Katharina Finke

Journalistin & Sachbuch-Autorin

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Artikel

Nepal: Die Kumari von Kathmandu

Trauriges Schicksal der Kumaris: Die Mädchengöttinnen werden verehrt - bis zur ersten Menstruation. Dann gelten sie als "unrein", ihr heiliges Dasein hat ein Ende. Kein Nepalese würde eine Ex-Kumari heiraten. Doch der soziale Status einer ledigen Frau ist in Nepal gleich null.

Grellrot geschminkt sind Lippen und Stirn des kleinen Mädchens. Gold ihr Kleid und die Sänfte, auf der sie durch Katmandu getragen wird. Schwarz aufgemalt ihre bis zu den Schläfen verlängerten Augenlider und das "dritte Auge" auf ihrer Stirn.

Die Menschen jubeln dem Mädchen zu. Sie ist eine kumari, eine Mädchengöttin, die als Wiedergeburt der Schutzgöttin Taleju seit dem 13. Jahrhundert von den Nepalesen verehrt wird. Jede ihrer Regungen gilt als Zeichen, das Glück oder Unheil bedeutet, zu lächeln ist ihr verboten. Den Kumari Bahal am Durbar Square verlässt die lebende Göttin nur an hohen religiösen Feiertagen.

Die Kumari in Kathmandu ist die wichtigste in Nepal und galt als Orakel des entmachteten Königs. Im Säuglingsalter werden Kumaris anhand von 32 Schönheitsmerkmalen und ihres Horoskops von einem Komitee der buddhistischen Sakya-Kaste ausgewählt. Um ihre göttliche Bestimmung zu beweisen, müssen sie zahlreiche religiöse Prüfungen bestehen. Bei einer werden die Mädchen in einen dunklen Raum gesperrt, wo Männer mit Dämonenmasken tanzen, gruselige Geräusche erklingen und ihnen blutende Köpfe frischgeopferter Büffel gezeigt werden. Nur wenn sie dabei ruhig bleiben, dürfen sie, nach Zustimmung der Eltern, in den Tempel einziehen, wo sie bei einem religiösen Ritual zur Kumari geweiht werden. Der hinduistische Oberpriester zieht die Mädchen aus und wäscht sie "rein" von allen Erfahrungen. Dabei berührt er sie an sechs - auch intimen - Körperstellen weswegen der Kult unter Verdacht sexuellen Missbrauchs steht.

Isoliert von der Außenwelt, ohne Schulbildung und ohne soziale Ansprache verbringen die Kumaris ihre gesamte Kindheit im Tempel. Mittlerweile erhalten die amtierenden Kumaris bereits während ihrer Verehrung als Göttin eine Form von Schulbildung, die sich allerdings schwierig gestaltet, da der Kumari nicht widersprochen werden darf. Sobald sie Blut verlieren - also spätestens bei der ersten Menstruation - gelten sie als "unrein", ihr Göttinnendasein hat ein Ende, und ein neues Mädchen besteigt den Thron.

Die ehemaligen Kumaris erhalten eine kleine Pension vom Staat. Für sie beginnt der Alltag. Doch diese Umstellung ist schwer. Aufgrund der fehlenden Sozialisation und Bildung ist ihnen vieles fremd. Sie müssen lernen zu lachen und zu plaudern. Kein Nepalese würde eine ehemalige Kumari heiraten - und der soziale Status einer ledigen Frau ist in Nepal gleich null.

Artikel erschienen: Oktober 2009

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