Er reiste als erster ausländischer Raumfahrer zu einem Training mit chinesischen Astronauten: Ein Interview mit Matthias Maurer über die Zukunft der bemannten Raumfahrt, neue Ziele und neue Bündnisse.
Die Raumfahrt ist im Umbruch. Die Internationale Raumstation (ISS) könnte schon in einigen Jahren an private Betreiber übergeben oder sogar auf dem Grund des Pazifiks landen. Daher bereitet sich Matthias Maurer derzeit auf weit mehr vor als nur auf seinen ersten Flug zur ISS. Erst kürzlich in das europäische Astronautenchorps berufen, beschäftigt er sich längst mit den Anforderungen neuer Bündnisse. Der gebürtige Saarländer ist es gewohnt, sich mit verschiedenen Kulturen zu beschäftigen. Er spricht fünf Sprachen, darunter Russisch und neuerdings auch Chinesisch. Und er absolvierte im Sommer 2017 mit seiner Kollegin Samantha Christoferetti ein Überlebenstraining in China, als erste ausländische Raumfahrer überhaupt. Weltraumreporter Karl Urban sprach mit Matthias Maurer.
Das Interview ist als Teil des AstroGeo Podcast von Karl Urban frei verfügbar. Das Transkript und weiteres Zusatzmaterial ist unten für 2,49 € zu erwerben. Der Kauf unterstützt den Autoren bei seiner weiteren Recherche. Das Interview: TranskriptMatthias Maurer: Mein Name ist Matthias Maurer. Ich bin europäischer Astronaut. Von der Ausbildung her bin ich Werkstoffwissenschaftler. 2009 war ich Teil der letzten Astronautenauswahl und aktiv bin ich erst in diesem Jahr [2017] als Astronaut ernannt worden. Vorher war ich hier im Zentrum, dem Astronautenzentrum, für Zukunftsprojekte verantwortlich und in diesem Bereich habe ich mich natürlich auch schon sehr stark mit dem Thema Mond beschäftigt.
Karl Urban: Wie sind Sie zum Astronauten geworden?
Astronaut wird man, wenn die ESA eine Ausschreibung macht, und diese Ausschreibung war 2008. 8500 Europäer haben sich auf diese Stelle beworben. Am Schluss waren nur noch zehn Kandidaten, die alle Tests bestanden hatten und die Eignung zum Astronauten hatten. Damals hat aber der Generaldirektor der ESA uns gesagt: Ich habe nur sechs Tickets für den Weltraum. Von daher nehme ich erst mal nur sechs und die anderen vier schiebe ich auf eine Warteliste. Und deswegen habe ich 2010 dann hier am Astronautenzentrum meine Arbeit begonnen. Zunächst nicht als Astronaut.
Am Anfang war ich verantwortlich für Crewsupport und Eurocom. Das ist der Kommunikator, also der Sprecher des Kontrollzentrums, der mit den Astronauten an Bord der ISS redet. Crewsupport bedeutet, man unterstützt die Astronauten bei der täglichen Arbeit und man ist sozusagen Mädchen für alles. Das waren die ersten zwei Jahre. Danach bin ich mehr in die Entwicklung von Zukunftsprojekten gewechselt. Damals war ich dann Leiter für Entwicklung des Zentrums hier, des Astronautenzentrums mit Schwerpunkt neue Partner - das war dann auch China - und neue Projekte.
Ist denn gerade viel in Bewegung, wenn man sich die bemannte Raumfahrt anguckt?Ich denke, die bemannte Raumfahrt ist im Moment hochdynamisch. Wir haben einerseits Flüge zur ISS, durchgeführt momentan nur von den Russen. Aber auf der amerikanischen Seite gibt es kommerzielle Anbieter, die neue Raketen und neue Kapseln entwickeln. Das ist hochspannend. Im nächsten Jahr sollen die ersten dieser kommerziellen Kapseln fliegen. Ich bin mal gespannt, ob das wirklich klappen wird oder ob wir noch ein zwei Jahre Verzögerung dazubekommen. Dann gibt es aber natürlich auch neue Akteure wie zum Beispiel China. China baut gerade eine eigene Raumstation auf.
Was bedeutet das für einen Astronauten, der jetzt anfängt im Astronautenchorps? Sie müssen sehr weit denken, und die Ausbildung wird sich wahrscheinlich auch immer mal wieder umstrukturieren in den nächsten Jahren?Die Ausbildung von Astronauten sind zuerst einmal die Grundlagen der Astronautik. Das ist jetzt unabhängig davon, mit wem ich in den Weltraum fliege. Aber die zweite Frage ist dann: Welche Sprache lerne ich denn? Denn Europa hat keinen eigenen Zugang für Astronauten zum Weltraum. Das heißt, ich werde immer Passagier sein in einem anderen Raumschiff: Fliege ich mit den amerikanischen Raumschiffen, dann ist Englisch die Amtssprache. Fliege ich mit den Russen, dann wird Russisch die Amtssprache sein. Und weil ich mir auch die Option mit China offenhalten möchte, lerne ich zurzeit auch chinesisch.
Die ESA hat gemeinsam mit den internationalen Partnern eine Strategie für die bemannte Exploration. Schritt eins ist der niedrige Erdorbit. Schritt zwei ist der Mond. Und Schritt drei ist Mars. Mars deswegen, weil es eine der Kernfragen der ESA ist, wo kam das Leben her? Und der Mars hatte mal Wasser. Deshalb vermuten wir, wenn Wasser wirklich das stärkste Indiz für Leben ist, dass auf dem Mars hoffentlich noch Spuren von Leben zu finden sein werden. Nun ist der Schritt vom niedrigen Erdorbit zum Mars zu groß. Weil wenn wir jetzt zum Mars fliegen möchten, dann könnten wir das machen, indem wir eine große Rakete hinschicken. Die würde dann 500 Tage hin und zurück unterwegs sein. Auf dem Mars hätten wir sehr wenig Zeit, weil die Rakete wäre nur vollgestopft mit Proviant und wenig Wissenschaft. Deswegen ist ein anderer Ansatz viel besser, nämlich zum Mars zu fliegen und dort alles zu finden, was wir brauchen, um uns dort vor Ort zu versorgen, also Trinkwasser zu erzeugen, eine Unterkunft zu bauen und auch Treibstoff zu erzeugen, um wieder zurückzufliegen. Dann könnten wir nämlich sehr viel mehr Wissenschaft mitnehmen. Diese Technologie kann ich nicht erst am Mars ausprobieren. Diese Technologie muss ich vorher auf der Erde entwickeln und im Weltraum testen. Und der Mond ist da ein ideales Ziel. Wir können in zwei bis drei Tagen auf dem Mond sein, können dort diese Technologie ausprobieren und wenn es auf dem Mond klappt - das ist nämlich viel schwieriger als auf dem Mars -, dann wird es auch ganz sicher auf dem Mars funktionieren. Das ist eine Idee, warum wir zum Mond wollen.
Der Mond selbst beinhaltet auch Vorräte an Wasser. Wassereis vielleicht in den Polarregionen, aber auch Wasser, was ich aus den Mineralien rausziehen kann, das Illmenit zum Beispiel ist eine Oxid-Verbindung. Ich kann daraus Sauerstoff herauslösen. Ich könnte damit Treibstoff erzeugen und ich könnte somit viel effizienter in den Weltraum fliegen. Wenn ich mit einer kleinen Rakete zum Mond fliege und kann auf dem Mond noch einmal auftanken und kann dann weiter zum Mars fliegen, dann steigert das die Effizienz enorm. Das ist Schritt zwei.
Der Mond an sich ist aber auch super spannend für die Wissenschaft. Zum einen kann ich auf dem Mond Geräte aufstellen, die mir Signale auslesen können, die ich auf der Erde gar nicht empfange. Also ein Radioteleskop zum Beispiel auf der erdabgelegenen Seite kann Frequenzen empfangen, die uns sehr wichtige Informationen über die ganz frühen Phasen des Universums geben, also kurz nach dem Urknall. Diese Frequenzen kommen auch zur Erde. Aber die werden von der Erdatmosphäre geschluckt. Das heißt, ich kann die auf dem Erdboden mit unseren Radioteleskopen nicht empfangen, nicht auslesen. - Also Wissenschaft auf dem Mond.
Wir könnten auf dem Mond auch Wissenschaft über den Mond machen. Der Mond ist ein toter Körper. Und deswegen haben die Leute lange gedacht, dort gibt es ja nichts Interessantes zu finden. Aber jetzt stellt man fest: Dadurch, dass der Mond so eine tote Oberfläche hat, ist ja super spannend. Er ist ein offenes Geschichtsbuch, was die ganzen viereinhalb Milliarden Jahre Erdgeschichte sozusagen mitdokumentiert hat. Die Erde verändert sich ja immer wieder an der Oberfläche. Wir haben Vegetation und Vulkanismus und so weiter, so dass die Oberfläche der Erde ständig erneuert wird. Der Mond ist aber noch alt. Und dort können Wissenschaftler dann Gesteinsproben nehmen und können dadurch sehr viel erfahren über die Entwicklung unseres Sonnensystems. Und wenn wir einmal verstanden haben, wie unser Sonnensystem entstanden ist und unsere Erde entstanden ist, dann können wir vielleicht auch bessere Modelle erstellen, die uns eine Vorhersage erlauben, wo in dem Universum oder wo in unserer Galaxie wir vielleicht noch eine zweite Erde finden werden. Also sehr spannende und wirklich hochinteressante Fragestellungen.
Der 2013 auf dem Mond gelandene Rover Jadehase (Yutu), der sich von seinem Lander (nicht im Bild) entfernt hat. Chinese Academy of Sciences / China National Space Administration / The Science and Application Center for Moon and Deepspace Exploration