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Einfach mal widersprechen

Ich stehe vor einem Einkaufscenter in Plauen, Sachsen, als ein junger Mann, vielleicht ist er ein Flüchtling, laut anfängt zu rufen. Ich verstehe ihn nicht, wir sprechen nicht dieselbe Sprache. Er wirkt betrunken, neben ihm mehrere Bierflaschen. Schnell sind vier Polizeibeamten zur Stelle und nehmen den Mann mit. Noch überrascht über die schnelle Maßnahme höre ich hinter mir zwei Frauen sagen: "Richtig so! Dieser Terrorist darf nie wieder auf freien Fuß kommen." Ich drehe mich um, bin erschrocken. Ich beginne ein Gespräch, sage, dass in Deutschland niemand wegen einer Äußerung ein Leben lang eingesperrt werden darf, zum Glück.


Die Frauen werden laut, beschimpfen mich, wollen die Polizei rufen. Als sie handgreiflich werden, gehe ich.


Ich habe das erste Mal einer rassistischen Äußerung widersprochen, das Gespräch mit Fremden gesucht. Es hat lange gedauert bis dahin. Es hat vielleicht auch noch nicht viel gebracht. Aber ich fühle: Solche Kommentare nicht mehr einfach hinzunehmen ist wichtiger denn je.


"Man wird das ja wohl noch sagen dürfen"

Fremdenfeindlichkeit hat unseren Alltag erreicht. Wir haben uns an den Rassismus gewöhnt, weil es ihn überall gibt. Nach der ersten Empörung akzeptieren wir ihn mittlerweile stillschweigend. Oder sind sprachlos. Wie oft habe ich 2017 diesen Satz gehört: "Man wird das ja wohl noch sagen dürfen."


Ja, jeder ist frei, seine Meinung zu sagen. Pluralität der Meinungen, was für ein Geschenk der Demokratie! Und ja, jeder hat das Recht zu pauschalisieren, Fakten zu verdrehen und auch (unwissend) Falsches zu behaupten.


Aber wenn jemand Menschen aufgrund ihres Aussehens, ihrer Herkunft oder Religion beschimpft, dann werde ich widersprechen. Und dann fordere ich eine sachliche Diskussion, die uns weiterbringt. Ohne Drohungen, ohne Hass.


Ich möchte mich vorab noch mehr informieren, um Behauptungen und Vorurteile über Migranten, Flüchtlinge und anerkannte Asylbewerber noch sachlicher und konkreter widerlegen zu können. Und ich möchte die Ängste meiner Mitmenschen besser verstehen lernen.


Manch einer wird mir sagen: Mit Fremden darüber auf der Straße zu diskutieren, das sei ein aussichtsloser Kampf. Aber dürfen wir Alltagsrassismus noch länger tolerieren? Ich habe viel zu lange geschwiegen. Viel zu oft mir meinen Teil gedacht, aber doch nichts gesagt. Ich war viel zu lange sprachlos.


Ich werde ab jetzt widersprechen, ob in der Bahn, an der Kasse oder beim Abendessen mit der Familie. Für eine sachliche Diskussion. Das ist mein wichtigster Vorsatz. Ich werde 2018 nicht mehr schweigen. 


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