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Else Lasker-Schüler, Prinz von Theben

Bei Else Lasker-Schüler scheinen eigenes Phantasie-Universum und nüchterne Realität weniger deutlich abgegrenzt als bei manch anderem Künstler ihrer Zeit. Versuch eines Porträts.

Von Katharina Cichosch

Über Else Lasker-Schü­ler, die berühmte Poetin und Künst­le­rin, Male­rin und selbst­er­nann­ten „Prinz von Theben“, gibt es viele Anek­do­ten zu berich­ten: Dass sie schon mit vier Jahren lesen und schrei­ben konnte, dass sie all ihren Lieb­ha­bern und Wegbe­glei­tern phan­tas­ti­sche Namen gab, dass sie zu ihrer Berli­ner Zeit Dauer­gast im „Café des Westens“ war und dass sie als Prot­ago­nis­tin in ihrem eige­nen Orient-Kosmos gern in Pluder­ho­sen Flöte spielte.

All das stimmt vermut­lich oder sogar recht sicher, aber es macht die Annä­he­rung nicht einfa­cher. Die schön schil­lernde Anek­dote hat einen trüge­ri­schen Charak­ter, gaukelt Nähe und Erkennt­nis vor, die sie nicht unbe­dingt einlö­sen kann. Viele zusam­men erge­ben besten­falls ein Gerüst. Als Gesamt­er­klä­rung taugt sie weni­ger. Hält man sich also zunächst an die blan­ken Fakten, dann ergibt sich in etwa diese Biogra­fie: Else Schü­ler wird 1869 im heuti­gen Wupper­tal als Toch­ter eines jüdi­schen Bankiers gebo­ren. Sie war außer­or­dent­lich intel­li­gent und begabt, brach die Schule auf eige­nen Wunsch ab und wurde fortan zu Hause unter­rich­tet. 1894 heira­tet sie Jona­than Bert­hold Lasker und zieht mit dem Arzt nach Berlin. Die Verbun­den­heit zur eige­nen Fami­lie muss stark gewe­sen sein: als wenige Jahre vor der Hoch­zeit ihre Mutter und einige Jahre danach ihr Vater ster­ben, kommt dies Lasker-Schü­ler als eine „Vertrei­bung aus dem Para­dies“ gleich. Mit 30 Jahren veröf­fent­licht sie erste Gedichte, vier Jahre später heira­tet sie ihren zwei­ten Ehemann Georg Lewin, dem sie einen neuen Namen verpasst: Herwarth Walden.

Ein phantastischer Kosmos: Theben in Berlin

In Berlin geht Else Lasker-Schü­ler gern ins „Café des Westens“, träumt sich in orien­ta­li­sche Märchen­wel­ten und macht diese in Gedich­ten, später auch in klei­nen Illus­tra­tio­nen erfahr­bar, die nach und nach zu größe­ren Zeich­nun­gen erwei­tert werden. Lasker-Schü­ler einzu­ord­nen in eine einzige Bewe­gung, ihr Werk einer Schule zuzu­schrei­ben, muss schei­tern: Zwar hatte sie etli­che gute Künst­ler­freunde, mit denen sie eini­ges teilte, ihr eige­ner phan­tas­ti­scher Kosmos aber exis­tierte schein­bar unab­hän­gig von denen ihrer Außen­welt. Dazwi­schen lagen nicht weni­ger als Myria­den. „Nichts Ratio­na­les über­haupt verband sie mit ihrer Umwelt und insbe­son­dere mit den Häup­tern des dada­is­ti­schen Bilder­sturms; allein die totale Unbür­ger­lich­keit hatte sie mit jenen gemein, und auch die nicht als Ideo­lo­gie, sondern als Natur­trieb, “ konsta­tierte Walter Abend­roth hierzu 1966 in der „Zeit“. Und auch hier­aus lässt sich natür­lich etwas Anek­do­ti­sches stri­cken: Else Lasker-Schü­ler als Rebel­lin, als phan­tas­ti­sche Poetin, als Außen­sei­te­rin, als Verwei­ge­rin von prag­ma­ti­scher Kunst- und Kultur­po­li­tik.

Zu ihren berühm­tes­ten Gedich­ten gehört wohl „Ein alter Tibet­tep­pich“, der erst­mals in Waldens „Der Sturm“- Zeit­schrift und später, nach begeis­ter­ter Aufnahme, noch­mals in Karl Kraus „Die Fackel“ abge­druckt wird. Darin beschreibt Lasker-Schü­ler eine Liebes­be­zie­hung, erzählt von Seelen, die mitein­an­der „im Teppich­ti­bet verwirkt“ sind, und himmelt den „Lama­sohn auf Moschus­pflan­zen­thron“ an.

Heute wahlweise bejubelt oder abgelehnt

Zeich­nung und Male­rei waren für Lasker-Schü­ler ursprüng­lich eher Beiwerk, Illus­tra­tion für ihre Gedichte. Bald fand sie Gefal­len daran, ihrem lite­ra­ri­schen Kosmos auch zeich­ne­risch Ausdruck zu verlei­hen: Thebe­ta­ni­sche Braut­paare, an der Hand einen Affen, bringt die Künst­le­rin zu Papier, auf einem ande­ren Bild reitet Prinz Jussuff auf einem Kamel durch die Wüste. Der Prinz sieht ihr mit dunk­lem Pagen­schnitt und Pluder­ho­sen nicht zufäl­lig ähnlich, er ist Else Lasker-Schü­lers männ­li­ches Alter Ego und dabei in einer Doppelb­e­deu­tung trotz­dem und zugleich auch Traum­prinz.

Diese offen zur Schau gestellte Verwei­ge­rung einer Grenz­zie­hung zwischen Priva­tem und künst­le­ri­schem Kosmos, zwischen phan­tas­ti­scher Sphäre und schnö­der Reali­tät wurde und wird Else Lasker-Schü­ler gern als Naivi­tät ausge­legt und damals wie heute wahl­weise beju­belt oder abge­lehnt. Statt dies zu wider­le­gen, kann man die Künst­le­rin aber genau in dieser bewusst gewähl­ten Tradi­tion verste­hen: Der Lite­ra­tur­wis­sen­schaft­ler Magnus Klaue beispiels­weise arbei­tet Kitsch und Naives in „Poeti­scher Enthu­si­as­mus: Else Lasker-Schü­lers Ästhe­tik der Kolpor­tage“ ganz bewusst als Eigen­schaf­ten von Lasker-Schü­lers Gedich­ten heraus – und zeigt an Hand dieser Attri­bute auf, wie ernst man das radi­kal revo­lu­tio­näre Gehalt ihres Werks nehmen sollte, das die Möglich­kei­ten der Kunst auslo­tet, wie es viele andere sich kaum zu wagen trau­ten.

Die realen Lebensumstände fallen hinter die poetischen ab

Dass das schein­bar Anek­do­ti­sche ihrer Kunst tatsäch­lich nicht mit dem echten Leben verwech­selt werden sollte oder viel­mehr: dass die Kunst eben niemals in der schnö­den Reali­tät voll aufge­hen kann, zeigt Else Lasker-Schü­lers Flucht ins Exil. 1927 stirbt ihr gelieb­ter Sohn Paul, wenige Jahre später muss sie Berlin verlas­sen: 1933 emigriert die Künst­le­rin nach Zürich, nach­dem sie im natio­nal­so­zia­lis­ti­schen Deutsch­land um ihr Leben fürch­ten muss. Von hier aus unter­nimmt sie Reisen nach Jeru­sa­lem, das in ihren Gedich­ten als magi­scher Ort jenseits dieser Welt erscheint. 1939, auf ihrer drit­ten Reise nach Paläs­tina, kann sie nicht wieder in die Schweiz zurück­keh­ren und bleibt. Noch immer schreibt und spricht sie in male­ri­schen Bildern von ihrer (Zwangs-) Heimat, doch die realen Lebens­um­stände fallen hinter die poeti­schen ab.

Es bleibt: ein nicht einnehm­ba­res Moment, viele Leer­stel­len. Der Leser muss sie selbst ausfül­len, möchte er sich auf die Spuren von Else Lasker-Schü­ler, Prinz von Theben und fantas­ti­sche Erzäh­le­rin bege­ben. Gerade in dieser Möglich­keit einer subjek­ti­ven Erobe­rung liegt die große Faszi­na­tion von Else Lasker-Schü­lers Gedich­ten und Zeich­nun­gen, die sich als Gesamt­kunst­werk verste­hen lassen: Den Zuschauer, den Leser macht sie zum Mitwis­sen­den, doch alles Wissen muss sich dieser selber aneig­nen. Wohin die Reise führt, ist unge­wiss, und ganz sicher­lich endet sie nicht im tatsäch­li­chen Orient, der die phan­tas­ti­schen Vorstel­lun­gen der unfrei­wil­li­gen Exilan­tin aller heißen Liebe zum Trotz letzt­lich enttäu­schen musste.


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