|| MESSEL (30. Juli 2015) - Fünf Jahre schon und etwa 360mal im Jahr führt Yvonne Roeper Besucher durch die Grube Messel bei Darmstadt, die seit 20 Jahren UNESCO-Weltnaturerbe ist. Trotzdem wird ihr die Routine in der 60 Meter tiefen Senke mit 800 Meter Durchmesser nicht langweilig: "Ich zeige immer neuen Gästen, dass tote Steine eine ereignisreiche Geschichte erzählen können", sagt die Geologin.
Und das kann spannend sein. Denn ein Besuch des erst einmal eher unspektakulär wirkenden Fossilienlagers wird zumindest in der zweistündigen Führung oft zum kleinen Forschungsabenteuer. Obwohl die geotouristische Führerinnen mit ihren Gästen nicht in die sechs Grabungsfelder dürfen und nur den weggeworfenen Schiefer der Forscher für die Fossiliensuche nutzen können.
Es ist auch der Kontakt zur Natur und zu Menschen, den Roeper an ihrem Beruf schätzt. "Ein Paläontologe verbringt nur etwa zehn Prozent seiner Arbeit hier draußen beim Graben", erklärt sie, während sie die Gruppe durch den Zaun des ehemaligen Bergbaugeländes lässt. Ihre beiden Kolleginnen und sie gehen von Frühjahr bis Herbst fast täglich durchs Gelände, sehen manchmal Rehe und Wildschweine, scheuchen Gänse auf und finden ab und an Fossilien. "In meiner Führung hat schon mal eine Schülerin eine Fledermaus im Ölschiefer entdeckt, und eine Kollegin hat einmal eine Platte außerhalb der Grabungsfelder aufgehoben und sie nur so zur Demonstration gespalten. Da kam das Fossil eines kleines Krokodils zum Vorschein".Wie kommt ein Krokodil an den Rand des Odenwaldes, wo heute Birken und Buchen wachsen, dazwischen Brombeeren, kleine Farne und Fingerhut? Das Urzeittier ist aus dem Eozän, als Mitteleuropa viel näher am Äquator lag und die Alpen wohl noch als tropische Inselketten aus dem Meer ragten. "Die Dinosaurier waren schon 20 Millionen Jahre vorher ausgestorben, und die Vorläufer unserer Säugetiere begannen gerade erst, sich zu entwickeln", ordnet die Geologin den Lebensraum der Funde ein.
Warum ausgerechnet die Grube Messel ein so wichtiges Zeitfenster in die Urgeschichte wurde, hat nur oberflächlich damit zu tun, dass der Mensch hier nach fast 120 Jahren Tagebau gut an tiefes Sedimentgestein komm, das Fossilien enthält. Die Grube Messel ist voll davon. Weil in dem sauerstoffarmen Wasser einst nichts verweste, findet man darin heute Tiere, die wie Mumien und Moorleichen noch Haut und Haare haben. Sogar den Mageninhalt können die Forscher untersuchen, etwa den einer Schlange, der eine Echse enthält, die ihrerseits gerade einen Käfer vertilgt hatte.
Am tiefsten Punkt der Grube angekommen erklärt Roeper, dass vor 48 Millionen Jahren die Bewegung der Erdplatten die Voraussetzung für solche einmaligen Funde geschaffen hat. Sie malt an eine Tafel, wie bei Erdstößen heißes Magma von unten und Grundwasser von oben aufeinandertrafen und als Wasserdampf explodierten. In dem so entstandenen steilen Krater bildeten später Grund- und Regenwasser einen tiefen sauerstoffarmen See. Unten lagerte sich alles Abgestorbene ab, verfestigte sich und wurde zu Ölschiefer. Mit allem, was einst darin lebte wie Krokodil und Knochenhecht, oder was an den steilen Kraterwänden hinabrutschte und nicht wieder hochkam. Das dürfte bei den "Stars" der Grube der Fall gewesen sein, dem Urpferdchen, das so groß wie ein Fuchs war, "Ida", dem Uräffchen, und dem 2013 entdeckten Riesennager, der aussieht wie ein gigantisches Eichhörnchen.
Dass die Grube ein Maar, also vulkanischen Ursprungs, war, wies eine Forschungsbohrung im Jahr 2001 nach. Der Bohrkopf, den die Forscher 433 Meter in die Tiefe führten, liegt heute neben dem Bohrbrunnen, der ständig abgepumpt werden muss, damit kein neuer See entsteht. Ein Teil des 10 Zentimeter breiten Bohrkerns liegt im Besucherzentrum. Der Großteil wird weiter in der Senckenberg Forschungsstation ausgewertet.
"Hier graben sich die Paläontologen an einem Tag durch tausende von Jahren", sagt Roeper, nachdem sie die Gruppe an eine Grabungsstelle geführt hat. Ein Zentimeter Gestein entspricht 100 Jahren, und mittendrin sind noch vollständige fossile Tiere. Sogar die bunten Flügel von Insekten schillern noch. Jetzt - endlich - sind die Besucher an der Reihe, "Urzeit Indiana Jones" zu spielen. Mit einer Einschränkung: "Sie dürfen nichts mit nach Hause nehmen. Diese Funde sind für die Allgemeinheit und die Wissenschaft da. " Aus der Forscher-Abraumhalde sucht die Geologin viel versprechende größere Stücke und verteilt sie.
Durch den Kontakt mit der Luft ist der dunkle Ölschiefer so bröselig geworden, dass es sich leicht mit der Hand spalten lässt. Was bedeuten die hellen Flecken? "Kot kleiner Fische", antwortet Roeper. Bald entdeckt ein Kind ein vollständig erhaltenes Blatt, das nächste eine Fischschuppe. Der Superfund dieses Nachmittags ist aber ein vollständig erhaltenes Fossil eines etwa drei Zentimeter kleinen Fisches. "Ein Thaumaturus, die waren damals zahlreich", erklärt Roeper.
Später in einem Forschungscontainer, in der sie den entdeckten Schwarmfisch deponiert, präsentiert sie präparierte größere Fossilien und Repliken der Sensationsfunde. Dann gibt sie ihren Gästen kieselgroße Steine in die Hand. Doch keiner zuckt, als er erfährt, dass er da gerade Koprolithen, also versteinerten Kot, von Knochenhechten in der Hand hält. Nur dran lecken, wie vorher am Gestein, will niemand.
Es sind auch solche Moment, die der Geologin gefallen und, dass sie ganz nah an der Forschung ist, ohne selber graben, dokumentieren und präparieren zu müssen. "Bis vor kurzem haben wir noch erzählt, das Maar entstand von 47 Millionen Jahren, jetzt haben die Senckenbergforscher festgestellt, dass er schon eine Million Jahre früher entstanden ist, also im Untereozän". Sie ist gespannt, was an weiteren Erkenntnissen im Gestein schlummert. Denn: "Solange es noch Fragen an die Vergangenheit gibt, wird weitergegraben".
Fotos: Karin Willen
Welterbe Grube Messel gGmbh, Roßdörfer Straße 108, D-64409 Messel, +49 6159 717590 (www.grube-messel.de)
Führungen durch das Grubengelände Ende März bis Ende Oktober:Einstündige Schnuppertouren an Werktagen um 12 und 14 Uhr, dienstags und donnerstags auch um 15:30 Uhr, an Wochenenden und Feiertagen um 10:30, 12, 14 und 15:30 Uhr.
Zweistündige Wanderungen freitags, samstags, sonn- und feiertags um 15 Uhr, Familienführungen mit Kinder zwischen 6 und 10 Jahren sonn- und feiertags um 10:30 Uhr.
Bei Grabungsimpressionen im Sommer und Schaupräparationen im Besucherzentrum können die Paläontologen befragt werden. Termine auf telefonische Anfrage.
Öffnungszeiten Besucherzentrum:ganzjährig täglich von 10 bis 17 Uhr, letzter Einlass: 16 Uhr
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