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Durch das Abwasser zurück in den Himmel

Der Künstler Govind Nath baut aus Heu und Holz zunächst ein Skelett, dann modelliert er aus Lehm die Götterfiguren und bemalt sie anschließend. Foto: Karen Bauer/dpa

Millionen Hindus feiern den Besuch ihrer Göttin Durga. Einige verzichten nun auf diese Tradition - zugunsten der Umwelt.

Von Karen Bauer

Neu Delhi. Am Ende wird sich die Göttin im heiligen Fluss auflösen: Ihre überlebensgroßen Glieder aus Holz, Heu und Lehm werden brechen, die Farbe zerfließen. Dahin ist dann die Arbeit der Kunsthandwerker. Und verschmutzt ist nach diesem Ritual der heilige Fluss, denn die Farben sind giftig, und Heu und Lehm verstopfen das Flussbett.

Dieser Tage feiern Hindus in Indien Durga Puja: Dem Hindu-Glauben zufolge kommt die Göttin Durga zu Besuch auf die Erde. Mit dabei sind ihre Söhne Ganesha und Kartik sowie die Töchter Lakshmi und Saraswati. Ein Fest der Freude, ist die vielarmige Durga laut indischer Mythologie doch Siegerin über das Böse. Neun Tage lang feiern die Hindus deshalb ihre Göttin, mit Mantren hauchen sie den überlebensgroßen Figuren von Durga und ihren Kindern Leben ein und beten sie an. Bis zu 100 000 Menschen kommen bei einer Puja in der Hauptstadt Neu Delhi zusammen.

Kurz vor dem Fest legt der Künstler Govind Nath ein letztes Mal Hand an: malt ein Ornament auf Ganeshas Rüssel, umrandet die Lippen von Durga und ihren Töchtern. Das Handwerk hat er von seinem Vater gelernt. Etwa eine Woche Arbeit steckt in einer Figur, je nach Größe und Design kosten sie umgerechnet zwischen 130 und 1300 Euro. Für die diesjährige Puja produziert Nath 150 Skulpturen, einige exportiert er nach Frankreich und in die USA. Es tue schon weh, wenn seine Skulpturen am Ende des Festes kaputtgingen, aber so sei es nun mal üblich.

Ganges ist das Tor zum Himmel

Am letzten Festtag tragen die Hindus ihre Göttin traditionell in einer Prozession an einen der Flüsse Ganges oder Yamuna und tauchen die Figuren dort unter. Ein Abschiedsritual: Nur durch diese den Hindus heiligen Gewässer gelangt die Göttin ihrem Glauben zufolge zurück in den Himmel. Jedes Jahr landen deswegen allein in der Hauptstadt Neu Delhi hunderte Skulpturen im Yamuna.

Das muss aufhören, findet Sayan Acharya: „Wir müssen etwas für die Umwelt tun." Der 35-jährige Lehrer hilft seit seiner Kindheit jedes Jahr mit, das Fest in seinem Wohnblock vorzubereiten. Zum dritten Mal verzichtet sein Komitee nun darauf, die Götterfiguren am Ende in den Fluss zu tauchen. Stattdessen haben sie in einer Ecke des Festgeländes zwei Gruben ausgehoben, mit Planen ausgelegt und Wasser eingefüllt. Hier werden sie ihre Göttin eintauchen - und ihre Überreste danach entsorgen.

Eine kleine Revolution: Die meisten Hindus können sich das nicht vorstellen. „Wir müssen die Rituale richtig ausführen", sagt etwa Avik Mitra. Auch er bereitet die diesjährige Puja vor, auf einem Festplatz ein paar Hundert Meter weiter. „Durga muss in die heiligen fließenden Gewässer Ganges oder Yamuna getaucht werden - sonst kommt sie nicht zurück in den Himmel." Sayan Acharya hält dagegen: „Das Wasser in Delhi fließt gar nicht. Yamuna stirbt." Tatsächlich verdient das schwarze Rinnsal aus Abwässern und Fäkalien, das im Flussbett mehr steht als fließt, kaum noch den Namen „Fluss".

Regierung verbietet Ritual nicht

Das Eintauchen der Götterfiguren verschlimmert den Zustand des Yamuna. Ein Verbot des Rituals kommt für die Regierung Delhis aber nicht in Frage. Zu heikel seien religiöse Angelegenheiten in Indien und die Politiker wollten ihre mehrheitlich hinduistischen Wähler nicht vor den Kopf stoßen, sagt Saurabh Bhardwaj, Sprecher von Delhis Regierungspartei AAP. Stattdessen ermuntert man zu Nachhaltigkeit, lobt Feiern wie die von Sayan Acharya. Die umweltfreundlichste Puja will Delhis Regierungschef Arvind Kejriwal dieses Jahr prämieren. Zuckerbrot statt Peitsche.

Sayan Acharya und seine Gemeinde haben die Tradition neu aufgelegt: Eine kleine Flasche echten Ganges-Wassers macht aus dem künstlichen Becken einen heiligen Teich - das glauben und akzeptieren die Besucher inzwischen. Und das Abschiedsritual auf dem eigenen Gelände habe auch Vorteile: Am Ufer des Yamuna tauche ein Kran im Minutentakt Figuren unter - eine Massenabfertigung mit Gedränge, das vor allem Frauen und Alte abgeschreckt habe, erzählt Acharya. „Hier bei uns auf dem Gelände kann jeder das Abschiedsritual in Ruhe genießen." Er hofft, dass nächstes Jahr mehr Hindus seinem Beispiel folgen. Den Flüssen täte es gut. 

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