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Und was machen wir nach der Orgie?

Foto: Kyle

US-Folksänger Jeffrey Lewis widmet sich in dem Tribute-Album „Works by Tuli Kupferberg, 1923-2010" einer legendären Figur der New Yorker Subkultur und Libertinage



Obwohl die gesamte Popgeschichte ja eine des Nacherzählens und Abschauens ist, haben Coverversionen oft einen anrüchigen Ruf. Und ganze Alben mit Interpretationen gelten meist als heikel. Umso mehr müsste man in diesem seltenen Fall schon von einem „Match Made in Heaven " sprechen: Mit 42 Jahren covert Jeffrey Lewis, von seinem Label nicht ganz unpassend als einer der letzten Fackelträger der New Yorker Bohemiens tituliert, seinen 2010 verstorbenen Freund Tuli Kupferberg und dessen Band The Fugs. Mit der stand Kupferberg im Alter von 42 Jahren zum ersten Mal auf der Bühne und nannte sich damals selbstironisch den „weltältesten Rockstar".


Lewis wiederum thematisierte sein Schicksal als Zuspätkommender im Jahr 2005. In „Williamsburg Will Oldham Horror" zitiert und kommentiert er seine Mutter, verzückt über eine neue Interviewanfrage für ihren Sohn: „‚Honey, that's great, you're really famous!' - Yeah and I'm 27 too!" Spätestens seitdem gilt Jeffrey Lewis als einer der beständigsten Vertreter eines urbanen Americana-Folk-Punk mit oft grandiosen Songtexten und technisch simpler, aber enorm treibender Musik. Gebrochene Herzen, schlechte LSD-Trips und biografische Rückblicke verwebt er in seinen Liedern mit Zombie-Trash, historischen Einordnungen und ­einer bisweilen ins Groteske überzeichneten selbstreflexiven Ego-Perspektive. Selten wird es so plakativ wie in dem Slogan-Song „What Would Pussy Riot Do", dessen Eindeutigkeit er in einem darauffolgenden Comicstrip wieder gebrochen kommentierte.


Flüchtigen Ruhm erlangten Jeffrey Lewis und andere „Anti-Folkies" als loser Verbund von Musikern und Künstlerinnen, die ihre Lieder und Lyrics um die Jahrtausendwende auf der Offenen Bühne im New Yorker Side Walk Café präsentierten.

Die Moldy Peaches, allen voran deren bekanntester Kopf, Adam Green, wurden zwischenzeitlich zu Feuilletonlieblingen, als das britische Independent-Label Rough Trade alles und jeden aus Manhattan, der nicht niet- und nagelfest war, zu Minihonoraren unter Vertrag nahm. Jeffrey Lewis eingeschlossen.


Musikalisch würde er gern wieder mit einigen Gefährten von früher zusammenarbeiten, erklärt der New Yorker, doch viele haben der Stadt inzwischen den Rücken gekehrt. Dass die Kooperation sein liebstes Musikermodell ist, zeigt die umfangreiche Liste von Projekten, unter denen Lewis in den letzten Jahren firmiert hat: Mit seinem Bruder Jack, dem französischen Weirdo-Folker Herman Dune und der Songwriterin Diane Cluck, mit temporären Bands wie The Bundles, The Junkyard, Los Bolts, The Adam Green - Jeffrey Lewis Band und einigen mehr war er auf Tour - die er, weil Do it yourself einfach die simpelste Form des Geldverdienens bleibe, nach wie vor auch rundum selbst organisierte.

Mit dem beinahe 80-jährigen Peter Stampfel stand er nun als The Deposit Returners im Studio, um endlich seine Lieblingslieder von Tuli Kupferberg und dessen Band The Fugs zum Besten zu geben. Stampfel gehört zu den Gründungsmitgliedern von The Fugs. Von ihm schwärmt Jeffrey Lewis als ikonisches Vorbild, das inzwischen zum ganz realen Freund und Musikkollegen wurde.


Eine ähnliche Freundschaft verband Lewis mit Naphtali „Tuli" Kupferberg, dem Paten urbaner Gegenkultur und sexueller Befreiung. Kupferberg machte in den 1960er Jahren mit Collagenheften wie „1001 Ways To Live Without Working" oder „1001 Ways To Make Love" von sich reden.

Auch der Schriftsteller Phi­lip Roth, nicht ausgesprochen subkulturverdächtig, beschrieb eindrücklich die befreiende Wirkung, die Kupferberg auf ihn einst hatte - inklusive eines leidenschaftlichen Gebrauchs des Wörtchens „Fuck", das dem Schriftsteller zu einem neuen, auch jüdischen Selbstverständnis verholfen haben soll.


Bei Lewis scheinen heute gewisse Parallelen zu Kupferberg offensichtlich. Etwa die Liebe zum gepflegten Dilettantismus, die jüdisch-säkulare Herkunft aus Manhattans Lower East Side, auch wenn Musik, Zeichnung oder Text, künstlerische oder politische Überzeugungen generationsbedingt unterschiedlich ausgestaltet sind. Acht Jahre nach Kupferbergs Tod veröffentlicht Jeffrey Lewis mit „Works by Tuli Kupferberg, 1923-2010" nun ein persönliches Best-of mit Liedern seines Freundes.


Das Album beginnt mit einem bisher unveröffentlichten Song. In „What Are You Gonna Do After The Orgy?" stellen Lewis, Stampfel und Band dieselbe Frage wie 53 (!, es bleibt auch ausgeschrieben schwer zu fassen) Jahre zuvor The Fugs. Das darauf folgende, aufrichtig wunderschöne „Try To Be Joyful" ist ebenso Antwort wie eine angemessene Hommage. Mit einer stärkeren Instrumentalisierung und oftmals schnellerem „Drive" als im ursprünglichen Lofi-Original verleiht die Band den 15 Titeln vom Antikriegssongs bis zum albern-heroischen „This Is A Hit Song" eine sehr eigene Qualität. Jeffrey Lewis' ein wenig wie im Poststimmbruch kratzender Gesang erinnert derweil an den immer irgendwie alterslos gebliebenen Tuli, auch wenn dessen sonorer Bariton stimmlich kaum weiter entfernt liegen könnte.


Eines der bekanntesten Fugs-Stücke hat es indes nicht aufs Tribute-Album geschafft: der berühmte „Nothing"-Song. Sein nihi­listisches „Alles nichts" kann man sich mit ein wenig Glück an anderer Stelle nacherzählen lassen. Auf seinen Konzerten fusioniert Jeffrey Lewis Comiczeichner- und Musiker-Alter-Egos zum ultimativen Showmacher, der mit Akustikgitarre Punkakkorde schrammelt und mit großformatigen Zeichnungen Weltgeschichte nacherzählt. „A Complete History of Punk on The Lower East Side 1950-1975" ist nichts weniger als der vermutlich vollständigste Überblick über diese Periode, einschließlich einiger englisch-jiddisch-spanischer Zeilen der Fugs, in denen neben jedem einzelnen Wochentag auch Trotzki, Marx und „sogar Arithmetik" zum Nichts erklärt werden.


Tuli Kupferberg war ein großer Freund von Singspielen und Zählreimen; kindlichen, einfachen Formen des Songwritings, die sich sowohl im Folk als auch im Punk finden lassen. Um Geschichten zu erzählen, für ein cleveres Songwriting, meint wiederum Lewis, böte Country die besten Möglichkeiten. Und HipHop. In beiden Genres werde am meisten Wert auf Lyrics, auf Texte gelegt.

Als einer von wenigen Übriggebliebenen besucht er heute weiterhin das „Open Mic" im Side Walk Café. Manchmal kann man ihn also dort sitzen sehen, den Kopf abwechselnd zur Bühne gewendet und auf den Zeichenblock gesenkt.

Wie Kupferberg versteht sich auch Lewis als Chronist seiner Stadt, in der er immer noch lebt. In der Tradition permanenter Erzählung sind beide dem ur­amerikanischen Mythos vom Legendenverbreiter verbunden, die Poptheoretiker Greil Marcus in seinem Buch vom „Old, Weird America" beschrieb. Auch wenn Lewis widerspricht, weil er den Begriff vornehmlich mit dem Hinterwäldler-Folk aus der amerikanischen Wildnis verbindet. Dem könne er einiges abgewinnen, aber näher sei ihm einer wie Woody Guthrie, der Letztere mit der urbanen Metropole zu vereinen wusste.

Das große, alte, unheimliche Amerika mit dem kleinen New York City, dem vielleicht beliebtesten Dorf der Welt: Legenden wollen erzählt, manchmal auch veralbert und zerpflückt werden.


Auf YouTube finden sich eine Reihe von Videos, in denen ­Lewis und Kupferberg aus dessen bis unter die Decke mit Büchern vollgestopftem Apartment hi­naus als Geschichtenerzähler und Welterklärer fungieren - in einer Story, in die alles hineingeworfen werden kann und die niemals endet, solange das Leben weitergeht. Oder vom Nächsten aufgegriffen wird.


Jeffrey Lewis: „Works by Tuli Kupferberg, 1923-2010" (Don Giovanni Records/Rough Trade)

Live: 14. April Schorndorf „Manufaktur", 15. April Aachen „Musikbunker",16. April Bremen „Schule 21", 19. April Hamburg „Hafenklang"

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