2 Abos und 4 Abonnenten
Artikel

Design und Comics: Möbel für Superhelden

Manchmal werden die Bilder Wirklichkeit. Hin und wieder sogar ziemlich schnell: 1977 erschien Javier Mariscals Comic-Geschichte “Este Verano te vas a enamorar” in der Comiczeitschrift El Víbora. Die Menschen und Orte in dieser Geschichte sind typisch für den spanischen Illustrator: Wuseliges Gedrängel und flirrende Linien, die Mariscal wieder und wieder neu anzusetzen scheint. Auch die Barhocker, die er in einer Szene etwas im Hintergrund vor einer Theke platziert, gehorchen eindeutig den Gesetzen des selbst geschaffenen Comic-Universums. Ihre leuchtend roten, blauen und gelben Beine sind so krumm und schief, dass man für gewöhnlich nicht auf die Idee kommen würde, jemals tatsächlich auf diesen sitzen zu können.

Und doch gab es bereits drei Jahre später Gelegenheit hierzu. 1980 fanden sich jene Barhocker erstmalig in der Bar Dúplex im spanischen Valencia wieder. Drei Beine in Primärfarben, einer von oben bis unten gewellt, dazu ein kreisrunder Ring auf Fußhöhe und noch ein weiterer im oberen Bereich (der so nicht in der Zeichnung vorkam). Und noch ein weiteres Detail, in dem sich der in die Welt gekommene Stuhl von seinem Comic-Vorbild unterschied: Sitzfläche und Fußablage, die Mariscal grau gezeichnet hatte, waren hier schwarz. Aber die Quintessenz stimmte – wer dem Möbel gegenüberstand, konnte sich gut vorstellen, dass es direkt obiger Geschichte entsprungen sei. Abermals drei Jahre später ging der Duplex in Serie. [Anmerkung: Im Spanischen heißt es wohl Dúplex, der Hocker wird international aber ohne Accent vermarktet. Daher beide Versionen.]

Fortan war Javier Mariscal nicht nur Comiczeichner und Illustrator, sondern auch Designer. Memphis-Mastermind Ettore Sottsass lud den Spanier 1981 zur „International Style“-Ausstellung in Mailand ein, nur wenige Jahre später hatte Mariscal bereits seine eigene Schau im Centre Georges Pompidou in Paris. 1989 gründete er mit Estudio Mariscal schließlich sein eigenes Designstudio, das Vasen mit Hut oder den nach seiner Comicgeschichte   Garriris benannten Stuhl mit Mickymaus-Ohren auf den Markt brachte.

„Die Übertragung von Comicmöbeln in die reale Welt ist sehr deutlich in seiner Arbeit zu erkennen, “ erklärt Erika Pinner, die sich als Kuratorin mit genau diesem Phänomen auseinandergesetzt hat. „Living in a Box. Design und Comics“ im Schaudepot des Vitra Museums sucht die Verknüpfungen aus gezeichneter und gebauter Welt. Beispiele, meint Pinner, habe sie dabei nicht lange suchen müssen – die Welt sei voll von Querverweisen und gegenseitigen Bezügen. Mal inspirieren Comics die Kreation von Möbelstücken, mal geht es den umgekehrten Weg.

Für Erika Pinner, die in den USA aufgewachsen ist, sind auch persönliche Erinnerungen mit dem Thema verbunden: „Einer meiner Lieblingscomics waren die Peanuts von Charles M. Schulz, “ erzählt sie. Erst sehr viel später als Erwachsene sei ihr aufgefallen, wie viele Designermöbel der Zeichner in seinen Comics unterbrachte: Den LCW Chair von Charles und Ray Eames, den Butterfly Chair von Grupo Austral oder den Barwa Chair von  Edgar O. Bartolucci und Jack Waldheim, zum Beispiel.

Dem berühmten Hund Snoopy wiederum begegnete Pinner bei einer Recherche in der  Fondazione Achille Castiglioni in Mailand wieder, als sie über die Arbeit des gleichnamigen italienischen Industriedesigners recherchierte: „Dort entdeckte ich neben der italienischen Übersetzung von den Peanuts im Bücherregal auch die gleichnamige Leuchte, die Achille 1967 gemeinsam mit seinem Bruder Pier Giacomo Castiglioni entworfen hatte und deren Schirm einer langen Hundeschnauze ähnelt.“

Das Interessante an der Snoopy-Leuchte ist, dass sie sowohl mit dem Wissen um ihr Vorbild funktioniert als auch völlig ohne: Das bis heute begehrte Designerstück, das noch immer produziert wird, besteht lediglich aus einem länglichen Marmorsockel mit unauffälligem Lichtknopf sowie dem Lampenschirm, der Snoopys Kopfform imitiert. „Die Leuchte, “ fasst Pinner zusammen, „ ist für mich deswegen gleichzeitig eine lustige, verspielte Comicfigur und – dank Materialien wie Marmor und Metall –ein luxuriöses Statussymbol.“ Und sie bietet so eine elegante Möglichkeit, die vielleicht etwas sentimentalen Kindheitserinnerungen ganz stilsicher in den eigenen Alltag zu integrieren. So unterschiedlich kann die Comicwelt Einzug halten: Mariscals Barhocker hingegen, findet Pinner, sei „frech wie die Hauptdarsteller in seinen Comics.“

„Living in a Box. Design und Comics“, Vitra Schaudepot, 24.Mai–20.Oktober 2019.

[In gekürzter Fassung auf spiegel.de]

Zum Original