Wenn Denise Scott Brown und ihr Ehemann gemeinsam im Auto unterwegs waren, dann spielten sie gern ihr Lieblingsspiel: ‚Ich kann etwas noch Schlimmeres mögen als du‘. Einer würde etwas Scheußliches entdecken, ein Gebäude oder eine Leuchtschrift vielleicht, und dann so tun, als ob er es mag, der andere lauthals seine Abneigung kundtun.
Aber hässlich und schön sind bekanntlich fließende Kategorien, und so kam eine Art magischer Mechanismus in Gang: „Irgendwie, auf welche Weise auch immer, internalisierten wir diese Dinge, die wir hassten, und sie kamen an irgendeiner Stelle unserer Arbeit wieder heraus,“ erklärt die heute 87-Jährige im Buch ‚Your Guide To Downtown Denise Scott Brown‘. Und so schlussfolgerten die beiden: Es gibt eine Art „messy vitality“, ein vitales Chaos oder eine chaotische Energie, die den Dingen anhaftet.
Scott Brown ist die Witwe und lebenslange kreative Weggefährtin von Robert Venturi, dem im letzten Jahr verstorbenen amerikanischen Architekten und Theoretiker, der mit Bauwerken wie dem Children's Museum of Houston (1992) oder dem früheren, weniger kreischigen Vanna Venturi House (1964) als einer der unangefochtenen Könige der Postmoderne gilt. Gemeinsam hat das Paar in den 70er Jahren Studierende über den alten Strip von Las Vegas geführt, in dem noch echtes Neon und Halogene statt LED vorherrschten. Wochenlang fotografierte die Truppe, so unvoreingenommen wie möglich, um von den vermeintlichen Scheußlichkeiten zu lernen: Warum ist diese Stadt genau so und nicht anders geworden?
Gedacht war „Your Guide To Downtown” zunächst als Begleitkatalog zur gleichnamigen Ausstellung, die bis Mitte März im Architekturzentrum Wien präsentiert wurde. Trotzdem wird das gar nicht einmal große Büchlein auch als eigenständiger Titel vom Verlag beworben - eine gute Gelegenheit für alle, die es nicht nach Wien geschafft haben: Fotografien, Erzählungen und Kommentare von Denise Scott Brown rücken erstmalig ihre Person wie auch ihren Anteil am architektonischen Erbe Venturis ins Licht.
Man kann von ihrer Kindheit in Sambia lesen – noch immer bezeichnet sich Scott Brown als Afrikanerin in Amerika –, man kann ihre Ansichten zur weiblichen Perspektive in der Gestaltung, zum Manierismus und zur Postmoderne nachschlagen und nachvollziehen, wie sich das Paar im permanenten Austausch über quasi alles befand, was ihnen im Alltag über den Weg lief. Und wie sich ihre Beobachtungen schließlich in gemeinsamen Arbeiten wie dem Nikko Kirifuri Hotel & Spa in Japan wiederfanden: Der Mensch, so eine der wichtigsten Erkenntnisse, sehnte sich nach einer Architektur, die repräsentativ funktioniert. Gemäß diesem Credo gestalteten die beiden die Lobby im Stil einer japanischen Dorfstraße, ein wenig Museum, ein wenig Märchen, wie das Buch treffend beschreibt.
„Your Guide To Downtown“ ist nicht ein weiteres Buch über Architektur. Es versucht gar nicht erst, die Trennlinie zwischen Persönlichem und Profession, zwischen ernst zu nehmender Fachlektüre und hemmungsloser Do-it-yourself-Ästhetik aufrecht zu erhalten. So prangt neben dem ausführlich erklärenden Glossar ein Foto des treuäugigen Hundes Aalto, benannt nach der gleichnamigen finnischen Designikone. Das Layout: Selbstbewusst unprofessionell, angesiedelt zwischen Englisch-Lehrbuch aus den frühen 90ern und ersten Gehversuchen mit den Gestaltungsfunktionen von ‚Microsoft Word‘: Da ergießen sich auch schon einmal gelbe und braune Fließschrift kaum leserlich über einen doppelseitigen Sonnenuntergang in Vegas.
Puristen und Venturi-Gegner werden auch mit Denise Scott Browns Arbeit, wie sie in dieser Form präsentiert wird, wenig anfangen können. Doch wer das vitale Chaos umarmt wie die beiden, der könnte belohnt werden: Selten erhält man einen solchen ungefilterten Einblick ins Denken und Empfinden einer großen Gestalterin, der keine falsche Rücksicht auf Lesegewohnheiten und ästhetische Erwartungen nimmt. Am Ende macht dann plötzlich einiges Sinn. Ähnlich vielleicht4, wie auch die Bauten des Architektenpaars, und wie irgendwann diese bekloppte Casinometropole in der Wüste von Nevada.
„Your Guide To Downtown Denise Scott Brown“, Jeremy Eric Tenenbaum, ist bei Park Books erschienen.
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