Karl Urban

Freier Wissenschaftsjournalist, Tübingen

3 Abos und 1 Abonnent
Artikel

Insight: Die unerforschten Tiefen des Mars

Warum die Forscher so gerne Gewissheit über das Marsinnere hätten, hängt auch mit unserem eigenen Planeten zusammen. Die Gesteinsschichten der Erde werden durch die sich verschiebenden tektonischen Platten ständig umgestaltet. Bruchstücke der festen Platten sinken hier immer wieder in die Tiefe und rühren den Erdmantel bis an die Grenze des Erdkerns durch, von wo wiederum heiße Gesteinsströme in die Höhe aufsteigen und Vulkane speisen. Das hat die Erde seit ihrer Entstehung massiv verändert - und damit auch die ersten Schritte der Planetenwerdung regelrecht verschleiert. Nicht so auf dem Mars: Seit sich der Planet aus einfachen Gesteinsbrocken der Urwolke bildete, hat er sich zwar zunächst auch chemisch verändert. Der Planet wurde heiß, Metalle schmolzen, schwere Elemente sanken in die Tiefe, während leichtere nach oben stiegen. Dann aber hörte der Mars weitgehend auf, sich weiterzuentwickeln. Seit mehr als drei Jahrmilliarden ist der Planet abgesehen von wenigen aktiven Vulkanen geologisch ruhig. Blicke in seine tiefen Gesteinsschichten sollten damit auch Blicke weit zurück in die Erdgeschichte liefern.

Nanometergenaue Erdbebenwarte

Doch die Seismologen hatten auf dem Mars bislang Pech: Mit "Viking" führten die ersten zwei wirklich erfolgreichen Marslander der NASA in den 1970er Jahren zwar jeweils ein Seismometer mit, doch die funktionierten nicht wie gedacht. Während eines der Instrumente schon nach der Landung seine Arbeit einstellte, machte beim zweiten Gerät das unerwartet zugige Marsklima Probleme: Der starke Wind ließ das Landegestell schaukeln, noch verstärkt durch den Betrieb von Roboterarm und anderen beweglichen Teilen. Denn das Seismometer saß nicht direkt auf dem Marsboden und war über die Landefüße nur indirekt mit dem Untergrund verbunden. Lediglich eine der damals registrierten Erschütterungen gilt als gemessenes Marsbeben. Das Viking-Seismometer war derweil vor allem als Lieferant von Wetterdaten sinnvoll, aber es brachte keinerlei belastbaren Erkenntnisse über das Marsinnere.

Bei InSight wollen die Forscher nun alles richtig machen: Etwa drei Wochen nach der Landung soll ein Roboterarm das Messgerät SEIS (Interior Exploration Using Seismic Investigations, Geodesy, and Heat Transport) gut einen Meter entfernt vom Landegestell auf den Grund stellen. Das Gerät besitzt drei Beine, die den Kontakt zur Oberfläche herstellen. Mehrere darin verbaute Seismometer können sehr viele unterschiedliche Schwingungen des Bodens auf Nanometer genau aufzeichnen, die entsprechend ihrerseits gut verpackt und durch ein Vakuum vom schwankenden Luftdruck abgeschirmt werden müssen. Wenig später soll der Roboterarm einen zusätzlichen Schutz über das Gerät stülpen. Eine Hülle aus einem Aerogel, das die Folgen von Wind und schwankenden Temperaturen abmildern soll. Wie wichtig den Wissenschaftlern diese Kapselung ist, zeigte sich wenige Monate vor dem ersten Starttermin im Herbst 2015. Damals hatten NASA-Mitarbeiter immer wieder winzige Lecks in der Vakuumhülle von SEIS entdeckt, die den Druck am Instrument konstant auf einem hundertstel Millibar halten soll. Kaum war eines der Lecks gestopft, tauchte das nächste auf. Diese Probleme zwangen das Forscherteam, die gesamte Hülle neuzuentwickeln. "Die Mission ist heute viel besser als sie es vor zwei Jahren war", urteilt der federführende Seismologe Philippe Lognonné an der Universität Paris Diderot. Aber die Entscheidung hatte auch einen stolzen Preis. Der Starttermin von InSight verschob sich um ganze zwei Jahre, und die Kosten der Mission stiegen um stolze 153 Millionen US-Dollar auf nun 875 Millionen US-Dollar.

InSights Roboterarm mit dem Seismometer | Das Vakuumgefäß des Seismometers an Bord der US-Marssonde InSight (hier bei einem Test) war so undicht, dass keine Messungen von Marsbeben möglich gewesen wären. Daher verschob die NASA den Start von März 2016 auf Mai 2018.

Vernachlässigte Seismologie

Warum den Forschern ihr Seismometer so wichtig ist, zeigt ein Blick auf unseren Planeten: Fast alles, was wir über den Schalenbau der Erde wissen, stammt aus seismologischen Daten, also von Erdbebenwellen, die sich nur direkt am Grund messen lassen. Ein solches Seismometer ist im Prinzip ein einfaches Gerät. Ein Dreibein wird fest mit dem Untergrund verbunden. Bewegt sich der Boden nun bei einem Erdbeben auf und ab, stellen Federn sicher, dass an ihnen befestigte Gewichte etwas verzögert mitschwingt. Wie stark und wie verzögert die Gewichte schwingt, hängt wiederum von der Bebenstärke ab. Doch so einfach es klingt, wurden Seismometer bislang nur auf Himmelskörpern betrieben, auf denen der Mensch höchstpersönlich sie aufstellte. Zwischen 1969 und 1972 brachte fast jede neue Apollo-Mission ein Seismometer zum Mond, wo sie noch einige Jahre ihren Dienst taten. Der Datensatz jener Zeit liefert bis heute wertvolle Erkenntnisse, etwa als 2011 durch eine neue Analyse in den alten Daten der Nachweis einer neuen, teilweise geschmolzenen Schicht entlang des Mondkerns gelang. Solche herausragenden Entdeckungen erwarten sich die Forscher nun auch vom Mars.

Allerdings wissen die Forscher nicht genau, was das erste funktionierende Seismometer vom Mars übermitteln wird. Allein die geschätzte Zahl der während der zwei Erdjahre dauernden Missionszeit erwarteten Erdbeben liegt irgendwo zwischen einigen Dutzend und 1000 Ereignissen. Aber nicht nur die schiere Zahl ist entscheidend: "Wir hoffen auch auf möglichst starke Beben", so Tilman Spohn. Denn nur starke Beben können den planetaren Bau in möglichst große Tiefen durchdringen, um Rückschlüsse auf den Kernradius oder auch auf die Dichte verschiedener Gesteinsschichten zuzulassen.

Das könnte Sie auch interessieren: Spektrum der Wissenschaft Digitalpaket: Sonnensystem

Auch was genau die Beben auf dem Mars auslösen, ist noch in der Diskussion: "Vor allem entstehen die Erschütterungen wohl dadurch, dass der Mars abkühlt, schrumpft und sich dabei Risse bilden", erklärt Tilman Spohn. Dazu kommen aber auch andere Quellen: Der Mars besitzt etwa mit der Tharsis-Region die größten Vulkanbauten des Sonnensystems, die selbst irdische Hochgebirge wie das Himalaja überragen würden. Ein Teil dieser Vulkane könnte bis heute aktiv sein oder zumindest die Magmakammern tief unter ihnen. Rund 1500 Kilometer von Insights anvisiertem Landeplatz entfernt liegt mit dem Cerberus Fossae ein System paralleler Gräben, die durch vulkanische Aktivität in der Region aufrissen und die mutmaßlich bis heute seismisch aktiv sind. Zusätzlich dürften auch Meteoriteneinschläge eine häufige Bebenursache sein, da die Geschosse durch die dünne Atmosphäre kaum gebremst zu Boden fallen.

Viele offene Fragen

Die Mission von InSight könnte weit über die anvisierten zwei Jahre hinausreichen, immerhin landet die nur von Solarzellen mit elektrischer Energie versorgte Sonde nicht weit entfernt vom Äquator. Am Ende, so hoffen die Forscher, erwächst aus ihrem Datensatz ein neues Bild vom Inneren des Mars, das viele Einzelteile der planetaren Geschichte zusammenführt.

Eine dieser großen Fragen betrifft das gewaltigste Ereignis in der Geschichte unseres Nachbarn, das aber noch spekulativ ist: Manche Forscher glauben, dass vor mehr als vier Milliarden Jahren ein erdmondgroßer Meteorit die gesamte südliche Hemisphäre des Mars erschütterte. Ein globaler Lavaozean breitete sich aus, später formten Vulkane das heutige südliche Hochland, während der Norden weitgehend eine flache Ebene blieb. Diese Zweiteilung der Marsoberfläche ist bis heute gut sichtbar und dürfte sich in die Tiefe durchpausen. Der Mantel des Mars könnte deutlich weniger einheitlich sein als jener der Erde und erkennbare Spuren solcher lange vergangenen Ereignisse in den seismischen Daten preisgeben.

Eine Beantwortung dieser Fragen setzt voraus, dass InSight wie geplant den Marsboden erreicht und seine Arbeit aufnehmen kann. Zumindest die Landung scheint wenig riskant, beruht doch das Design des Landers auf jenem der erfolgreichen NASA-Mission Phoenix, die schon 2008 mittels Fallschirm und Bremsraketen problemlos auf dem Mars aufsetzte. Die Experimente an Bord von InSight sind allerdings völlig neuartig in der Marsforschung - und das Resultat jahrzehntelanger Bemühungen der Geophysiker, ihre Messinstrumente auf einer Raumsonde unterzubringen. Dass diese hauptsächlich in Europa gebaut wurden, ist für die wissenschaftlichen Ergebnisse derweil nicht entscheidend. Dennoch dürfte es eine so starke europäische Schlagseite einer NASA-Mission in Zukunft wohl nicht mehr geben: Der US-Anteil wissenschaftlicher Instrumente für neue Missionen muss mittlerweile bei mindestens 70 Prozent liegen.

Zum Original