FEATURE - Eine Ausstellung und ein Buch präsentieren erstmals in großem Umfang Künstlerinnen der Art Brut. Und zeigen eine Anti-Kunst, die sich den Verwurstungsmechanismen der Welt größtenteils entzieht.
Was für Bilder. Oft weiß man nicht, ob man weinen oder lachen soll oder einfach doch „geil“ ausrufen, bei Barbara Demlczuks züngelnden Schlangen, die eine satanische Nonne bedrängen, bei den irrsinnig kleinteiligen Weltenbildern einer Martha Grunenwaldt, Chiyuki Sakagami oder Madge Gill, und bei all den anderen verwunschenen, finsteren, kindischen, albernen, hemmungslos verschwörungstheoretischen, gewaltvollen, esoterischen, bizarr-erotischen und schwülstig-romantischen Darstellungen und Musterungen, die hier versammelt stehen.
„Flying High – Künstlerinnen der Art Brut“ ist seit vielen Jahren eine der umfassendsten Ausstellungen über Outsider Art, die jetzt im Wiener Kunstforum präsentiert wird (und im gleichnamigen Bildband, der als Alternative lohnt). Neben dem umfangreichen Überblick mit mehr als 300 Arbeiten aus dem 19. Jahrhundert bis heute ist noch etwas bemerkenswert: Alle stammen ausnehmlich von Künstlerinnen der Art Brut. Die standen, wenngleich sie ebenso herausragende Arbeiten geschaffen haben, bis auf wenige Ausnahmen meist im Hintergrund ihrer männlichen Kollegen.
Seit Jean Dubuffet in den 1940er Jahren seine Begeisterung für die intensiven Bilder, Skulpturen, Texte und Zeichnungen, Stickereien von Psychiatrieinsassen, Kunst-Dilettanten und anderen (sozialen) Außenseitern entdeckte, gilt die von ihm „Art Brut“ genannte Kunst als Gegenweltentwurf; als die Sichtbarwerdung von Überresten und Abspaltungen unserer nicht vollends zivilisatorisch eingehegten Menschwerdung. Das erklärt vielleicht zu einem Teil auch den aktuellen Hype um die Outsider Art, in Zeiten, wo alle Territorien analog und digital, im eigenen Körper und außerhalb dessen größtenteils erschlossen und in zivile Formen gegossen scheinen. Sie versprach Spiritualität und Transzendenz, magisches Denken, stand wider das Credo, bitteschön stets vernünftig oder zivil zu bleiben. Oder, wie es Art Brut-Künstler August Walla selbst so schön schrieb: „Bin ein dummer Idiot, weil dumm erschuff [sic!] mich der liebe Gott[…].“
Bitte nicht falsch verstehen: Um nichts könnte es (zumindest mir, hier) weniger gehen als um irgendeinen Anspruch an Authentizität. Authentisch muss und soll Kunst gar nicht sein. Auch Sachen wie „Ausdruck“ – ach herrje, keine Ahnung, was das genau sein soll, letztlich auch wieder so ein eigentlicher Jargon. Aber trotzdem: Die oben vorgestellten Werke scheinen einen besonders direkten Weg ins Rückenmark zu finden.
„Da kann zu viel Biografie auch schaden“
Art Brut drängt seit etwa einer Dekade vermerkt aus ihrer Parallel-Nische heraus auf den Kunstmarkt: Weltweit werden eigene Galerien, Messen und dauerhafte Präsentationen eröffnet, Biennalen ausgestattet, Marktwerte in die Höhe getrieben. Ich telefoniere mit Hannah Rieger: Sie ist eine der größten Sammlerinnen für Art Brut in Österreich und Co-Kuratorin von „Flying High“. Ihr erstes Werk hat sie dereinst noch für umgerechnet 200 Euro erstanden. Heute kann sie sich nur noch selten eines leisten.
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