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Warum machen Videokonferenzen so müde? Fünf wissenschaftliche Gründe

Als wegen des Corona-Lockdowns die Home-Office-Pflicht eingeführt wurde, war der Jubel erstmal groß. Kein langer Arbeitsweg mehr, endlich ausschlafen und mehr Zeit für sich. Work-Life-Balance pur! Nach sechs Wochen ist jetzt klar: Das war eine Illusion. Am liebsten würde man in der Zeit zurückreisen und seinem jüngeren Ich zurufen: "Ha, denkste! Video-Konferenzen sind die technikgewordene Hölle!"

Aber warum sind Videokonferenzen inzwischen so unbeliebt? Versprechen sie nicht den kurzen Ausbruch aus dem Quarantäne-Trott? Die moderne Form der Kommunikation, die uns allen Zeit und Nerven spart? Ganz im Gegenteil. Immer mehr Menschen fühlen sich von den endlosen Skype- und Zoom-Meetings ausgelaugt. Sogar einen Namen hat diese Videokonferenzen-Müdigkeit schon: Zoom Fatigue. Und warum auch du unter ihr leidest hat mehrere Gründe:

1. Non-verbale Überforderung

Eine Videokonferenz verlangt dir mehr Konzentration und Fokus ab, als ein persönliches Gespräch. Das erklärte Professor Gianpiero Petriglieri, der sich mit nachhaltigen Lehrmethoden beschäftigt, der BBC in einem Interview. "Video-Chats bedeuten, dass wir uns mehr anstrengen müssen, um non-verbale Hinweise wie Mimik, Ton und Tonhöhe der Stimme und Körpersprache zu verarbeiten. Wenn man sich auf diese mehr fokussieren muss, verbraucht man viel Energie. Unser Geist ist fokussiert, während unser Körper vor dem Computer das Gefühl hat, dass wir es nicht sind. Diese Dissonanz, die zu widersprüchlichen Gefühlen führt, ist anstrengend. Sie können sich nicht auf das Gespräch einlassen", so Petriglieri.

In einem persönlichen Gespräch spüre man Stimmungen intuitiv und könne sein Verhalten darauf anpassen. Dreißig virtuelle Räume und die darin enthaltenen Konferenzteilnehmer gleichzeitig zu beobachten und ihre Stimmung einzuschätzen sei dagegen fast unmöglich.

Hinzu kommen technische Verzögerungen, die das Einschätzen von Stimmungen während der Konferenz noch einmal erschweren. Eine Studie aus dem Jahr 2014 im "International Journal of Human-Computer Studies" ergab sogar, dass Verzögerungen bei Konferenztechnologien manchmal dazu führen können, dass Teilnehmer*innen denken, die anderen Personen seien weniger freundlich oder weniger konzentriert.

2. Gegenseitiges Unterbrechen

"Ich wollte nur sagen - nein, du zuerst, nein ehrlich, du zu erst...". Wem kommt diese Konversation bekannt vor? Ob ein Team-Mitglied etwas sagen möchte, kann man oft nur schwer erkennen - man müsste alle Sichtfenster gleichzeitig beobachten oder durch ein Räuspern darauf aufmerksam gemacht werden. Mit ausgeschalteten Mikros ist das eher schwierig. Dazu kommt, dass häufig das WLAN nicht mitspielt und plötzlich drei Personen gleichzeitig reden.

Das Problem dabei ist nicht nur, dass kein flüssiges Gespräch in Gang kommt. Man hat auch dauerhaft das Gefühl, gerade unhöflich gewesen zu sein - der Chefin im Meeting versehentlich ins Wort zu fallen, ist auch im Real Life nicht gerade angenehm. Also neigt man dazu, seine Gedanken zu bestimmten Themen für sich zu behalten, wenn sie nicht unbedingt unerlässlich sind. Gegenseitiges Inspirieren ade, hallo unbefriedigtes After-Zoom-Gefühl.

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3. Zoom fühlt sich unnatürlich an

Hast du schonmal ausprobiert, deinem Gegenüber während eines Gesprächs nicht in die Augen zu schauen? Nicht bei Zoom - bei einem richtigen, realen Gespräch. Es gibt wohl kein unangenehmeres Gefühl, als wenn den Gesprächspartner den Augenkontakt meidet oder abgelenkt in eine andere Richtung schaut.

Bei Videokonferenzen ist das jedoch normal. Damit das Gegenüber das Gefühl hat, dass du ihm in die Augen schaust, musst du direkt in die Kamera gucken. Das hat aber wiederum zur Folge, dass du selbst deinen Gesprächspartner aus den Augen verlierst. Kurz: Die gängigen Gepflogenheiten, durch die wir uns während eines Gespräch wohlfühlen, fallen im Video-Chat komplett weg.

Für das durch Technik ausgelöste Unwohlsein gibt es sogar einen Begriff: "Uncanny Valley". Dieser Begriff bezeichnet den Effekt, dass Menschen ab einem gewissen Grad von technisch simulierter Authentizität diese Technik als unheimlich ("uncanny") empfinden und sich unwohl fühlen. Selbst wenn die Videokonferenz also ohne Störfaktoren wie langsamem WLAN abläuft, hinterlässt sie dich nicht in Glückseligkeit.

4. Du fühlst dich beobachtet

Nicht nur du siehst dein komplettes Team während einer Konferenz vor dir auf dem Bildschirm - auch sie sehen alles, was du tust. Und dessen bist du dir - wenn auch nur unterschwellig - bewusst. Die BBC befragte die Expertin für Arbeit und Wohlbefinden, Marissa Shuffler, über den Druck, vor der Kamera zu stehen. Sie sagt: "Wenn Sie an einer Videokonferenz teilnehmen, wissen Sie, dass alle Sie ansehen. Du stehst quasi auf der Bühne, also kommt der soziale Druck und das Gefühl, dass du auftreten musst. Performativ zu sein ist nervenaufreibend und stressiger", erklärte Shuffler. Auch hier: Mehr Stress - weniger Energie - du wirst müde.

5. Du bringst deine sozialen Rollen durcheinander

In der Familie bist du alberne Clown, bei der Arbeit der seriöse Macher, in deinem Freundeskreis die tröstende Schulter zum Ausweinen - wir alle erfüllen in den verschiedenen Gruppen unseres Alltags soziale Rollen. Je nachdem mit wem du gerade unterwegs bist und welche Eigenschaften gerade passen, zeigst du eine andere Seite deiner Persönlichkeit.

Doch durch Video-Chats wird dieses Konzept total durcheinander gewürfelt. Petriglieri (der Professor von Punkt eins ) sagte der BBC dazu: "Die meisten unserer sozialen Rollen spielen sich an verschiedenen Orten ab, aber jetzt ist der Kontext zusammengebrochen. Stellen Sie sich vor, Sie gehen in eine Bar und treffen dort sowohl ihre Professoren, Ihre Eltern und Ihre Freunde, ist das nicht komisch? Genau das machen wir gerade." Die sozialen Rollen sind also nicht mehr durch verschiedene Orte ( Uni, Wohnung der Eltern, Bar) getrennt. Schwierige Situation.

Auch wenn derzeit viele prophezeien, die Corona-Pandemie habe eine komplette Digitalisierung der Arbeitswelt zur Folge - bei all diesen Nachteilen ist das doch eher unwahrscheinlich. Wer will schon müde, unkonzentrierte Arbeitskräfte? Und ganz ehrlich - der Pausen-Plausch mit den Kolleg*innen fehlt doch allen ein bisschen.

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Quelle: Noizz.de

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