Als Möbeldesigner widerlegte Finn Juhl das gängige Vorurteil über das Design der Moderne, dass Einrichtungsgegenstände allein geradwinklig und nüchtern zu sein hätten. Der Architekt war einer der Vorreiter der dänischen Moderne und zugleich einer ihrer untypischsten Vertreter. Er wagte mehr als viele seiner Zeitgenossen und hatten obendrein auch Humor. Das lassen zumindest Produktnamen wie "Poeten-Sofa" vermuten.
Es sei vor diesem Hintergrund ein Wunder, meint der dänische Autor und Maler Christian Bundegaard, "dass bisher keine Monografie über den Architekten und Möbeldesigner Finn Juhl erschienen ist". Deshalb hat Bundegaard sie selbst geschrieben. Sein Buch "Life, Work, World" stellt einen Designer vor, der mindestens ebenso einflussreich und talentiert war wie sein Landsmann Arne Jacobsen - aber weit weniger bekannt ist.
1912 im dänischen Fredriksberg geboren, träumte Finn Juhl davon, Künstler zu werden. Sein ökonomisch denkender Vater überredete ihn jedoch zur Architektur. Über Umwege fand der begabte Student dann doch eine Möglichkeit, seine Leidenschaft zu leben: Malen und Zeichnen hatten immer einen besonderen Stellenwert in seiner Arbeit.
Der Gestaltungsprozess war jedes Mal gleich: Er begann mit einer schnellen Skizze auf einem winzigen Stück Papier. Dieses Miniaturformat zwang ihn, sich auf die wichtigsten Teile zu beschränken. Für Juhl war der Kern seiner Möbel und Inneneinrichtungen stets eine intuitive Idee, Ergebnis gnadenloser Priorisierung und Vereinfachung.
Er zeichnete so gut, so gerne und so viel, dass es bis dato zwar keine eigene Monografie des Dänen gab, sehr wohl aber ein Buch voll seiner Aquarellskizzen (Anne-Louise Sommer: "Watercolors by Finn Juhl").
Als Autor macht Bundegaard nachvollziehbar, unter welchen Umständen sich Finn Juhls Stil und Arbeitsweise herausbildeten. Anders als viele seiner Zeitgenossen gehörte Juhl nicht der Klint-Schule an - benannt nach Kaare Klint, dem Altmeister dänischer Möbelkunst. Stattdessen beeinflussten ihn Künstler wie Erik Thommesen, Barbara Hepworth oder Jean Arp.
Nebenbei erfahren die Leser, dass die Moderne auch in den nordischen Ländern alles andere als ein Selbstläufer war. Die erfolgreicheren Designer blieben zunächst jene, die weniger radikale Wege beschritten. Finn Juhl fand seine Nische irgendwann in einer spielerischen Annäherung an den modernen, international werdenden Stil.
Spiel, Experiment und technische Analyse identifiziert Bundegaard als herausragende Qualitäten des Dänen. Juhls "Pelikan-Stuhl" ist dafür ein gutes Beispiel: Optisch erinnert seine Form an den Vogel mit dem geschwungenen Hals und Schnabel. Was aber viel wichtiger ist: Er ist herrlich weich und gemütlich - egal, wie man darauf sitzt.
Auch Juhls "Grasshopper Chair" fällt nochmals eine ganze Ecke gewagter aus als das gleichnamige Sitzmöbel seines Kollegen Eero Saarinen: Während Saarinen nur eine sanft geschwungene Reminiszenz an das Insekt ablieferte, imitiert Juhls Stuhl das Insekt mit seinen hölzernen Armlehnen, die tatsächlich so spitz nach oben angewinkelt sind wie die Sprungbeine eines Grashüpfers.
Ein Wohnzimmer für die WeltpolitikEines von Finn Juhls wichtigsten Werken ist allerdings kein einzelnes Möbelstück, sondern ein kompletter Gebäudeteil: Anfang der Fünfzigerjahre begann der Däne mit der Einrichtung des UN-Treuhandrats in New York.
Finn Juhl gestaltete den Raum, in dem Weltpolitik gemacht wird, beinahe so behaglich wie ein Wohnzimmer, von den stoffbespannten Stühlen in Limonengelb und Flaschengrün bis zur ausgeklügelten Deckengestaltung mit farbigen, holzverblendeten Elementen. Die Arbeit für die Vereinten Nationen machte ihn endgültig zu einem Pionier des skandinavischen Designs in Amerika - Juhl selbst übernahm danach zahlreiche weitere Raumgestaltungsprojekte für Länder und Unternehmen wie zum Beispiel die skandinavische Fluggesellschaft SAS.
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"Finn Juhl: Life, Work, World" reiht den 1989 verstorbenen Dänen nun etwas spät, aber umfangreich ein in die Riege großer Vorreiter des Mid-Century-Designs aus Skandinavien. Farbskizzen und Archivfotografien auf dicken Papierseiten begleiten den Text und machen das Buch auch optisch zu einer ansprechenden Werkschau. Aber, wenn man für rund 60 Euro Ladenpreis so kleinlich sein darf: Der wachstuchähnliche Buchdeckel ist leicht daneben. Ein echter Leineneinband aus grobem Stoff, wie Juhl ihn verwendet hat, wäre der Hommage an diesen großen Kreativen angemessener gewesen.