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Junge Frau aus Mietersheim wird seit einem Jahr von Taube verfolgt

Freundschaft

Von Karl Kovacs

Sa, 24. Juni 2017 um 11:52 Uhr

Lahr

Die 19-jährige Rass Zawani aus Mietersheim hat seit einem Jahr einen ungewöhnlichen Begleiter: Eine Taube verfolgt sie durch Lahr. Wie kam es zu der eher unfreiwilligen Freundschaft?

Lieber den Spatz in der Hand als die Taube auf dem Dach - das Sprichwort kennt jeder. Für die 19-jährige Rass Zawani aus Mietersheim hat es eine besondere Bedeutung. Seit mehr als einem Jahr hat sie eine beharrliche Taube als Begleiterin oder Begleiter (das Geschlecht kennt sie nicht).

Die Kinder aus einem Kindergarten, die am Nachmittag an dem Café am Urteilplatz, in dem Rass Zawani sitzt, in Zweiergruppen vorbeigehen, müssen lauthals kichern. Wann sieht man schon eine freche Taube, die es sich auf dem Kopf einer Frau gemütlich gemacht hat? Auch Rass Zawani muss lachen, obwohl sie eigentlich von "Sushi" genervt ist. "Das ist ganz schön peinlich", kommentiert die 19-Jährige ihre Situation. Das Dilemma: Sie mag ihren Begleiter mittlerweile doch ziemlich. Die beiden kennen sich immerhin schon seit mehr als einem Jahr.

Dilemma selbst verantwortet

Irgendwann, erinnert sich Zawani, sei "Sushi" aufgetaucht und auf Köpfe und Schultern von Menschen gehüpft. Am liebsten sei der gefiederte Kumpel aber bei ihr - oder besser gesagt: auf ihr. Ein Stück weit sei das Dilemma selbst verantwortet, gesteht sie ein. Schließlich wurde und wird das Tier gelegentlich gefüttert.

Besonders auf dem Kopftuch der gebürtigen Libanesin fühlt sich "Sushi" wohl. Sogar so wohl, dass sie zum Ärger der jungen Frau ihr Geschäft darauf verrichtet, das Rass Zawani mit Hilfe eines Bekannten mühsam abwischen muss. "Jetzt reicht's", schimpft die Taubenbesitzerin und versucht "Sushi" zu packen, um sie auf den Boden zu setzen. Kein leichtes Unterfangen, die Taube verteidigt ihr Revier wacker. Mit dem Schnabel schnappt die Taube nach Zawanis Hand, sobald sie auch nur in ihre Nähe kommt. "Sie müssen ein Tuch nehmen", rät ein Gast, worauf die 19-Jährige ihren Schleier um die Hand wickelt.

"Sushi" versucht, sich an den Schleier zu krallen

Einige erfolglose Versuche später hat Rass Zawani "Sushi" dann endlich im Griff. Ganz vorsichtig, schließlich will sie ihren eigentümlichen Gefährten nicht verletzen, hebt sie ihn hoch. Erbittert versucht das Tier, sich mit den Pfoten an den Schleier zu krallen. Vergeblich. Jetzt stolziert "Sushi" auf dem Boden hin und her, flattert mal kurz nach oben, erkundet die Gegend aus einer anderen Perspektive. Trotz der Erleichterung, zumindest vorübergehend vogelfrei zu sein, schaut die junge Frau immer wieder, ob alles in Ordnung ist.

Wenn Rass Zawani abends ins Bett will oder zur Schule geht, sieht es ähnlich aus. "Dann stellen wir ,Sushi' auf den Balkon. Sie läuft dann herum und hackt öfter mal ans Fenster." Sobald sie wieder zu Hause sei, beginne das Spiel von vorn. ",Sushi' ist manchmal für eine Woche verschwunden, kommt aber immer wieder zurück. Meistens sonntags", berichtet sie.

Etwas zerzaust sieht "Sushis" Gefieder aus. Die Taube sei aber gesund, das habe eine Tierärztin bestätigt. Was sie allerdings tun könne, um sie wieder loszuwerden, habe ihr niemand genau sagen können.

Bis auf Weiteres, sagt Rass Zawani, werde sie sich weiterhin mit "Sushi" arrangieren. Obwohl die Taube eigentlich ganz schön nervt: Sie hat das anhängliche Tier doch ins Herz geschlossen.

Ein Tier mit besonderem Bezug zu Menschen gab es in Lahr schon mal. Gans "Bibi", die mittlerweile nicht mehr lebt, stand Edgar Kenk, Chef der Dammenmühle, sehr nahe. Die beiden hatten ein inniges Verhältnis und liefen gemeinsam übers Gelände oder kuschelten innig.

Was der Nabu sagt Laut Wolfgang Bahr, stellvertretender Vorsitzender des Naturschutzbunds (Nabu) in Lahr ist Taube "Sushi" eine verwilderte Stadttaube. Sie stammen von verwilderten Haus- und Brieftauben ab, die aus der Felsentaube gezüchtet wurden. Udo Baum, Vorsitzender des Nabu, meint, als er von Rass Zawanis Geschichte hört: "Bei der Taube ist irgendetwas falsch gelaufen. Normalerweise halten Tauben eine Fluchtdistanz vor Menschen und anderen Tieren ein, um sich zu schützen."

Die 19-Jährige hat Baums Ansicht nach zwei Möglichkeiten, um die Taube wieder loszuwerden. "Sie sollte sie einfangen und nach Offenburg oder Freiburg bringen und aussetzen. Dort gibt es auch verwilderte Stadttauben." Dort könne sich das Tier "ein neues Opfer suchen" oder sich den Tauben vor Ort anschließen. Eine Garantie dafür, dass die Mietersheimerin dann nicht mehr von "Sushi" in Beschlag genommen wird, sei das freilich nicht, denn Tauben haben einen guten Orientierungssinn. "Sie könnte nach Mietersheim zurückfliegen", betont Udo Baum. Der zweite Tipp: "Die junge Frau sollte einen Hut tragen oder sich auf andere Weise unkenntlich machen. Vielleicht erkennt sie das Tier dann nicht mehr."

Aus eigener Erfahrung berichtet Baum von einem Spatz, den er aufgezogen hat. "Er ist auch später noch gekommen, als wir ihn beim Hohbergsee gerufen haben, und hat seine Mehlwürmer abgeholt."

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