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Arbeitsmarkt: Kaffeefahrt zum Job

Auf einer Busreise durch die hessische Provinz buhlen IT-Firmen um die Gunst von Studenten. Sieht so die Zukunft des Arbeitsmarkts aus?


Er streicht das blonde Haar nach hinten, wischt noch schnell das Hemd glatt, dann kann es losgehen: David Kaufmann, 26, Masterstudent der Informatik, ist bereit für das Bewerbungsgespräch. "Guten Tag", sagt er zu dem technischen Leiter der Concat AG aus der hessischen Stadt Bensheim, der gegenüber von ihm Platz nimmt. "Ich begrüße Sie ganz herzlich." Dann beginnt er, den älteren Mann zu löchern. Was sind Ihre Schwächen? Wieso sollte ich mich für Sie entscheiden? Wie ist das Arbeitsklima bei Ihnen? "Ich werde mich bei Ihnen melden", sagt Kaufmann am Ende des Gesprächs.

Das Vorstellungsgespräch von David Kaufmann ist nur ein Spiel, das er mit seinem Chef bei einem Bewerber-Event aufführt. Kaufmann ist Werkstudent bei der Concat AG, nach dem Studium wird er mit einer vollen Stelle bei dem mittelständischen Unternehmen einsteigen. Er muss also nicht mehr überzeugt werden. Aber mit seiner kleinen Theatervorführung will er seinen Kommilitonen zeigen, wie die Bewerbungsgespräche der Zukunft aussehen könnten. "Arbeit ist ein Geben und Nehmen", sagt David Kaufmann, "wer mich will, muss mir etwas bieten."

Wer heute von der Uni kommt und den richtigen Abschluss in der Tasche hat, der kann sich einen Job aussuchen, sagen manche Ökonomen. Das hat demografische Gründe: Nur elf Prozent der Bevölkerung in Deutschland wurden in den achtziger Jahren geboren, verglichen mit 17 Prozent in den sechziger Jahren. Gehen die Alten in Rente, dann werden mehr Arbeitsplätze frei, als die Jungen besetzen können. So argumentiert Werner Eichhorst vom Institut zur Zukunft der Arbeit in Bonn. Er sagt: "Die Firmen müssen in einzelnen Branchen und Regionen umdenken und sich bei ihren künftigen Mitarbeitern bewerben."

Karl Brenke vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung warnt jedoch davor, die Zukunft zu rosig zu sehen. "Die Unis sind heute so voll wie nie", sagt er. Absolventen der Sozial- und Geisteswissenschaften hätten mitunter nach dem Abschluss Probleme, einen Job zu finden. In einzelnen Branchen aber, räumt er ein, hätten die Absolventen viel bessere Chancen.

Das gilt besonders für Informatiker: Mobiles Internet, sichere Verbindungen, das Speichern von immer größeren Datenmengen in der Cloud - die IT-Branche wächst. Rund zwei Drittel der mittelständischen IT-Unternehmen in Deutschland wollen neue Leute einstellen, das geht aus der jüngsten Konjunkturabfrage des Branchenverbandes Bitkom hervor.

"Die IT ist der krasseste Fall eines knappen Arbeitsmarktes", sagt der Arbeitsmarktökonom Werner Eichhorst. "Der Markt entwickelt sich stark um die begehrten Bewerber herum." In einigen Regionen sei der Arbeitsmarkt leer gefegt, sagt Eichhorst. Das passiere besonders oft dort, wo viele Unternehmen verwurzelt sind, das Leben für Absolventen aber nicht unbedingt attraktiv ist: auf dem Land.

Wie weit manche Unternehmen gehen, um neue Leute zu finden, das zeigt sich an einem düsteren Dezembermorgen in Darmstadt. Der Nebel umhüllt die braunen Ziegel des Bahnhofsdachs, auf dem Vorplatz scharen sich um ein gelbes Banner über 80 jungen Menschen - viele Männer, vielleicht zehn Frauen. In der Mitte steht Iyob Almedom und verteilt Zettel. "Kulis bekommt ihr später", sagt er.

Für die Berliner Agentur Young Targets organisiert er seit sechs Jahren Bustouren für Studenten und Absolventen aus IT-nahen Studienfächern. Bezahlt werden sie von Firmen aus der IT-Branche. "Recruitainment", nennt Almedom das, eine Mischung aus Entertainment und Recruiting. Das heißt: Die Unternehmen bezahlen dafür, dass den IT-Studenten etwas geboten wird - und dürfen sie im Gegenzug kennenlernen. Für die Studenten ist es im Optimalfall eine Kaffeefahrt zum Job.

Am Darmstädter Bahnhof trottet die Studentengruppe über den Vorplatz zu drei Reisebussen. Finn Fornoff ist einer von ihnen. Sein lilafarbenes T-Shirt und die beige Cargohose hängen lose am Körper. Er steigt in den Bus, greift nach dem prall gefüllten Jutebeutel, den alle Teilnehmer bekommen, und kramt sich durch Werbegeschenke, Hochglanzbroschüren und Bewerbungsmappen der Unternehmen.

Er liest: "Unsere Stärken: bodenständig, begeisterungsfähig, zuverlässig", "Gemeinsame Freizeitaktivitäten: Tontaubenschießen, ein Bier oder zwei, Lasertag", "Die Tür zum Vorstand ist immer offen". Mit solchen Sätzen werben die Unternehmen aus der hessischen Provinz um die Gunst der Informatikstudenten. Dass sich manche der Firmen mit der Werbung noch schwer tun, zeigt sich an dem, was Finn Fornoff noch aus dem Beutel zieht: Mousepads. Als würde man in Zeiten von Touchscreens und Infrarotmäusen noch dieses Relikt aus der digitalen Steinzeit brauchen.

Der Motor des Busses startet, das Mikrofon ploppt, eine Frauenstimme tönt durch die Lautsprecher. "Neun Unternehmen warten darauf, sich euch vorzustellen", sagt eine Mitarbeiterin von Young Targets. "Unser erster Halt ist bei der Profi AG, dort warten noch zwei weitere Unternehmen darauf, sich zu präsentieren. Die Profi AG hat 350 Mitarbeiter und ...", erzählt sie.

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