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DER SCHÖNE SCHEIN

New York in den späten 1980er-Jahren: Die hohe Kunst des Verkau­fens hat mit state-of-the-art Werbe- und Marke­ting­stra­te­gien einen neuen Höhe­punkt erreicht. Regis­seure drehen Filme über größen­wahn­sin­nige Börsia­ner („Wall Street“, 1987) und der „Yuppie“ wird erfun­den. Viel­leicht ist es kein Zufall, dass Jeff Koons ausge­rech­net in dieser Zeit eine Werk­reihe beginnt, die sich mit dem Wecken von Begehr­lich­kei­ten ausein­an­der­setzt. Fahr­ten mit der New Yorker U-Bahn durch die unter­schied­li­chen Bezirke der Metro­pole haben seine Aufmerk­sam­keit auf die Spra­che der Werbung gelenkt. Ein Aspekt, der ihm dabei beson­ders auffällt: Mit stei­gen­dem Einkom­men der jewei­li­gen Bewoh­ner­schaft steigt auch das Abstrak­ti­ons­ni­veau der gezeig­ten Bilder und Texte auf den Rekla­me­ta­feln.


Abstrak­tion und Ernied­ri­gung

Die jewei­lige Werbung ist also opti­mal auf die jewei­lige Ziel­gruppe vor Ort abge­stimmt oder gibt dies zumin­dest vor – mit sexu­el­len Anspie­lun­gen für einkom­mens­schwä­chere Konsu­men­ten, gepfleg­tem Bild- und Wort­witz für den Mittel­stand („The Empire State of Scotch,Dewar´s“) und Reklame für wohl­ha­ben­dere Kunden, die ganz ohne figür­li­che Motive auskommt („Find a quiet table“). Gerade in dieser Abstrak­tion erkennt Koons eine Ernied­ri­gung, die mit dem Eintei­len von Menschen in verschie­dene Klas­sen einher­geht – oder, um in der Werbe­spra­che zu blei­ben, in unter­schied­li­che Ziel­grup­pen.

Die Begehr­lich­kei­ten behal­ten ihre Gültig­keit

Als Maßstab für die Klas­si­fi­zie­rung poten­ti­el­ler Konsu­men­ten wählt Koons die Spiri­tuo­sen­wer­bung. Sein Ziel ist es, die Mecha­nis­men der Werbe­in­dus­trie in einem brei­ten Panorama abhän­gig vom Einkom­men der jewei­li­gen Konsu­men­ten­gruppe zu präsen­tie­ren. Neben Objek­ten, die beispiels­weise als Merchan­di­sing-Arti­kel auf den Markt kommen, wählt er hierzu verschie­dene Werbe­pla­kate aus. Die Rekla­me­ta­feln lässt er in einer spezi­el­len Öldruck­tech­nik auf Lein­wand aufbrin­gen. Eine museale Vari­ante des bekann­ten Werbe­bil­des, das untrüg­lich einer ganz bestimm­ten Zeit entlehnt ist: Die Hoch­glanz-Foto­gra­fien, das Styling der Modelle, die düster-deka­den­ten Farben – all diese Elemente sind fest in der Bild­spra­che der 1980er-Jahre veran­kert, wirken heute merk­wür­dig anti­quiert. Die ange­spro­che­nen Begehr­lich­kei­ten aber behal­ten ihre Gültig­keit.

Der Betrach­ter bleibt ahnungs­los

Rost­freier Edel­stahl ist das Mate­rial, aus dem Jeff Koons die drei­di­men­sio­na­len Arbei­ten für „Luxury & Degre­da­tion“ anfer­ti­gen lässt. Die Skulp­tu­ren machen von Anfang an keinen Hehl daraus, dass sie alles andere als gewöhn­li­che Gebrauchs­ge­gen­stände sind. Zum Teil handelt es sich hier­bei um reine Sammel- oder Deko­ra­ti­ons­ob­jekte – Dinge also, mit welchen Menschen, die ein sorgen­freies Leben führen, ihren Alltag anrei­chern. Wie die knapp 2,90 Meter lange „Jim Beam – J.B. Turner Train“, die für Koons so etwas wie den Inbe­griff des Mittel­stands darstellt. Das Vorbild zu diesem in Edel­stahl gegos­se­nen, sieben­tei­li­gen Zug hatte er bei einem Spazier­gang auf der 5th Avenue in einem Schau­fens­ter entdeckt. Während das Origi­nal aus Plas­tik und Porzel­lan gefer­tigt wurde, wählte Koons, wie für alle Objekte aus dieser Werk­reihe, makel­los spie­geln­den Edel­stahl.

Gebrauchs­ge­gen­stände zu Luxus­ob­jek­ten

Ein Mate­rial, das für ihn die perfekte Verkör­pe­rung mittel­stän­di­scher Wünsche und Begehr­lich­kei­ten darstellt: Edel­stahl wirkt hoch­wer­tig und verliert niemals seinen faszi­nie­ren­den, schim­mern­den Glanz. Dieser Schein jedoch trügt: wie Koons in einem Inter­view anmerkte, wird Edel­stahl vor allem zur Herstel­lung von Töpfen genutzt, ist also in der Verwen­dung alles andere als luxu­riös. Die glän­zen­den Ober­flä­chen­ei­gen­schaf­ten macht er sich in Objek­ten wie dem „Baccara Crys­tal Set“ oder der „Travel Bar“ zu nutze. Hier­bei handelte es sich ursprüng­lich tatsäch­lich um Gebrauchs­ge­gen­stände, also beispiels­weise Karaf­fen, Gläser, Mess­be­cher oder Löffel. Der Edel­stahl­guss macht sie zu reinen Deko­ra­ti­ons­ob­jek­ten, wie sie in den 1980er-Jahren tatsäch­lich der findi­gen Merchan­di­sing-Abtei­lung eines Spiri­tuo­sen-Herstel­lers entsprun­gen sein könn­ten.

Der Inhalt bleibt im Verbor­ge­nen

Dabei birgt das gewählte Mate­rial noch einen weite­ren Vorteil, den Koons ganz bewusst mit einkal­ku­liert: Edel­stahl ist in der Lage, Alko­hol über sehr lange Zeit zu konser­vie­ren. Wie der Origi­nal Jim Beam-Zug, den Koons einst im Schau­fens­ter eines Spiri­tuo­sen­händ­lers entdeckte, so ist auch die Edel­stahl-Version mit echtem Bour­bon befüllt. Nach­dem die einzel­nen Zugteile gefer­tigt waren, ließ Koons sie zu Jim Beam schi­cken, mit Whisky füllen und mit einem Steu­er­sie­gel verse­hen. Als recht­mä­ßi­ger Besit­zer der Zugskulp­tur könnte man sich über den Schorn­stein der Loko­mo­tive Zugang zum einge­schlos­se­nen Alko­hol verschaf­fen. Der Betrach­ter jedoch bleibt ahnungs­los: Sein Blick kann bloß immer wieder die silbern glän­zende, perfekt polierte Ober­flä­che entlang­wan­dern. Der Inhalt, das bewor­bene Produkt selbst bleibt im Verbor­ge­nen. Die Konsu­men­ten folgen dem schö­nen Schein – der aber, so legen es die Objekte und Öldru­cke in „Luxury & Degre­da­tion“ nahe, wird sein Verspre­chen niemals einlö­sen.


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