Dr. Bernd Dolle-Weinkauff ist Professor am Institut für Jugendbuchforschung an der Frankfurter Goethe-Universität. Er wird gern der „Comic-Wissenschaftler" genannt und ist Mitbegründer der Gesellschaft für Comicforschung (ComFor). Im Interview erklärt er, wieso Comics in der BRD einst als Untergang des Abendlandes galten, was das Comiclesen damals subversiv machte und welche Bereiche der Comickultur heute noch weitgehend unerforscht sind.
In meiner Auffassung entstehen die Comics, und das deckt sich übrigens auch mit dem, was Alexander Braun im Ausstellungskatalog "Pioniere des Comic" schreibt, in der Presse der USA Ende des 19. Jahrhunderts, und sie zeichnen sich dadurch aus, dass sie in einer sehr engmaschigen Weise Schrift- und Bilderzählung miteinander verbinden. Dann gibt es natürlich noch den viel weiteren Bereich der Grafischen Literatur, innerhalb dessen Comics nur einen Teilbereich darstellen: Sie erzählen innerhalb ganz bestimmter Regeln, sie sind in Panels aufgebaut, haben eine bestimmte Figurenkonstruktion, sind in bestimmten Medien angelegt.
Die Graphic Novel hat das Problem, dass ihr Begriff von Anfang an so diffus gewesen ist, dass er erst einmal von seiner Intention her verstanden werden muss und nicht, wie man es vom Comic sagen kann, von der Struktur des Objekts. Sie können formal überhaupt nicht fassen, was eine Graphic Novel ist! Was sich heute so nennt, wurde geschaffen, um sich vom ordinären Comic abzugrenzen als ambitionierte, grafische Literatur. Wenn es dann konkreter wird, fassbarer, dann nehme ich gern die Übersetzung aus dem Englischen: Ein Comic-Roman. Bei der Ankündigung von Lehrveranstaltungen nutze ich den Begriff quasi als Reizwort, um überhaupt erst einmal Interesse zu wecken. Ich würde viel lieber präzisere Begriffe nutzen, diese Präzision muss man sich erst gemeinsam erarbeiten (lacht).
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