ln Wirklichkeit will die kamerunische Regierung keine Gleichheit der Geschlechter, da sie von der Unmündigkeit der Frauen profitiert.
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Henriette Ekwe Ebongo, geboren 1951, ist eine kamerunische Journalistin und politische Aktivistin. Sie hat sich in den 1970ern für das Ende der Diktatur durch Ahmadou Babatoura Ahidjo in Kamerun eingesetzt, war deshalb extremer Repression und Folter ausgesetzt und musste auch eine Gefangnisstrafe verbüllen. Ekwe ist Gründerin des Büros von Transparency International in Kamerun. 2011 hat sie für ihren herausragenden Einsatz für die Menschenrechte den "International Women of Courage Award" in New York erhalten.