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Donald Trump gegen Joe Biden: Wie Amerikaner im Ausland abstimmen können - DER SPIEGEL - Politik

Millionen Menschen können den nächsten US-Präsidenten mitwählen, obwohl sie nicht in Amerika leben. Bei knappem Ausgang kommt es auch auf ihre Stimmen an - doch es wird ihnen schwer gemacht.

Der typische Erstwähler ist um einiges jünger als der US-Amerikaner Naran Tsakuginow. Noch niemals hat der 77-Jährige, der in München lebt, einen Stimmzettel abgegeben. Doch bei der Präsidentschaftswahl am 3. November will Tsakuginow mitentscheiden.

Als US-Soldat ist er vor vielen Jahren nach Deutschland gekommen und geblieben. Die Politik jenes Landes, das einst seine aus der Sowjetunion stammende Familie aufgenommen hatte, interessierte ihn bislang nur wenig, aber das ist nun anders: "Meine Eltern sind vor über 70 Jahren in eine Demokratie namens USA ausgewandert", sagt er, "und ich finde, dass der Mann, der jetzt im Oval Office sitzt, diese Demokratie spaltet."

Noch etwas anderes bekümmert ihn: Tsakuginow macht sich Sorgen, dass seine Stimme nicht rechtzeitig im Wahlbüro eintreffen könnte. Grund dafür sind die Schwierigkeiten der US-amerikanischen Post bei der Zustellung. Wegen der langen Wege sind Wähler aus Übersee davon besonders betroffen.

Hürdenlauf zur Stimmabgabe

Wer als US-Amerikaner vom Ausland aus seine Stimme abgeben möchte, steht häufig vor noch größeren Hürden als die rund 250 Millionen Wahlberechtigten im Land selbst. Bei einem knappen Wahlausgang könnte es aber auch auf ihre Stimmen entscheidend ankommen.

Neben der generell erforderlichen Registrierung müssen im Ausland lebende US-Bürger die Wahlunterlagen meist extra anfordern. Die Wahlbehörden schicken ihnen jedoch häufig Umschläge für die Briefwahl, die für das Inland bestimmt sind. "Die Anleitungen zur Stimmabgabe sind nicht gut, viele haben Fragen", sagt Susan Dzieduszycka-Suinat, Präsidentin und Gründerin der überparteilichen Stiftung U.S. Vote Foundation and Overseas Vote, die Amerikaner im Ausland bei der Wahl unterstützt.

Als Erstes müssen diese Wähler wissen, wo ihr Wahlbüro liegt. Sie finden es in dem US-Bundesstaat, in dem sie zuletzt gewohnt haben - oder, wenn sie im Ausland geboren wurden, am letzten Wohnsitz der Eltern. Eine aktuelle Adresse in den USA ist nicht erforderlich.

Candice Kerestan, Vorsitzende von Democrats Abroad in Deutschland, hat ihren rund 16.000 Mitgliedern geraten, persönlichen Kontakt mit dem Wahlbüro aufzunehmen. "Es lohnt sich, ständig nachzufragen, bis man seine Unterlagen tatsächlich im Briefkasten hat."

Sind die Stimmzettel dann ausgefüllt, hat fast jeder der 50 Bundesstaaten seine eigenen Regeln, wie, auf welchem Weg und bis wann die Wahlunterlagen ankommen müssen. In 21 US-Staaten besteht grundsätzlich die Pflicht, die Dokumente per Post einzusenden oder diese in einer US-Botschaft oder einem Konsulat abzugeben, damit sie per Diplomatenpost verschickt werden können.


Allerdings: Wegen der Corona-Pandemie haben diesen Service viele US-Vertretungen weltweit eingestellt. Und in manchen Ländern machen Reisebeschränkungen die Anfahrt dorthin aktuell unmöglich. Daher haben Anfang Oktober amerikanische Wähler aus Europa, Thailand, Neuseeland und Singapur Klage gegen Wahlbeauftragte in sieben betroffenen US-Bundesstaaten eingereicht, um Wahlscheine auch per E-Mail einreichen zu dürfen. Jeder US-Staat muss zwar prinzipiell auch eine elektronische Stimmabgabe ermöglichen, doch manche tun sich damit schwer. Einige bieten immer noch das Fax als einzige Option neben dem klassischen Brief an.


Der U.S. Postal Service, auf den Erstwähler Tsakuginow hofft, ist zum Politikum geworden. Nicht nur behauptet US-Präsident Donald Trump seit Monaten fälschlicherweise, dass die Briefwahl in den USA eine Quelle des Wahlbetrugs sei. Viele Sendungen und Briefe lagern wegen Budgetkürzungen und den Folgen der Coronakrise wochenlang in Sortierzentren. Dazu kommt, dass wegen der Pandemie so viele Amerikaner per Brief wählen wie nie zuvor. Sollten ihre Unterlagen nicht rechtzeitig ankommen, was ihnen auf Nachfrage mitgeteilt wird, können sie immerhin noch am 3. November persönlich abstimmen.


Die Präsidentschaftswahl 2016 hat bereits gezeigt, wie wichtig die Stimmen sind, die aus Übersee kommen. Außerhalb der USA leben 4,8 Millionen Amerikaner, die wahlberechtigt sind. Dazu kommt eine erhebliche Zahl stationierter Soldaten, einige mit Familie.

Fast die Hälfte aller Stimmen aus dem Ausland wurde beim damaligen Sieg Donald Trumps in den besonders umkämpften Swing States abgegeben, Florida, Pennsylvania, Colorado, Arizona, Michigan, Wisconsin, auch Texas wird manchmal dazugezählt. Ähnlich war es bei den Kongresswahlen 2018.


Deutschland spielt dabei eine prominente Rolle, denn die hier lebenden US-Bürger sind die aktivste Gruppe der Überseewähler in großen Ländern außerhalb Amerikas. Ihre Wahlbeteiligung lag 2018 im Vergleich zu ihren Landsleuten, die in Großbritannien, Kanada oder Israel wohnen, mehr als doppelt so hoch.


Warum das so ist, kann Susan Dzieduszycka-Suinat nur vermuten: "Wenn Amerikaner zum Beispiel in Deutschland wohnen, vergrößert sich ihre Perspektive auf vieles. Sie erleben die starken Kontraste: eine in der Krise funktionierende Regierung gegen eine nicht funktionierende Regierung in den USA."


Carolyn Stransky wählt zum dritten Mal von Berlin aus in Wisconsin. Die 27-jährige Softwareentwicklerin sagt, dass auch sie einen falschen Umschlag zugeschickt bekommen habe und die Anleitung nicht mit dem Wahlschein übereinstimmte. "Ich habe alles fünfmal gelesen und versucht, alles richtigzumachen." Als Auslandswählerin muss Stransky auf dem Umschlag unterschreiben, außerdem muss ein Zeuge beglaubigen, dass sie ihre Stimme persönlich abgegeben hat.


Die Prüfung in den Wahlbüros ist manchmal wohl etwas zu genau: "Die Stimme einer Freundin wurde bei den Präsidentschaftswahlen 2016 abgelehnt, weil ihre Unterschrift auf dem Umschlag der auf ihrem Führerschein nicht genug ähnelte", erzählt Stransky. Doch weil die US-Amerikanerin in Deutschland lebte, blieb nicht mehr genug Zeit, die Stimmabgabe zu wiederholen.

"Wenn mich die Abgabe meiner Stimme schon so stresst, obwohl ich mich für Politik und die Wahl interessiere, dann frage ich mich, wie es anderen geht, die sich nicht so viel informieren", sagt sie. Und fügt hinzu: "Ich glaube, dass dieses Prozedere für sehr viel Frust sorgt und vielleicht auch Menschen von der Wahl abhält." Dabei möchte sie doch einfach nur, dass ihre Stimme zählt.

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