Der Landschaftsarchitekt Klaus Overmeyer über eine dynamische sowie nutzergetragene Stadtentwicklung und über das Tempelhofer Feld als einmalige Situation.
Klaus Overmeyer, *1968, ist
Landschaftsarchitekt und Experte für Räume in Transformation. Nach einer
Lehre als Landschaftsgärtner, hat er Landespflege/Landschaftsplanung an
der TU München und TU Berlin studiert.
Im Jahr 2004 gründete er die Firma "Urban Catalyststudio". Seit 2010 ist er Professor für Landschaftsarchitektur an der Bergischen Universität Wuppertal.
"Urban Catalyst" wurde 2007 beauftragt, für die Öffnungsphase des
Tempelhofer Felds eine Strategie zu entwerfen. Overmeyer hofft, dass das
Tempelhofer Feld ein offener Freiraum bleibt und kann sich eine von
Bürgern organisierte Bebauung auf dem Feld gut vorstellen.
Klaus Overmeyer: Die klassischen
Werkzeuge der Planung versuchen über einen langen Zeitraum
Planungssicherheit zu erstellen. Sicherheit ist für viele Akteure
wichtig. Der Grundstückseigentümer will wissen, wie sein Grundstück
genutzt wird. Der Bauherr will wissen, was er auf einem Grundstück bauen
kann, wie teuer und wie lange dieser Bauprozess ist.
Wir haben in unserer Arbeit festgestellt, dass gerade große Projekte mit
langen Entwicklungszeiträumen viele Unsicherheiten mit sich bringen und
dass diese Unsicherheit oft diesem Bedürfnis nach Planungssicherheit
nicht entspricht. Unserer Meinung nach muss man die bestehenden
Werkzeuge um andere Werkzeuge, die eher mit dynamischen
Veränderungssituationen umgehen können, erweitern. Dazu zählt zum
Beispiel, dass man in großen Planungen noch nicht alles sofort bis ins
Detail erwägt, sondern über Beteiligungsverfahren oder Testphasen erst
einmal ausprobiert, was auf einem Gelände wirklich passieren kann,
welche Nutzungen geeignet sind, wie sich das anfühlt, wenn man so ein
leeres Gelände betritt. Aus diesem Experimentieren oder langsamen
Herantasten kann auch Sicherheit entstehen.
Gibt es überhaupt diesen „klassischen“ Raum? Ist nicht jeder Raum im Wandel?
Overmeyer: Ich sage oft, eine Stadt gleicht einem großen Komposthaufen, der sich zersetzt und erneuert. Dynamik und Veränderung gehören zur Stadtentwicklung hinzu. Gleichwohl besteht natürlich in der Politik, bei Planern, aber auch bei Grundstückseigentümern, Bewohnerinnern und Bewohnern das Bedürfnis, die Zukunft ein bisschen vorauszusehen. Wie viele Menschen werden in der Stadt wohnen? Werden wir genügend Arbeitsplätze haben? Wie bewegen wir uns fort? Erstickt unsere Stadt am Verkehr? Die große Frage ist, wie wir uns auf die Zukunft einstellen und wie wir in Zukunft leben wollen.
Glück im Einklang mit der eigenen Lebensweise
Im Jahr 2004 haben Sie Ihre Firma „Urban Catalyst“ gegründet. Wie kam es dazu? Gab es einen Schlüsselmoment?
Overmeyer: Ja, eigentlich ist Urban Catalyst aus einer
Krisensituation heraus entstanden. Als ich Ende der 90er Jahre mit
meinem Studium der Landschaftsarchitektur an der TU Berlin fertig war,
gab es für Landschaftsarchitekten in Berlin keine Arbeit. Die große
Euphorie nach der Wiedervereinigung war vorbei und Berlin war in einer
Art Katerstimmung. Man hatte eigentlich nur die Möglichkeit, Taxi zu
fahren oder ins Ausland zu gehen, zum Beispiel nach Norwegen oder
England, wo viel gebaut worden ist.
Ich habe mich mit zwei Freunden, Philipp Oswalt und Philipp Misselwitz,
mit dem Phänomen der Krise intensiv auseinandergesetzt und wir haben
festgestellt, dass Berlin, zumindest in den 90er Jahren, über eine
Vielzahl von offenen Räumen verfügte. Viele Leute haben sich diese Räume
angeeignet, es entstand eine berlinspezifische Kultur. Das war ein
ausschlaggebender Moment. Wir hatten dann das Glück, solche offenen
Räume in fünf anderen Metropolen im Rahmen eines EU-Forschungs-Projektes
zu untersuchen. Ich bin zwar gelernter Gärtner und habe dafür auch eine
Leidenschaft, aber mich interessiert viel mehr, wie Menschen in der
Stadt leben, sich Räume aneignen und welche Dynamik daraus entstehen
kann.
Die Idee, die hinter Zwischennutzung steht, ist, dass Menschen mit sehr
wenig Geld eine Leidenschaft für ihre Umgebung entwickeln und selbst
Initiative ergreifen. Sie entwickeln Glück im Einklang mit der eigenen
Lebensweise und dem Lebensumfeld. Dabei sind sie nicht Konsumenten,
sondern Produzenten. Dadurch kann auch eine hohe Zufriedenheit
entstehen.
Was sind die wichtigsten Prinzipien von Urban Catalyst?
Overmeyer: Wir bezeichnen uns als
Experten für Räume in Transformation. Wir sind davon überzeugt, dass es
für die Menschen, die in diesen Räumen leben, im Kern darum geht, wie
sie ein gutes Leben führen können - ob das nun in der Stadt, in einem
Vorort oder im ländlichen Raum ist. Unsere Ansätze in unseren Arbeiten
bezeichnen wir auch als nutzergetragene Stadt- oder Raumentwicklung. Das
heißt die Bedürfnisse der Menschen sind uns wichtig und aus diesen
Bedürfnissen heraus wollen wir die Veränderung gestalten.
In der Moderne war man überzeugt, dass der Architekt oder die
Architektin ein bisschen Gottvater spielt und als ordnende Kraft den
Raum sortiert. Wir glauben, dass die Architekten und Planer an Macht
erheblich eingebüßt haben. Ganz unterschiedliche Faktoren haben einen
Einfluss auf städtische Veränderung. Diese Faktoren können wir nicht
mehr alle durch Planung bestimmen. Ökonomische, soziale, kulturelle
Faktoren oder auch so etwas wie Globalisierung und Klimawandel haben
weitaus höheren Einfluss auf Stadtentwicklung und auf die Frage, wie wir
in Zukunft leben werden, als irgendwelche Pläne.
Unsere Haltung bei Urban Catalyst ist, dass wir neu lernen müssen, für
diese Faktoren ein Verständnis aufzubauen. Und dann müssen wir uns ganz
gezielt überlegen, an welchen Schrauben wir überhaupt drehen können und
welche Effekte dadurch ausgelöst werden.
Offen und verhandelbar
Was für eine Bedeutung haben Freiräume in einer Stadt?
Overmeyer: Freiräume gewinnen zunehmend an Bedeutung für viele
Städte, weil die Städte nicht mehr so stark an den Rändern wachsen,
sondern eher innen. Aufgrund dieser Verdichtung steigen die Bedeutung
und auch der Wunsch nach Freiraum, nach offenem Raum. Wir bei Urban
Catalyst versuchen die Freiräume nicht nur als klassische Plätze, Räume
oder Parkanlagen zu definieren.
Freiräume sind für uns darüber hinaus auch Räume, deren Zukunft offen
und verhandelbar sind. Es gibt inzwischen nicht mehr nur die
Parkflaneure, die sich in einem Park auf die Bank setzen. Es gibt auch
eine Vielzahl von Trendsportarten, von Protestbewegungen, von
verschiedenen migrantischen Nutzungen in offenen Räumen. Das heißt, dass
wir unsere Freiräume multifunktionaler gestalten müssen für
verschiedene Gruppen.
Als beschlossen wurde, dass der Flughafen Tempelhof 2008 stillgelegt werden soll, wurde Urban Catalyst zusammen mit den Büros mbup und raumlabor Berlin beauftragt, ein Aktivierungs- und Nachnutzungskonzept zu entwerfen. Bei dem Konzept wurden im Wesentlichen zwei Planungswerkzeuge verwendet: das Aktionsmodell und der dynamische Masterplan. Können Sie diese Planungsinstrumente bitte erklären?
Overmeyer: Aktionsmodelle sind begehbare Modelle.
Normalerweise befinden sich Modelle immer in Vitrinen oder auf Tischen.
Die Menschen stehen drumherum und popeln an kleinen Häusern herum. Uns
geht es eher darum, dass man durchs Modell laufen kann und Teil des
Modells wird. Das ist ein ganz anderes Gefühl, als wenn ich um etwas
herumstehe und draufgucke. Ein solches begehbares Modell haben wir auch
für Tempelhof gebaut. Da ging es nicht darum, die Gebäude alle
maßstäblich abzubilden, sondern sich in diesem Raum auch persönlich zu
verorten.
Der dynamische Masterplan ist eigentlich ein kleiner Widerspruch.
Masterplanung meint eine Planung, die für einen langen Zeitraum total
feste Rahmen steckt: So soll‘s aussehen! Das ist unser fertiges Bild!
Der dynamische Masterplan nimmt dem Masterplan ein bisschen den
Absolutheitsanspruch weg und entwickelt sich über einen längeren
Zeitraum. Zu Anfang hat der Plan vielleicht mehr Fragezeichen als
Ausrufezeichen. Im Fall des Tempelhofer Felds könnte man zum Beispiel
sagen: Okay, das Grundgerüst ist der Flughafen mit den Start- und
Landebahnen.
Das ist die Grundstruktur vom Park, die finden wir gut und dann gucken
wir erst einmal. Den dynamischen Masterplan muss man sich wie ein
Bücherregal vorstellen, das langsam gefüllt wird. Es gibt am Anfang eine
Verständigung über eine Grundstruktur, über bestimmte Bewegungslinien
und Wege, die man vielleicht braucht. Nach und nach entsteht dann eine
Idee davon, wo man vielleicht Bäume braucht, wo man
Regenwasser-Management betreiben muss und wo vielleicht in Zukunft auch
gebaut werden kann.
Ausprobieren und reflektieren
Das Konzept für das Tempelhofer Feld sollte eine neue Verbindung zwischen Top-down und Bottom-up-Prozessen herstellen. Was bedeutet das?
Overmeyer: Top-down und Bottom-up sind sehr wichtige Begriffe
im Stadtdiskurs. Bottom-up bezeichnet die Aktivitäten, die von den
Bewohnerinnen und Bewohnern oder Aktivisten in der Stadt ausgehen.
Menschen, die zum Beispiel Gardening machen oder in Parks einen Parcour
für eine neue Sportart erfinden. Also Leute, die mit relativ wenigen
Mitteln als Zwischennutzer oder Raumpioniere sich städtische Räume
aneignen.
Top-down hingegen bezeichnet Planung von oben. Wenn sich eine
Stadtverwaltung zum Beispiel überlegt: Wir brauchen 5.000 Wohnungen in
Berlin und deswegen bauen wir die da und dort hin. Top-Down steht für
eine Planung, die ohne die Menschen gemacht wird, die in der Stadt
leben.
Bei unserem Konzept für das Tempelhofer Feld war uns wichtig, Top-down
und Bottom-up nicht als Gut und Böse zu betrachten, sondern als neutrale
Positionen, die beide notwendig sind in der Stadtentwicklung. Ich
brauch für eine Stadt sowohl eine übergeordnete Strategie als auch
Aktivitäten von der Bevölkerung.
Zwischen dem Senat und privaten Initiativen haben wir viele Planungskonflikte erlebt. Wäre es Ihrer Meinung nach sinnvoll gewesen, Ihre Firma nicht nur für ein Jahr, sondern als dauerhafte, unabhängige Institution zu beauftragen, um zwischen den verschiedenen Interessengruppen zu vermitteln?
Overmeyer: Ich würde das jetzt nicht auf unsere kleine Gruppe
beziehen. Ich denke, dass das Problem in der Tempelhof-Entwicklung war,
dass es sehr viele parallele Stränge gegeben hat. Unser Team war
zusammen mit raumlabor und dem Stadtplaner Michael Braum damit
beauftragt, ein Szenario, eine Strategie, für die Öffnungsphase zu
entwickeln. Schon bevor der Flughafen geschlossen wurde, gab es eine
Planung vom Senat, die vorsah, dass die Ränder der Parkfläche bebaut
werden sollen und es in der Mitte einen zentralen Park geben wird.
Der Senat hat immer kommuniziert: Das ist unser Konzept, das wir weiter
vertiefen und verdichten wollen. Unsere Haltung war: Okay, wir brauchen
jetzt erstmal keine Planung, weil ein Überschuss an Raum da ist. Auch
der Park muss nicht hergestellt werden, dieser Park ist schon da. Es
kommt eher darauf an zu gucken, welche Begabung die Fläche hat und was
vielleicht noch fehlt. Unsere Überzeugung war, dass man durch
Ausprobieren und Reflektieren des Ortes zu einer Idee für diesen Park
kommt. Auf diese Schiene hat sich die Senatsverwaltung auch eingelassen.
Man hat Pionierfelder eingerichtet und Spielregeln für die Flächen
bestimmt. Am Ende war aber auch klar, dass wir unsere Planung weiter
vorantreiben müssen. Es gab ja einen Plan für die Internationale
Gartenschau, für eine Bibliothek, für bestimmte Baufelder. Obwohl sehr
viel öffentliche Beteiligung stattgefunden hat, ist es der Stadt
eigentlich nicht gelungen, die Leute ernst zu nehmen. Dieses Hamsterrad
der Planung hat sich weiter gedreht und erst als man bemerkt hat, dass
man auf Widerstand stößt, hat man die Planung sukzessiv zurückgenommen.
Einmalige Situation
Am 25. Mai 2014 kam es dann zu einem erfolgreichen Volksentscheid. Die Bürgerinitiative „100% Tempelhofer Feld“ hat die Nachnutzungspläne des Senats gekippt und eine Bebauung des Geländes verhindert. Glauben Sie, dass die Bürger wütend waren, weil sie nicht genügend beteiligt wurden, und ansonsten kompromissbereiter gewesen wären?
Overmeyer: Ich glaube, dass es bei vielen eine Trotzreaktion
gegeben hat. Und ich denke, dass unter anderen Umständen sicherlich
viele Bürgerinnen und Bürger sich eine Bebauung auch hätten vorstellen
können. Die Leute haben aber irgendwann bemerkt, dass die Planung zu
einem Selbstläufer wird. Zwar hat sich der Senat wirklich um eine
Beteiligung bemüht. Aber ich glaube, es hat nie eine ehrliche Diskussion
darüber gegeben, was man mit diesem Feld in der Stadt eigentlich will.
Stattdessen gab es das Totschlag-Argument: Berlin wächst wieder. Wir
brauchen Wohnungen und wir können hier 4.000 Wohnungen bauen, also
kommen die dahin. Dann hat man am Rande ein bisschen Beteiligung gemacht
und ansonsten die Planungsphasen weiterhin vorgeschrieben. Viele
Menschen haben sich da in ihrer Stadt nicht mehr wiedergefunden und
gedacht: Aus unserer stadteigenen Kultur hätte eine andere Vision für
dieses Feld entstehen können. Das war dann eine rote Karte für den
Senat.
Nach dem Volksentscheid werden die Bürgerinnen und Bürger bei der Planung mehr miteinbezogen. Ziel ist die partizipative Erstellung eines Entwicklungs- und Pflegeplans. Was wäre denn Ihre Vision für das Tempelhofer Feld?
Overmeyer: Meine Vision für das Tempelhofer Feld ist, dass es
auf jeden Fall ein offener Freiraum ist. In dem Sinne, dass dort
verschiedene Zukunftsbilder mit der Stadt verhandelbar sind. Im
internationalen Vergleich ist das eine einmalige Situation. Es gibt kaum
eine andere europäische Stadt, die so einen großen Freiraum im Herzen
der Stadt hat. Ich glaube, Berlin würde viel Kapital verspielen, wenn es
jetzt in den nächsten fünf oder zehn Jahren alles festlegen würde, was
auf diesem Feld passieren soll. Ich könnte mir schon vorstellen, dass
auf dem Feld in Zukunft auch gewohnt wird.
Aus planerischer Sicht liegt es auf der Hand, dass man Infrastrukturen
von angrenzenden Quartieren nutzt. Ich bin aber auch überzeugt, dass es
eine sehr große Chance ist, auf dem Feld andere Modelle des Wohnens und
Zusammenlebens zu entwickeln. In der Phase um den Volksentscheid haben
sich meines Erachtens sehr interessante genossenschaftliche Initiativen
gegründet, die die Idee hatten, nicht nur als Baugruppe drei Häuser zu
bauen, sondern als Bürgergenossenschaft ein Quartier mit 1.500 Bewohnern
zu entwickeln.
Das fände ich ein starkes Experiment, wozu es vielleicht nicht direkt in
den nächsten Jahren, aber möglicherweise irgendwann kommt. Ich wünsche
mir, dass Berlin besser mit der Fläche und den Menschen auf dieser
Fläche umgeht als bisher.
Das Gespräch führte Julika Bickel
Zum Original