„Boah, wann ist endlich das Abi-Buch fertig, kriegt ihr das bis zum Abi überhaupt hin?" Meine Mitschüler sind besorgt. Wie jeden Morgen stehen wir gegen 8 Uhr in der Eingangshalle der Goetheschule und warten auf den Unterrichtsbeginn. Es ist kurz vor den Osterferien und das Buch ist noch längst nicht so weit, wie es sein sollte. Aber als Leiterin des Abi-Buch-Komitees kann ich das natürlich nicht so einfach zugeben.
Durch die Glastür zum Pausenhof blicke ich auf den Stolz unserer Schule: eine lebensgroße Statue von unserem Namensgeber Johann Wolfgang von Goethe. Der musste sich bestimmt noch nicht mit solchen Problemen herumschlagen. In der Romantik gab es wohl kaum Abi-Bücher. Warum, ist mir mittlerweile klar: Ihre Erstellung ist eine nur wenig romantische Aufgabe.
Viel eher: ein Drama in drei Akten.
Prolog im HimmelIn dem niedrigen Sechzigerjahre-Bau der Goetheschule trifft sich zu Anfang des Schuljahres zum ersten Mal das Abi-Buch-Komitee der Abschlussklasse. Wir bestehen aus vier Jungen und drei Mädchen - eins davon bin ich. Zusammen werden wir in den nächsten Monaten am Abi-Buch arbeiten. Darin hat jeder Abiturient eine eigene Seite. Auf der beantwortet er in einem Steckbrief unterschiedlichste Fragen zu seiner Person. Daneben gibt es noch Lehrerzitate, Berichte von Klassenfahrten. Und in der Rubrik „Abi-Awards" wählen sich die Schüler gegenseitig zum größten Streber oder Frauenschwarm. So entsteht eine Momentaufnahme des Jahrgangs, die man sich auch in 50 Jahren noch voller Nostalgie anschauen kann. Eine schöne Idee. Die Arbeit daran ist es weniger.
Ein separater Raum für unsere Komiteetreffen fehlt, also müssen die wenigen Computer vor dem Lehrerzimmer als Arbeitsplatz herhalten. Das tut unserer blendenden Laune jedoch keinen Abbruch: „Ich hab' mega viele Ideen, das wird das beste Abi-Buch EVER!" Da sind sich alle einig. „Ja, wir machen richtig Teamwork und so. Wer will koordinieren? Ist ja nur offiziell ..." Da beginnen die „zwei Seelen in meiner Brust" zu streiten: „Grau, teurer Freund, ist alle Theorie!", bemerkt der vernünftige Teil. Der kindische, hyperaktive Teil quäkt: „Mach es! Mach es! Mach es!" Wie so oft siegt das Kind, und ich melde mich für den Chef-Posten. Dass dies sonst keiner tut, bemerke ich an dieser Stelle nicht, den Grund dafür sollte ich jedoch noch früh genug erfahren. Denn nun bin ich Faust, der Protagonist meines eigenen kleinen Dramas, und soeben habe ich den Pakt mit dem Teufel geschlossen.
Der Tragödie erster TeilZu dritt sitzen wir Mädchen ein paar Tage später zu Recherchezwecken an den Computern, da nähern sich zwei der Jungs aus dem Komitee. „Wow", denke ich mir, „dass die ersten Inhalte so schnell fertig werden, habe ich nicht erwartet." Freude kommt auf.
„Moin, Texte schon fertig?", frage ich. „Voll gut, bin stolz auf euch!" Sie sind nicht fertig. Dafür machen sie mich fertig: „Eigentlich ist mir das alles zu viel Arbeit", sagt einer, „ich mach ja auch Abi und so." „Yo, mir auch", sagt der andere. „Wir sind raus!"
Abi-Mottos 2016Es soll nicht der letzte Rückschlag sein. Als wenige Monate später die Abgabefrist verstreicht, wird sie von genau vier Schüler eingehalten - von insgesamt 122. Auch bei der Sponsorensuche wird es schwierig: Entweder wollen sie gar nicht mitmachen oder sie haben Sonderwünsche, wollen, dass Konkurrenzunternehmen keinen Werbeplatz bekommen. Selbst die Zitateseite erweist sich als problematisch: Schlechte Witze, gewagte Anspielungen - was den Lehrern im Unterricht leicht über die Lippen ging, soll plötzlich nur anonym veröffentlicht werden. Und auch meine Mitschüler bekommen Zweifel an ihrem Geschriebenen - und wollen eine Antwort nach der anderen geändert bekommen.
In den anderen Komitees geht es ähnlich chaotisch zu: Die Karten für den Abi-Ball werden auf den letzten Drücker verkauft. Die Möglichkeit, ein Abi-Shirt zu kaufen, hatte man nur an zwei Tagen. Dann musste die Bestellung raus. In beiden Fällen hatte sich einfach niemand rechtzeitig gekümmert.
Und dann gibt es da ja auch noch die eigentlichen Abiturprüfungen. Während meine werten Mitschüler bereits den Kopf in die Lehrbücher stecken und lernen, sitze ich noch am Layout. Wenn ich jetzt morgens in der Eingangshalle stehe, hagelt es Nachfragen. Ob ich die Mail von gestern Abend gelesen hätte? Ob ich vielleicht herausfinden könnte, was der Schwarm als Zukunftswunsch angegeben hat? Und wer wurde überhaupt als Streber gewählt? Auf was habe ich mich da bloß eingelassen?
HexenkücheFühlte ich mich anfangs wie Faust, der tragische Held der Geschichte, so werde ich nun langsam zu Mephisto: Der böse Gegenspieler in meiner eigenen Story - irgendwie abgefahren. Potenzielle Sponsoren schreiben: „Wenn die auch bei euch Werbung machen, bin ich raus." Ich antworte: „Alles klar, viele Grüße!" Nicht minder nervige Schüler („Hast du meine 9342. Mail mit Änderungen bekommen?") werden jetzt einfach von mir stehen gelassen. Mein E-Mail-Postfach ist wahrscheinlich das, was Goethe mit „Helft! Feuer! Helft! Die Hölle brennt!" meinte. Doch böse wie ich nun notgedrungen bin, sind es jetzt die anderen, die das ausbaden müssen. Goethe würde vielleicht sagen:
Der dritte Akt ist zu erkennen, wenn Mitschüler in Gängen flennen: „Entschuldiung, die Abgebfrist,Wie laufen momentan die Vorbereitungen eures Abi-Buch-Komitees, Stine? Gab es bisher Schwierigkeiten, etwa in der Kommunikation untereinander? bereits Montag verstrichen ist, Rebecca, wie ist denn der Stand bei eurem Abi-Buch? nimmst du noch den Text, das Geld?Gab es bei der Planung Stress zwischen den Schülern und euch als Abi-Komitee, das die Texte einfordert? Ich weiß, wie sehr dir dies missfällt!" Carla, du leitest das Abi-Buch-Komitee an der Tellkampfschule. Wie weit seid ihr denn?Goethe schrieb an der „Faust"-Dichtung über 60 Jahre. So langsam beginne ich daran zu zweifeln, mit dem Abi-Buch früher fertig zu werden. Was bleibt, ist die Hoffnung, dass man es vielleicht ja in 200 Jahren noch im Deutschunterricht analysiert. Dann hätte sich die Arbeit auf jeden Fall gelohnt. Ein kleiner Funken Optimismus ist noch da. Oder um es mit Goethe zu sagen: „Unbezwinglich unser Mut."
Gab es denn größere Probleme?________________________________
Interviews: Ricarda Deutsch und Joss Doebler Wie läuft es mit dem Abi-Buch an eurer Schule?Momentan läuft es sehr gut. Wir haben einen Zeitplan, nach dem wir uns genau richten. Anfang Mai wollen wir das Buch in den Druck geben. Es ist jetzt alles ausgewertet und nun müssen wir es nur noch abtippen.
In einer Whatsapp-Gruppe schreiben wir die meiste Zeit über alles. Zur Besprechung größerer Aktionen wie den Abi-Awards treffen wir uns persönlich. So vermeiden wir Missverständnisse. Und falls doch welche entstehen, werden diese schnell ausdiskutiert.
Neben den laufenden Arbeiten am Layout warten wir jetzt die Kostenvoranschläge der Druckereien ab. Sollten diese unser Buchpreis-Limit von 20 Euro übersteigen, müssen wir mit Sponsoren in Kontakt treten.
Ein Problem, das wohl immer auftaucht, ist, dass man nie fristgerecht von allen die Texte und Fotos erhält - das war anstrengend. Ansonsten versuchen wir aber immer im Sinne der Schülerschaft zu entschieden, etwa beim Preis. ric
Wir sind gerade mit der Gestaltung der Steckbriefe der Abiturienten fertig geworden. Jetzt kümmern wir uns darum, die restlichen 20 Seiten zu füllen. Da gibt es dann unter anderem Bilder von der Mottowoche, Berichte von den Kursfahrten und Zitate aus dem Unterricht.
Die Fragen für die Steckbriefe haben für Ärger gesorgt. Manche meinten, es wären zu viele, andere wollten noch mehr. Wir haben dann eine Liste mit Fragen herumgeschickt, von denen jeder maximal acht beantworten durfte. jos