1 Abo und 1 Abonnent
Artikel

Jom haSikaron: Warum der israelische Gedenktag auch uns etwas angeht

Am 27. April um 20 Uhr stand Israel für eine Minute still. Kein Geräusch war zu hören - außer dem der Sirenen, die an die Gefallenen erinnern. Soldatinnen und Soldaten, die in einem Alter sterben mussten, in dem viele von uns noch nicht einmal wissen, was sie mit ihrem Leben anstellen sollen. Wie jedes Jahr wurde so der Jom haSikaron eingeleitet, seine lange Form bedeutet auf Deutsch übersetzt: "Gedenktag für die Gefallenen der Feldzüge Israels und die Opfer der Akte des Hasses".

Gedenken in Zeiten von Corona

Doch auch schwerwiegende Gedenktage wie dieser bleiben nicht von der Corona-Pandemie verschont. Familien durften nicht zu den Gräbern ihrer gefallenen Angehörigen. Zeremonien wurden ohne Publikum und virtuell abgehalten. Besonders schwer war das für die Familien der Mitglieder der IDF (Israel Defense Forces), die seit dem vergangenen Jom haSikaron, starben: 42 innerhalb eines Jahres. Seit dem Jahr 1873 sind 23.816 israelische Soldat*innen im Kampf gefallen, gibt das Verteidigungsministerium an.

Armee existenziell für Israel

Ein Gedenktag nur für gefallene Soldat*innen, an dem das ganze Land teilnimmt? Uns in Deutschland mag das komisch vorkommen - die Bundeswehr genießt in Deutschland einen viel geringeren Rückhalt in der Gesellschaft als die IDF in Israel. Dazu kommt, dass die israelischen Streitkräfte unverzichtbar dafür sind, dass das einzige jüdische Land auf der Welt überhaupt existieren kann. Seit seiner Gründung am 14. Mai 1948 ist es dauerhaft in Konflikte mit seinen Nachbarländern involviert, deren Staatsführer teilweise die Auslöschung Israels zum Ziel haben und nicht müde werden, dies immer wieder laut auszusprechen.

Wegen seiner existenziellen Wichtigkeit für das Land ist auch jeder junge Israeli und jede Israelin (mit wenigen Ausnahmen) dazu verpflichtet, dem Militär zu dienen: Frauen 21 Monate, Männer drei Jahre. Trotz ihres hohen Stellenwerts sind selbstverständlich auch die israelischen Verteidigungsstreitkräfte nicht frei von Kritik, die jedoch häufig mit sogenannter "Israel-Kritik" einhergeht, die in letzter Konsequenz die Existenz des Staates infrage stellt.

>> Neue Umfrage: Jeder vierte befragte Europäer ist Antisemit

Forderung an Bundesaußenminister

Doch nun zu der Frage, die sich bestimmt der ein oder andere von euch stellt: Was geht uns dieser Gedenktag überhaupt an? Das haben wir Ruben Gerczikow gefragt. Der 23-Jährige ist Vizepräsident der Europäischen Union jüdischer Studierender und hat wiederum mit der Jüdischen Studierendenunion Deutschland (JSUD) gefordert: Bundesaußenminister Heiko Maas soll sich für die Freilassung der israelischen Gefangenen einsetzen, die noch in den Händen der radikalislamistischen Terrororganisation Hamas sind.

Die Hamas will im gesamten Gebiet Palästina einen islamischen Staat errichten. Sie betrachtet Israel als besetztes Gebiet und will den Staat gewaltsam beseitigen. In ihrer Forderung an den Außenminister, die sie zum Jom haSikaron verfassten, führten die Mitglieder der JSUD auf, welche israelischen Staatsbürger von der Hamas verschleppt wurden und noch immer nicht in Freiheit sind.

Bedeutung für Deutschland NOIZZ: Der Jom haSikaron ist ein israelischer Gedenktag - das hat doch erstmal gar nichts mit Deutschland zu tun, oder?

Ruben Gerczikow: Es stimmt, der Jom haSikaron ist primär ein Gedenktag für gefallene israelische Soldatinnen und Soldaten und die israelischen Opfer des Terrors. Da Israel aber auch der jüdische Staat ist und Juden und Jüdinnen weltweit eine Verbindung zum Staat Israel haben, ist dieser Tag auch für viele jüdische Gemeinden ein wichtiger Gedenktag. Auch in Deutschland fanden landesweit Online-Zeremonien statt, bei denen Namen von Gefallenen vorgelesen wurden und die Geschichten von Opfern erzählt wurden. Jom haSikaron ist also nicht nur ein israelischer, sondern im Endeffekt auch ein jüdischer Gedenktag.

Warum sollte der Gedenktag Deutsche mehr Interessieren, als beliebige Gedenk- und Feiertage anderer Länder?

Ruben Gerczikow: Es geht nicht darum, ob es Deutsche interessieren sollte oder nicht, es geht in erster Linie darum, zu zeigen, dass die Lebensrealitäten in Israel sich stark von denen in Deutschland unterscheiden. Deutschland lebt heutzutage friedlich mit seinen Nachbarländern zusammen und es herrscht ein reger Austausch, sei es durch Urlaubsreisen oder Handelsbeziehungen. Währenddessen befindet sich Israel aber mit der Mehrheit seiner Nachbarländer immer noch in einem Kriegszustand. Israel ist umgeben von Ländern, die in der Vergangenheit oder sogar der Gegenwart das Existenzrecht Israels nicht anerkennen. Und Jom haSikaron steht für den Tag, an dem wir des Preises gedenken, den Israel zahlen muss, um zu existieren: Soldatinnen und Soldaten, die bereit sind mit ihrem Leben zu zahlen, wenn die Freiheit Israel wieder angegriffen wird.

Mit der JSUD hast du Heiko Maas dazu aufgefordert, sich für die Freilassung gefangener Israelis in der Hand der Hamas einzusetzen - welche Verantwortung hat Deutschland, da mitzuwirken?

Ruben Gerczikow: Das Auswärtige Amt schreibt auf seiner Website, dass die "einzigartigen Beziehungen zwischen Deutschland und Israel ein Grundpfeiler der deutschen Außenpolitik" sind. Deutsche Vermittlerinnen und Vermittler haben auch schon bei der Freilassung von Gilad Schalit 2011 eine tragende Rolle gespielt. Er war jahrelang Gefangener der Hamas im Gaza-Streifen. Deutschland genießt diplomatisches Ansehen weltweit und hat - unter anderem wegen seiner Geschichte, aber nicht nur - eine einzigartige Verbundenheit zu Israel. Daher glauben wir, dass Deutschland eine freundschaftliche Verantwortung gegenüber Israel hat, bei einem möglichen Gefangenenaustausch mitzuhelfen. Dieser Austausch wäre zudem ein humanitärer.

Was entgegnest du Menschen, die den Jom haSikaron kritisch sehen, weil die Soldat*innen in einem Konflikt gefallen sind, in dem Israel häufig als Aggressor dargestellt wird?

Ruben Gerczikow: Jom haSikaron steht ja wie gesagt nicht nur für die Soldatinnen und Soldaten, sondern auch für die Opfer der islamistischen Terroristen, die in der Vergangenheit israelische Staatsbürgerinnen und -bürger ermordet haben. Israel ist ein Land, das friedlich mit seinen Nachbarländern leben möchte, aber es immer wieder zu Terrorangriffen seitens der Hamas und der Hisbollah kommt. Und ich denke, der Toten gedenken sollte man immer können.

>> Darum outet sich Mike mit Kippa täglich als Jude - obwohl er schon auf einer Todesliste stand

>> Der Cast und die Macher von "Unorthodox" nehmen uns im Interview mit hinter die Kulissen

Quelle: Noizz.de

Zum Original