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Hautaufhellungscremes sind extrem gefährlich und zutiefst rassistisch - warum sind sie trotzdem so beliebt?

Vornehme Blässe - wohl kein zweiter Ausdruck beschreibt so treffend, was in der Beauty-Industrie schief läuft - und vor allem in unseren Köpfen. Denn wer den Ausdruck kennt, weiß: Er ist als Kompliment gemeint. Wer weiß ist, ist vornehm, ist rein, ist schön - und wahrscheinlich auch erfolgreicher. Warum das so ist, dazu später mehr. Aber zuerst machen wir einen kleinen Exkurs in die Sprachgeschichte.


Die Geschichte der "vornehmen Blässe"

Helle Haut ist seit Beginn der Zivilisationsgeschichte nie ein wertfreies Merkmal gewesen: Die Ursprünge ihrer "vornehmen" Symbolik reichen bis ins alte Ägypten zurück, wo das Erhalten der Schönheit von Lebenden und Toten einen ganz besonderen Stellenwert hatte: Schönheit wurde als göttliches Ideal angesehen, die Haut der Götter wurde durch Gold symbolisiert. Auch wegen der herausgehobenen Stellung der Sonne und ihrer hellen Strahlkraft wurde Helligkeit mit Göttlichkeit in Verbindung gesetzt. Was den Göttern optisch nah kam - also hell war - galt dementsprechend als schön.


Dazu kam, dass helle Haut ein Merkmal derjenigen war, die nicht darauf angewiesen waren, Berufe auszuüben, bei denen sie der Sonne ausgesetzt waren - im Gegensatz zu Handwerkern und Bauern, die eine niedrige Stellung in der damaligen Gesellschaft innehatten. Helle Haut wurde zum Kennzeichen der Oberschicht. Ein Narrativ, das sich Jahrhunderte lang halten sollte.


Etwa während des Absolutismus in Frankreich, der wie keine zweite Epoche für eine ausgeprägte Ständegesellschaft steht: Damals galt weiße Haut ebenfalls als besonders vornehm. Aufwendige Schminkprozeduren mit weißem Puder sind nicht zu Unrecht ein Bild, das uns bei dieser Zeit als Erstes in den Sinn kommt.


Der Kolonialismus in den Köpfen

Auch während des Kolonialismus, der das Narrativ der unterschiedlichen "Wertigkeit" von konstruierten "Rassen" manifestierte, galt blasse Haut als Überlegenheitsmerkmal. Der Kolonialismus endete, das rassistische Weltbild blieb. Und während die Kolonialherren die ehemals kolonisierten Länder etwa in Afrika und Asien verließen, hatte sich der unheilvolle Gedanke "Weiß gleich wertvoll" schon längst in den Köpfen der Menschen festgesetzt - und herrscht bei vielen Bewohner*innen der damaligen westlichen Kolonien noch immer vor.


Und hier kommen wir zu einem Problem, das immer schlimmer zu werden scheint: Immer mehr Menschen im "Globalen Süden" greifen zu bleichenden Cremes, die ihrer Gesundheit erheblichen Schaden zufügen. Und das nicht nur, weil sie ihre Hautfarbe aufgrund eingeimpfter rassistischer Denkmusterselbst ablehnen - die helle Hautfarbe verspricht tatsächlich mehr Erfolg auf der Partner- und Jobsuche. In einem "Spiegel"-Interview mit einer Geschäftsfrau aus Ghana sagt diese: "Vor allem bedeutet helle Haut aber Geld. Wenn du hell bist, bekommst du bessere Jobs, verdienst mehr, wirst eingeladen."

Und das, obwohl in den betreffenden Ländern die große Mehrheit der Bevölkerung Schwarz ist. Welche Ausmaße der Helligkeitswahn deshalb annimmt, möchte man sich nicht ausmalen - doch die Zahlen sprechen für sich.


Wie verbreitet sind Hautbleichmittel?

Trotz bewiesener gesundheitlicher Gefahren, der Illegalität in manchen Ländern und regelmäßiger Shitstorms, ist die Hautaufhellungsindustrie derzeit erfolgreicher denn je. Bis 2024 wird sie voraussichtlich 31,2 Milliarden US-Dollar wert sein. Allein in Nigeria verwendeten 2011 nach Angaben der Weltgesundheitsorganisation 77 Prozent der Frauen oder mehr als 60 Millionen Menschen regelmäßig Bleichmittel. Der Umsatz von Hautaufhellungsprodukten soll in Indien sogar höher sein, als der von Coca-Cola. Weltweit sollen bis zu 27 Prozent aller nicht-weißen Frauen Hautaufheller benutzen. Viele Menschen in afrikanischen Ländern sparen sogar an Lebensmitteln, um sich die Bleichprodukte leisten zu können - so groß ist der Druck, heller zu sein.

Mit Hautbleichmitteln, inklusive illegalen und extrem hautschädlichen Mitteln, wurde 2013 erheblich mehr Geld umgesetzt als mit Bräunungs- und Sonnenschutzmitteln: 40 Milliarden Dollar - davon nur zwölf Milliarden mit legalen Mitteln.


Gefahr für die Gesundheit

Warum die Hautaufhellungcremes so gefährlich sind? Neben dem psychischen Effekt der Vorstellung, dass man an seiner Hautfarbe etwas ändern, muss um schön zu sein, sorgen sie für nachweisbare Schäden an der Haut und im ganzen Körper. Die Produkte entfernen die obersten Schichten der Haut und reduzieren Melanin - was die Wahrscheinlichkeit für Hautkrebs und schwere Nerven-, Nieren-, Leber- und sogar Hirnschäden erhöht. Häufig enthalten sie Quecksilber und Hydrochinon, das "biologische Äquivalent zu chemischem Lösungsmittel". Quecksilber und enthaltenes Blei können zudem in hohen Dosen Vergiftungserscheinungen hervorrufen. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) hat Bleaching deshalb als akute Bedrohung und Krise für das Gesundheitswesen eingestuft.


Während Reiche und Berühmte in teure Kliniken gehen und mehrere tausend Euro für das Bleichen ihrer Haut bezahlen, können sich die viele Afrikaner*innen keine zertifizierten Produkte leisten und greifen auf Fakes oder Billig-Produkte zurück, die nicht registriert und offiziell sogar verboten sind. Früher konnte man als Hautbleichmittel ausschließlich Cremes kaufen, heute gibt es Pillen und Spritzen, deren Inhaltsstoffe oft unklar sind.


Sogar Babys werden gebleicht

Wie bereits erwähnt, sind einige Hautbleichmittel in bestimmten Ländern verboten: Etwa in Nigeria, Südafrika und Kenia sind Mittel mit hohem Anteil an Hydrochinon und Quecksilber verboten - auf illegale Weise kommen die Mittel jedoch trotzdem zuhauf an die Kund*innen. Und die sind zu allem bereit, was eine helle Haut und ein besseres Leben verspricht - vor allem für ihren Nachwuchs.

So warnte die Nahrungs- und Arzneimittelbehörde in Ghana schwangere Frauen bereits davor, Pillen mit dem Wirkstoff Glutathion einzunehmen, um die Haut ihres ungeborenen Kindes zu bleichen. Solche Pillen können tödliche Nebenwirkungen haben. Auch die Praxis, die Haut von Neugeborenen mit Steroidsalbe zu bleichen ist verbreitet - und sorgt für schwere irreparable Hautschäden und sogar Krebs. Spätestens an dieser Stelle wird klar: Der Nachteile von dunkler Haut stellen einen so enormen Druck dar, dass in der Verzweiflung sogar zu potenziell tödlichen Mitteln gegriffen wird, um ihnen zu entgehen.


Shitstorms gegen Hautbleichmittel

Schuld an der Verbreitung von Hautbleichmitteln sind nicht zuletzt groß aufgezogene Werbekampagnen mit Prominenten wie beispielsweise Model Blac Chyna. Hier ist der Spot, in dem sie ein Creme für hellere Haut bewirbt:

Schon vor, doch besonders auch nach der Tötung des Schwarzen Amerikaners George Floyd und den "Black Lives Matter"-Protesten kam Kritik an solchen Werbungen auf, die mit Protagonist*innen of Color ein rassistisches Weltbild manifestieren. Und jetzt wird es tricky: Denn im Zuge dieser Proteste schrieben sich plötzlich auch Prominente Antirassismus auf die Fahnen, die früher in ebensolchen Werbespots mitspielten. 


Firmen reagieren auf Rassismuskritik

Mit der steigenden Aufmerksamkeit für antirassistische Proteste gerieten plötzlich auch Firmen unter Druck, die vorher mit eigenen Bleichmittel-Produktlinien auf die steigende Nachfrage im Nahen Osten, Afrika und Asien reagiert hatten. Und siehe da: Einige von ihnen sahen sich gezwungen, Maßnahmen zu ergreifen.

Nach Unilever und Johnson & Johnson kündigte Ende Juni auch der weltweit größte Kosmetikkonzern L'Oréal an, auf Produktbezeichnungen verzichten, die helle Haut als Schönheitsideal propagieren. In einer knappen Mitteilung hieß es, dass der Konzern künftig Begriffe wie "Aufheller" streichen wolle (im Englischen white/whitening, fair/fairness, light/lightening). Wann das geschehen soll und ob auch einige Produkte zurückgezogen werden, ist noch unklar.


Ein kleiner Schritt auf den hoffentlich noch viele weitere Folgen werden. Denn nicht erst seit der "Black Lives Matter"-Protestwelle ist klar: Das vorherrschende rassistische Weltbild fordert reale Todesopfer: Sei es durch Polizeigewalt - oder durch giftige Bleichmittel der Kosmetikindustrie.

Quelle: Noizz.de

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