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Make Herrengedeck Great Again

Mit der Geschmacksexplosion im Bier- und Spirituosenbereich ist es Zeit, dem Herrengedeck zum großen Comeback zu verhelfen. Juliane Reichert mit einem Plädoyer für die Genußpaarung.


Ein Herrengedeck ist zweifelsohne eine zweifelhafte Bestellung. Es bedeutet in der Regel die Kombination aus einem Bier und einem Schnaps, mal ist es Korn, mal Sekt, mal ist Killepitsch dabei, in jedem Falle aber ein „Langer" und ein „Kurzer". Daran ist noch überhaupt gar nichts auszusetzen. Dass das vermeintliche „Damengedeck" aus einem Sekt und einem alkoholfreien Getränk bestehen soll, hingegen schon. Das hat zum einen nichts mehr mit einem „Gedeck" zu tun und zum anderen werden Damen, die dem Herren- lieber ein Damengedeck vorziehen, wohl kaum den Ort aufsuchen, an dem „Gedecke" gemäß ihrer namentlichen Natur für gewöhnlich ausgeschenkt werden. Eher eine Vernissage.

Und keine Kaschemme hat ihren Namen verdient, wenn sie kein Herrengedeck im Angebot hat. Das funktioniert umgekehrt leider nicht - nicht alles, was ein Herrengedeck anbietet, ist eine Kaschemme. Oder habt Ihr die Bijou Bar, am Fuße des Monbijou Hotels in der Berliner Mitte, je als Kaschemme erlebt? Na, also.

Im Gegenteil, die Bijou Bar ist etwa so weit weg von einer Kaschemme, wie der Gin Tonic vom Korn. Wohingegen in den einen Gefilden getrunken wird, bis die Stirn auf dem Tresen klebt, heißt das Gedeck anderswo „Heroes", besteht aus einem Strawberry Shrub und Tequilla, und kostet dreimal so viel Geld wie auch Zeit für seine Herstellung. Aber ganz ehrlich, gibt es zwischen dem ruchlosen Trinken im „Trinkeck" und dem high class-Heben in der Hotelbar wirklich keinen Mittelweg? Das war selbstredend eine rhetorische Frage - natürlich gibt es ihn.


Ruch mit Regel


Denn wer sich nicht zwischen Kaschemme und Kulturtrinken entscheiden will, für wen Parallelität mehr Sinn macht als Linearität, für den ist jetzt ein neues Zeitalter angebrochen. Das Herrengedeck kommt zurück.


In dieser Reihe stellen wir euch Herrengedecke vor, die wir mögen. Herrengedecke, die ihr probieren solltet und Herrengedecke, die uns merk- und denkwürdig stimmen. Macht sie nach, macht uns froh und macht euch auf in die Welt der hochprozentigen Symbiosen aus Gebrautem und Gebranntem, aus Krügen und Kurzen, aus langsam und schnell. Der Auftakt startet klassisch, und zwar mit Pils und Korn.

Und dabei ist es beinah egal, welches von welchem, denn bei dieser grundsätzlichsten aller Herrengedeck-Bestellungen geht es nicht um den Geschmack, sondern um die Geste. Ihr habt zu viel gegessen um ein alleinig Bier zu trinken? Ihr seid regelrecht am Beziehungsende und ein einsames Bier macht euch wütend? Ihr möchtet einen Schnaps trinken, möchtet dies nicht auf nüchternen Magen tun, habt aber beim besten Willen keinen Hunger? Ihr könnt vom Anstoßen mit dem Tresen-Nachbar gar nicht genug bekommen und wollt die Anzahl eurer Behältnisse maximieren? Die Gründe für ein Herrengedeck sind mannigfach und meistens gegeben.

Die Regeln für diese Form des Herrengedecks sind simpel. Beschwere dich nicht über den Schnaps, höchstens über das Bier und sei bereit für einen Ortswechsel im Fall der Fälle. Stoß mit allen an, die am Tisch sitzen, ob du sie nun kennst oder nicht. Es ist völlig egal, ob du nur eine Runde trinken magst oder nicht - wenn du auf ein Gedeck eingeladen wirst, lädst du zurück ( - gut, wenn die Runde nun nicht aus mehr als fünf Personen besteht) und trinkst mit.

Es ist nicht schlimm, den Korn nicht auf Anhieb auszutrinken - für Anstoßfans hat das sogar Vorteile. Nicht besonders stilvoll hingegen, ist das Stürzen à la „U-Boot": Korn ins Bier und weg damit. Das macht nicht nur den ganzen Witz des Herrengedecks kaputt, sondern ist gegenüber jedem Teil davon ziemlich despektierlich.


Herrengedeck als metaphysische Mixtur


Es ist völlig egal, wie wenig ein Herrengedeck mancherorts kosten mag. Ein Herrengedeck ist keine gustatorische Spielwiese, sondern eine Frage der Haltung. Es ist eine Ode an den hölzernen Tresen, den sich vor Rauch kräuselnden Raum, und an eine Bedienung, die zu ihren Gästen ein Verhältnis pflegt, dass es Freud zu untersuchen ein analytisches Feierwerk wäre. Das Herrengedeck ist der Inbegriff einer metaphysischen Harmonie, die nicht mehr unterscheidet zwischen dem einen und dem anderen. Es ist ein Symbol für alle Gründe, die uns in die Nacht treiben, dafür sorgen, dass wir uns vermengen mit dem Rauschen dunkler Räume, dem Klirren und Kingen und all den Aromen, die uns glauben machen, sie beinhalteten den Äther des Alls.

Das Herrengedeck in seiner Urform ist ein Versprechen. Ein Versprechen daran, dass alles gut wird, wenn man sich zusammentut, so verschieden man auch sein mag. Es blickt optimistisch in eine Welt, die im Pils-trüben wie im Korn-klaren Zustand in Dialog treten kann; der verhärtete Fronten verflüssigt und uns zeigt, dass Eins-werden mit der Welt ganz einfach ist. Ob das nun im Kopf stattfindet oder im Magen.

Photo Credit: www.iStock.com/kerriekerr

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