Als jenes Gebäude, in dem sich die Glasgower „Ingram Street Tea Rooms“ befanden, abgerissen werden sollte, wusste man zum Glück schon um den Wert jenes architektonischen Juwels, das sich in ihrem Inneren verbarg – auch, wenn noch niemand ahnen konnte, wann und wo jene außergewöhnlichen Räume jemals wieder ans Tageslicht treten würden.
Charles Rennie Mackintosh hatte den „Oak Room“, wie das eichengetäfelte Interieur genannt wurde, 1907 bis 1908 für die Teestube konzipiert. Bis in die 1950er Jahre hinein konnte man hier noch leibhaftig zwischen dunkler Holzverkleidung, gitterförmigen Strukturen und leuchtenden Buntglas-Inserts Platz nehmen – eine typische Szenerie, wie sie stellvertretend für den vielleicht berühmtesten Designer, Künstler und Architekten Schottlands (1868-1928) und seine Version einer Art Glasgower Jugendstils gelten kann.
Die „Ingram Street Tea Rooms“ waren dabei nicht nur eine architektonisch herausragende Adresse in Glasgow: Ende des 19. Jahrhunderts von Catherine Cranston gegründet, standen sie im Gegensatz zu ihrer Konkurrenz auch unbegleiteten Frauen offen. Eine der ersten Gelegenheiten überhaupt, ohne männliche Begleitung auswärts essen zu gehen! Vor dem geplanten Abriss wurde Mackintoshs gesamtes Ensemble, in dem sich auch ein Glasfries seiner Frau Margaret MacDonald befindet, behutsam abgebaut: Stück für Stück, nummeriert und kategorisiert, mit Zeichnungen des Gesamtensembles versehen, lagerten die Einzelteile anschließend für viele Jahrzehnte im Depot der Kelvin Hall, bevor sie schließlich nach rund 50 Jahren wieder aus ihrem Dornröschenschlaf geweckt wurden.
Eine ganze Armada an einschlägig spezialisierten Restaurateuren, Architekten, Kuratoren und Handwerkern war in den vergangenen Jahren mit der naturgetreuen Rekonstruktion beschäftigt. Das Ergebnis des insgesamt rund 1,3 Millionen Pfund teuren Projekts ist jetzt in Dundee zu sehen: Hier hat am 15. September das erste schottische Designmuseum der Welt eröffnet. Der „Oak Room“ ist architektonisch und, siehe oben, auch historisch bedeutsames Herz der ‚Scottish Design Gallery‘ im Haus – und nebenbei Lieblingsstück von Museumsdirektor Philip Long. Damit ist zumindest ein Hauptwerk von Tosh, wie er noch heute liebevoll an der Glasgow School of Art genannt wird, wiederhergestellt. Das zweite, gigantische Werk, war das Mackintosh Building ebendort, das mit dem verheerenden zweiten Brand in der Kunstakademie im letzten Jahr weitestgehend zerstört wurde.
Mit der ersten Dependance des berühmten Londoner Victoria & Albert-Museums dürfte die eher unscheinbare Hafenstadt damit aufmerksamkeitstechnisch gewaltig vorankommen. Schon das Gebäude selbst ist ein architektonischer Anziehungspunkt: Gestaltet vom japanischen Architektenbüro Kengo Kuma, ragt das Bauwerk wie zwei gestrandete Tanker aus seiner Hafenumgebung heraus. Oder sind es Wale? Kurvige Außenwände tragen die 2.500 Steinpanele, eine Reminiszenz an die rauen, schottischen Felsklippen. Ein „Wohnzimmer für jeden, der vorbeikommen möchte“, so der Wunsch des Architekten – in Schottland auch praktisch möglich, schließlich kosten öffentliche Museen hier keinen Eintritt.
Genügend Material für die Dauerausstellung ist reichlich vorhanden: Ein Großteil stammt aus der Londoner Sammlung, die Strickpullover mit traditionellem Fair Isle-Dessin und schottische Paisley-Paschminas, zeitgenössische High Fashion des schottischen Modemachers Christopher Kane, prächtige Möbel des neoklassizistischen Designers Robert Adams oder die berühmten strickernen Ski-Anzüge von Pringle of Scotland nach Dundee brachte, die in den späten 1960er Jahren durch Hollywood-Größen wie Grace Kelly zum Inbegriff des internationalen Jetset wurden.
Der schönste Kontrast in dieser Zusammenstellung ergibt sich vielleicht zwischen diesen beiden Verkaufsschlagern: Reihenweise Tartan, den berühmten Karostoffen, auf der einen Seite – einst hatte jeder Clan sein Signature-Muster, bis heute sind sie wohl ultimatives Aushängeschild für das, was sich die Welt unter schottischem Design vorstellt. Und Lemmings, dem millionenfach verkauften Videospiel, das vermutlich niemand mit dem einst gälischen Land in Verbindung bringen würde. Das pixelige Game wurde 1991 vom Entwickler DMA auf den Markt gebracht, der sich noch immer in Edinburgh befindet. Heute heißt er ‚Rockstar North‘ und hat mit Grand Theft Auto eine weitere Videospiel-Welt kreiert, designed in Scotland.
Gekürzt auf Spiegel Online.
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