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"Querdenken"-Rednerin fühlt sich "wie Sophie Scholl": Warum der Vergleich so verheerend ist

Es sind Bilder zum Fremdschämen, zum wütend werden - und am Ende doch noch zum Mut schöpfen. Am Wochenende ist mal wieder ein Video von einer "Querdenken"-Demonstration viral gegangen: dieses Mal von einer Demo in Hannover. Auf der Redner*innenbühne steht zu Beginn des Videos eine junge Frau - sie beginnt ihre Rede mit den Worten:


"Hallo ich bin Jana aus Kassel und ich fühle mich wie Sophie Scholl, da ich seit Monaten hier aktiv im Widerstand bin, Reden halte, auf Demos gehe, Flyer verteile und auch seit gestern Versammlungen anmelde." Nun ja, sie spricht den Namen der Widerstandskämpferin dreimal falsch aus, bis es klappt. Danach wird es aber noch schlimmer: "Ich bin 22 Jahre alt, genau wie Sophie Scholl, als sie den Nationalsozialisten zum Opfer fiel."


Junger Mann schreitet ein

Zwar klatschen und jubeln die anderen Demo-Teilnehmer*innen: Plötzlich tritt aber ein junger Mann ins Bild. "Für so einen Schwachsinn mache ich doch keinen Ordner mehr", sagt er wütend und reicht der Frau sein orangefarbenes Leibchen. Es handele sich um eine " Verharmlosung vom Holocaust", die "mehr als peinlich" sei.

Anfangs tut die Rednerin, als verstehe sie nicht, was er will. Dann entgegnet sie: "Ich habe doch gar nichts gesagt", beginnt sie zu weinen, wirft ihr Mikrofon weg und rennt von der Bühne. Polizist*innen erscheinen und bringen den Mann von der Bühne weg.

Warum der Vergleich verheerend ist:

Das Schlimmste an der ganzen Sache: Außer dem jungen Mann versteht wohl keine*r der Anwesenden, was "Jana aus Kassel" da eigentlich gerade gesagt hat. Es ist unübersehbar, dass sie ein haarsträubendes Verständnis von Demokratie, aber auch von Geschichte hat. Denn hätte sie in der Schule besser aufgepasst, würde sie wissen, dass Sophie Scholl nicht entspannt auf Bühnen ihre Reden halten durfte, sich gegen ein massenmordendes Regime einsetzte und am Ende mit ihrem Leben bezahlte.


Man könnte jetzt einfach sagen: Jana aus Kassel will sich eben mit großen Namen schmücken und Aufmerksamkeit bekommen - lasst sie doch. Doch so einfach ist das nicht. Denn jedes Mal, wenn der Holocaust oder ein*e Widerstandskämpfer*in als Vergleich mit den Corona-Demonstrant*innen herangezogen wird, werden die damaligen grauenhaften und einmaligen Ereignisse relativiert. Der Corona-Lockdown ist genauso schlimm wie die Ermordung von Sechs Millionen Jüd*innen? Kann mal ja mal so darstellen - findet zumindest Jana aus Kassel.


Antisemitismus unter "Querdenkern"

Und dabei reflektieren sie und ihre Zuhörer*innen nicht einmal, dass der Antisemitismus, gegen den sich einige der damaligen Widerstandskämpfer*innen einsetzten, in den Reihen der "Querdenker" gang und gäbe ist. Die Verschwörungstheorien vieler Corona-Leugner strotzen nur so vor Judenfeindlichkeit. Dass die Rednerin das Schicksal von ermordeten Jüd*innen und Widerstandskämpfer*innen ausnutzt, um Verschwörungstheorien Vorschub zu leisten, ist unentschuldbar.

So sahen das die Demonstrant*innen in Hannover aber anscheinend nicht. Denn es tauchte ein weiteres Video auf, in dem Jana aus Kassel erneut auf der Bühne steht und sich erschüttert darüber zeigt, dass sie "beleidigt" wurde.

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